Lenchens Baby. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525465
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rieb sich Franziska über die Augen, als sie das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür vernahm.

      »Guten Morgen, mein Schatz!« Michael beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss. »Aufstehen, die Sonne scheint und ich war schon beim Bäcker.« Er hielt ihr die Tüte mit den frischen Brötchen direkt vor die Nase.

      Schwungvoll sprang Franziska aus dem Bett. »Na dann will ich mal die Kaffeemaschine anwerfen.«

      Michael trug bereits das Geschirr ins Wohnzimmer, während Franziska in der Küche das Frühstück richtete, und wenig später saßen sie gemütlich am Tisch und ließen es sich schmecken.

      Später räumte Michael seine Sachen aus dem LKW in den Keller und Franziska stopfte das Bettzeug direkt in die Waschmaschine. Unterdessen kochte auf dem Herd die Suppe für das Mittagessen. Erst nach dem Essen kamen sie wieder ein bisschen zur Ruhe.

      »Ich habe mit Alexander vereinbart, dass wir ein Auge auf den Wetterbricht haben werden und uns danach konkret abstimmen, ob wir am Donnerstag oder am Freitag nach Hessen fahren«, erläuterte Franzi ihrem Mann das Gespräch mit ihrem Bruder noch einmal. Sie hatten zwar bereits am Telefon darüber geredet, doch erfahrungsgemäß hatte Michael meistens den Kopf so voll, dass ihm die Hälfte wieder entfiel.

      »Das klingt wie ein guter Plan«, antwortete er. »Aber wie es scheint, bleibt das Wetter ja ganz passabel. Da stellt sich doch direkt die Frage, was wir morgen unternehmen. Immerhin muss ich nicht losfahren, du musst kein Essen vorbereiten, es bietet sich an.«

      Franziska überlegte nur kurz. »Ich weiß es, wir fahren nach Wernigerode.«

      Mit einem fragenden Gesichtsausdruck schaute Michael sie an. Obwohl die bunte Stadt am Harz ein beliebtes Ausflugsziel war, hatte sie bei ihm nur den zweifelhaften Ruf, in der dortigen Brauerei Bier laden zu müssen.

      »Ich würde mir gerne den ›Kleinen Harz‹ ansehen«, erklärte sie ihm, ehe eine ablehnende Bemerkung über seine Lippen kommen konnte. Den Miniaturenpark gab es seit einigen Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bürgerpark, der 2006 anlässlich der Landesgartenschau angelegt wurde. Erst kürzlich hatte wieder ein Artikel darüber in der Zeitung gestanden und Franziska nahm sich danach vor, einmal dorthin zu fahren.

      »Hm, warum eigentlich nicht«, überlegte Michael. »Wir suchen uns irgendwo was zum Essen und gucken uns

      diese kleinen Bauwerke mal an.« Oft genug hatte er die Hinweisschilder ja schon gesehen.

      Franzi schmunzelte innerlich. Wie oft musste sie Michael zu einem Ausflug überzeugen, obwohl er genau wusste, wo das Ziel lag. Er kurvte in halb Europa herum, sah aber eigentlich immer nur die Autobahnen.

      Nach einem gemütlichen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen praktizierten sie ein bisschen Wellness im heimischen Badezimmer. Es war vor kurzem von Grund auf saniert worden und nun »der schönste Raum der Wohnung«, wie Michael meinte. Einiges hatte sich seit ihrem Einzug vor dreißig Jahren im Haus und in der Wohnung schon verändert. Neue Fenster waren eingebaut worden und eine Heizung. Längst brauchte keiner mehr Kohlen schleppen und den Badeofen anheizen, wenn er sich ins warme Wasser legen wollte. Auch die Fassade hätte eine Renovierung nötig gehabt, doch wer wusste schon, wie lange sie darauf noch warten mussten. Aber kam es nicht so manches Mal auf die inneren Werte an?

      Franziska zog es vor, in duftendem Schaumbad zu relaxen, während Michael sich und seinem Rücken mit Rheumabad etwas Gutes tat. In der Zeit brutzelte Franzi ein leckeres Abendessen für zwei. Sie prosteten sich zu, genossen den lauen Sommerabend auf dem Balkon und freuten sich auf den nächsten Tag.

      »Guten Morgen, mein Schatz. Kaffee ist fertig!« Franziska drückte Michael einen Kuss auf seine, noch vom Schlafen, warme Wange.

      »Was, schon halb neun!«, schaute er ungläubig zur Uhr und rekelte sich, ehe er die Decke von sich schob und die Beine aus dem Bett schwang. »Dann muss ich wohl aufstehen.« Er stapfte ins Bad, unterdessen schenkte Franzi den Kaffee ein. Sie ließen sich die im Herd frisch aufgebackenen Brötchen, Wurst, Käse, Marmelade und weichgekochte Eier schmecken. Wann immer es ging, genossen sie an den Wochenenden dieses gemeinsame Frühstück. Und da heute keine Hausarbeiten drängten, nicht gekocht werden musste und sie alle Zeit der Welt hatten, dehnten sie es entsprechend lange aus. Es war bereits nach elf, als sie sich nacheinander erhoben und das Geschirr in die Küche trugen.

      Ach wenn der meteorologische Herbst bereits begonnen hatte, wirkte das Wetter eher spätsommerlich. In kurzer Zeit erreichten sie die vor ein paar Jahren neu erbaute vierspurige Bundesstraße, die schon bald den Namen

      »Nordharzautobahn« bekommen hatte. Hinter Aschersleben wurde deutlich, warum das so war. Linker Hand rückten die Hügel des Mittelgebirges in ihr Sichtfeld und nach vorne gab die Straße den Blick auf den Brocken frei. Wo früher die alte Fernverkehrsstraße 6 entlang führte, ließ sich bald nicht mehr erkennen. Neue Zubringerstraßen und Kreisverkehre entstanden überall. Im Volksmund wurde die F6 einst »Zigarettenstraße« genannt. Franziska wusste nicht einmal, ob es diese Sorte heute noch gab. Selbst rauchte sie nicht und Michael war auch irgendwann bei den Westsorten gelandet. Oh ja, es hatte sich viel verändert in den Jahren nach dem Mauerfall.

      Und sie waren wirklich lange nicht mehr hier gewesen, das letzte Mal musste noch gemeinsam mit den Kindern gewesen sein.

      Inzwischen erreichten sie die Abfahrt WernigerodeZentrum und verließen die Fernstraße. Nun kamen Franziska die Gegebenheiten wieder bekannt vor. Über der Stadt thronte das weithin sichtbare Schloss. Am Rande des alten Ortskerns stellte Michael den Audi ab. Gemächlich schlenderten sie die Fußgängerzone entlang und bald lockte sie der Duft nach südländischen Gewürzen in einen kleinen Innenhof. Trotz der Mittagszeit fanden sie in dem griechischen Restaurant noch Plätze. Obwohl sie erst vor zwei Stunden vom Frühstückstisch aufgestanden waren, bestellten sie Knoblauchbrot als Vorspeise und zwei Mal überbackene Medaillons mit Metaxasoße und ließen es sich schmecken. Sie stießen mit dem unvermeidlichen Ouzo an und fühlten sich wie im Schlaraffenland, satt und zufrieden.

      »Jetzt müssen wir aber erst mal ein Stück laufen«, stöhnte Michael. Er strich sich über den deutlich gewölbten Bauch unter dem sommerlichen Hemd. Auch Franziska war froh, dass sie sich für ein lockeres Kleid entschieden hatte, das Platz bot für das üppige Mahl. Gemächlich schlenderten sie bis zum Markt mit dem berühmten Rathaus. Und zumindest das hatte sich nicht verändert seit ihrem letzten Besuch. Schließlich machten sie kehrt und liefen zurück zum Parkplatz, denn immerhin stand noch mehr auf ihrem Besichtigungsplan für heute und an ihrem eigentlichen Ziel waren sie noch gar nicht angekommen. Sie fuhren am Bahnhof vorbei und folgten den Schildern, die ihnen sicher den Weg zum Bürgerpark und zum Miniaturenpark wiesen. Trotz der Nachmittagszeit ergatterten sie einen gerade frei werdenden Parkplatz direkt am Eingang. Wenig später standen sie staunend wie Kinder vor den kleinen maßstabsgenau nachgebildeten Gebäuden, die es allesamt im Harz im Original zu sehen gab. Der Halberstädter Dom und das Schloss Wernigerode standen hier ebenso im Kleinformat wie die Kaiserpfalz in Goslar. Aber auch das Bodetal mit der Seilbahn und der Brocken mit der Schmalspurbahn waren naturgetreu nachgebildet worden. Wieviel Mühe steckte in diesen kleinen Bauwerken!

      »Doch«, sagte Michael anerkennend zu Franziska, »das muss man gesehen haben!«

      »Dann war meine Idee nicht so schlecht?« Franziska war noch immer fasziniert, auch wenn sie inzwischen zum zweiten Mal dem Rundgang folgten.

      »Nein, war sie nicht«, erwiderte Michael. »Aber jetzt hätte ich eine Idee. Oder was machen wir mit dem angefangenen Nachmittag?«

      »Nachmittag ist gut«, lachte Franziska. »Inzwischen geht es auf den Abend zu.«

      »Umso besser«, konterte Michael. »Dann finden wir dort bestimmt ein Abendessen.«

      Franzi sah ihn verständnislos an, doch Michael dachte nicht daran, ihr etwas zu sagen. Erst als sie wieder im Auto saßen und er gezielt losfuhr, verriet er ihr seine Idee.

      »Wir fahren zum Baumkuchenhaus.«

      »Aha«, Franzi klang nicht überzeugt. »Willst du jetzt noch Kuchen essen?« Michael konnte gerne auf Kaffee und Kuchen