»Du kannst dafür etwas anderes«, sagt sie regelmäßig zu mir, wenn mich wieder einmal ein Ausbruch von Minderwertigkeitskomplexen überfällt. Diese Ausbrüche kommen unverhofft. Als Häuflein Asche bleibe ich dann unendlich traurig zurück.
Schön, dass es diese Allwetterfrontfreundin gibt!
Ich bin aber noch nicht darauf gekommen, was es sein könnte, was ich kann, aber egal was es ist, es war nicht gut genug, sonst wäre mein Mann nicht abgehauen.
»Ich kann Socken stricken, ich kann Strümpfe flicken, ich kann backen wie ein Konditor, kochen wie ein Profi, bin die perfekte Krankenschwester, schneidere wie eine Schneiderin, bügele besser als die Dame in der Reinigung um die Ecke, pflege meinen Garten wie ein Gärtner, habe dafür sogar einen zweiten Platz beim Blumenwettbewerb unserer Stadt gewonnen, aber eben nur den Zweiten.
Ich will auch mal Erste sein«, jammere ich meiner Freundin vor.
»Stell dich vor den Spiegel, dann weißt du, was falsch gelaufen ist. Seit du verheiratet bist, kannst du nicht mehr über den Tellerrand hinausschauen, und seit du Mutter bist, bist du total vergluckt. Willst du ewig in deinem Hühnerstall sitzen bleiben und das verlassene beleidigte Huhn spielen, weil dein Gockel fremd kräht?«
Das war heftig. Geschockt stelle ich mich vor den Spiegel, meine Freundin stellt sich daneben.
»Merkst du was?«, fragt sie. Ich nicke verzweifelt.
»Schätzchen, das bekommen wir schon hin.« Mit dem Telefon in der Hand verschwindet sie in ihr Schlafzimmer.
»Geh ein Weilchen an den See«, ruft sie mir zu. Nun soll ich spazieren gehen …
Hinter Ullas Haus gibt es einen See. Ulla verordnete mir eine Bewegungsfrischluftaufenthaltstherapie. Das Gras um den See ist feucht, meine Schuhe bald durchnässt, trotzdem gehe ich auf der Wiese weiter Richtung Schilf, als ich ein Riesennest entdecke, auf dem ein brütender Schwan sitzt. Die Schwanenmutter brütet einsam und verlassen vor sich hin.
»Hast du das Nest allein gebaut, Mutter Schwan? Soviel Schilf, Gräser, kleine Zweige. Wie lange braucht man, um so ein Nest zu bauen? Hat dein Mann dich sitzen lassen?«
Mama Schwan schaut mich mit großen Augen an, hebt kurz ihr Hinterteil, ich kann sieben Eier erkennen, und brütet beharrlich weiter.
Ein neugieriges Entenpaar kommt auf mich zugewatschelt. Sie braungrau gescheckt und farblos, er grünlich schimmernd am Hals, dunkellila am Kopf, braune Brust mit weißen Flecken. »Nein, ich habe nichts für euch, ihr müsst selbstständig sein und euch euer Fressen selbst suchen, Möglichkeiten gibt es hier genug«, sage ich zu ihnen. Als ob sie meine Worte verstehen würden, watscheln sie davon, begeben sich ins Wasser, schwimmen suchend zwischen den von Jungfischen umwimmelten Sumpfdotterblumen, und alsbald sehe ich herausgestreckte Entenhinterteile aus dem Wasser ragen. Sekunden nur, dann flupp wieder auftauchen, fressen, eintauchen.
»Geht doch!«
Eine Entenmutter mit drei Küken schwimmt vorbei.
»Wo ist dein Entenmann?«, frage ich sie. Sie schaut traurig zu dem grünlich-lila schillernden Entenmann zwischen den Sumpfdotterblumen. Ihr Blick kommt mir beschämt vor. Der Entenmann schwimmt mit empörtem Blick heran und vertreibt die Entenmutter mit lautem quak, quak, quak und schnellen Flügelschlag. Die Flügel schlagen klatschend auf seinen Körper, immer wieder von innen nach außen. Die Küken schwimmen mit ihrer grauen Entenmama davon.
Will mir das was sagen?
»Vielleicht hattest du öfter mal Kopfweh Frau Ente? Warst unpässlich. Hattest du vielleicht Bauchschmerzen? Hast du deine ehelichen Pflichten nicht erfüllt? Warst zu müde von der Aufzucht der Kinder? Oder hattest schlichtwegs keine Lust? Das können sie nicht verstehen, die Männer. Siehst du: Mir geht es genauso wie dir.«
Eine Blesshuhnfamilie zieht ihre Bahnen im See. Sechs Blesshühnchen schwimmen brav neben ihren Eltern. Ihr Nest liegt verborgen in hohem Schilf. Im Hintergrund paaren sich Frösche. Von dem nahen Birkenbaum krächzt ein Rabe.
Ein widerliches Konzert. Als ich Richtung Ausgang gehe, sehe ich den männlichen Schwan. Über den ganzen See getrennt von seinem Weibchen, sitzt er neben dem Fußweg, spreizt seine Flügel zum Fächer und macht einen langen Hals. Fauchend bedroht er die vorbeigehenden Menschen, macht Männchenbeschützergehabe.
»Du Blödmann«, sage ich zu ihm und laufe zurück zu Ullas Haus.
»Du hast heute Mittag um 13 Uhr einen Friseurtermin, um 17 Uhr einen Termin bei der Kosmetikerin und danach gehen wir shoppen. Wir fahren ins Outlet nach Wertheim Village. Ich bezahle. Keine Widerrede, es ist alles durchorganisiert«, überfällt mich Ulla.
»Ich habe immer Geld aus meiner Haushaltskasse zurückgelegt, die ganzen Ehejahre über und habe ein schönes Sümmchen auf meinem Sparbuch. Ich bezahle meine Sachen selbst«, sage ich.
Mein Kater Felix wartet immer schon sehnsüchtig auf mich, wenn ich von meinen Spaziergängen nach Hause komme. Vielleicht hat er Angst, dass ich wie sein Herrchen ausbleiben würde, er ist jedes Mal erleichtert, wenn er mich wieder sieht, und will ausgiebig mit mir schmusen. Sobald Ulla aber auftaucht, bin ich abgeschrieben. Die beiden sind vernarrt ineinander. Mein Felix schläft an ihrem Fußende, Ulla darf ihre Füße an seinem Fell wärmen und die beiden schnurren gemeinsam durch die Nacht. Nur eins kann Ulla gar nicht ab, wenn Felix sie im Anlauf anspringt, aber das bekommen wir auch noch hin.
Schnurrekater Felix darf mit der schicken Leine von Willi mit zum Shoppen fahren. Es ist seine erste lange Autofahrt.
»Du musst keine Angst haben Felix«, sagt Ulla und knuddelt ihn zärtlich.
»Ich werde nicht wie ein Rennfahrer fahren, schlafe einfach, ich werde dich wecken, wenn wir unser Ziel erreicht haben.« Ulla spricht mit dem Kater wie mit einem Kind.
Felix schläft tatsächlich im Auto und macht die Augen pünktlich wie auf Knopfdruck wieder auf, nachdem wir auf dem Parkplatz des riesengroßen Outlets angekommen sind.
»Du sollst mich nicht schon wieder bespringen, das hast du heute schon sieben Mal getan«, schimpft meine Freundin. Sie schimpft nicht oft mit Felix, aber das Bespringen ist für sie ein absolutes No Go. Kein gutes Katerbenehmen.
Ich stehe startbereit neben dem Auto, spanne meinen Schirm auf, es hat angefangen leicht zu tröpfeln, und warte geduldig, bis meine Freundin mit der Standpauke für meinen Kater fertig ist.
»So eine Schweinerei und Sie stehen Schmiere«, sagt die Frau des Parkplatzwächters voller Verachtung zu mir. Ihr Mann versuchte, ins Auto zu spähen.
Ich bin schlank geworden, mir passt mühelos Größe 36. Bergeweise T-Shirts in allen möglichen und unmöglichen Farben, Jeans, Stoffhosen, Miniröcke, lange Röcke, Blusen mit Stehkragen, durchsichtige Blusen, Netzstrümpfe, High-Heels, sportliche Schuhe, Badelatschen und vieles mehr finden einen neuen Besitzer. Mich!
Nach dieser ausführlichen Shoppingtour – in dieser Form habe ich das noch nie gemacht – fährt mich Ulla direkt zum Friseur.
»Machen sie aus dieser Frau eine neue Frau«, sagt sie zu der Stylistin. Die Haarfarbe solle der von Felix´ Halsband gleichen, entscheidet sie für mich. Mein entsetzter Aufschrei stört sie nicht.
»Rasieren sie ein Herz auf den Hinterkopf, können sie das?«, fragt Ulla die Stylistin.
»Gewiss doch«, sagt diese und legt los. Die beiden verhängen den Spiegel mit Handtüchern und ich bekomme einen Kopfhörer übergestülpt, aus dem Help von den Beatles dröhnt.
Help! I need somebody.
Als ich Unendlichkeiten später von dem Kopfhörer befreit bin und mich in dem Spiegel beim besten Willen nicht erkennen kann, singe ich so laut, dass sich die Leute die Nase an der Scheibe des Friseursalons platt drücken.
»When I was younger, so much younger than today, I never needed anybody´s help in any way.”
Ulla drückt mir einen Apfel in die Hand und fährt vom Friseur