Dennoch, oder gerade dadurch, schaffte er es, seine Zuhörer in den Bann zu schlagen. Er war ein Wortakrobat, eigentlich viel mehr Künstler im Bereich der Worte als mit seinen Farben.
Aber das war ihm im Moment ziemlich egal. Er hatte ein Problem. Morgen wollten die Brocks kommen, also seine Schwester, sein Schwager und ihre drei musikalischen Kinder. Sie hatten vor, eine ganze Woche zu bleiben. Für sie wollte er die Ferienwohnung frei haben.
Aber vor dem Hof stand ja immer noch der große Peugeot mit dem belgischen Kennzeichen. Dornberger hatte vor zwei Wochen die Wohnung an das seltsame Paar vermietet. Reiche Belgier aus Brüssel auf Tour quer durch Europa. Sie wollten eigentlich nur ein paar Tage bleiben. Seien auf der Durchreise, aber Thüringen sei eben einen kleinen Aufenthalt wert.
Dornberger freute sich über die willkommene Nebeneinnahme. Die Saison begann hier im regnerischen Thüringer Wald erst ab Juni.
Ja, und nun …
Er hatte die beiden schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Ihr Wagen stand unbenutzt vor dem Hoftor. Glücklicherweise hatten sie schon vorab gezahlt. Mit einem nagelneuen Fünfhunderter. Dornberger hatte nur selten einen solchen Schein in den Fingern. Irgendwie komisch.
Dabei waren die beiden Belgier kunstsinnige Leute. Wohlwollend hatten sie alles betrachtet, als er sie herumführte und das Anwesen zeigte. Auch seine selbstgestaltete kleine Galerie, eingerichtet im ehemaligen Stallgebäude direkt gegenüber dem Wohnhaus, schien ihnen gefallen zu haben. Speziell seine Petersburger Hängung schien großen Eindruck hinterlassen zu haben. Möglicherweise kauften sie ja ein Bild …
Was machte er nur?
Seine Partnerin war mit den Kindern für ein paar Tage nach Berlin gereist. Es waren Frühlingsferien. Zwar nur eine Woche, aber besser als nichts. Dornberger war froh, dass er allein war, Zeit zum Experimentieren. Er hatte eine neue Serie geplant. Großflächig, farbgewaltig, verstörend. Einen Titel hatte er auch schon gefunden: »Meeresbewohner in ungewohnter Umgebung«. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Fisch am Tisch, ein Wal im Tal, vielleicht ein Hai bei der Polizei … naja, ihm würde da sicher noch etwas einfallen. Auf alle Fälle war das Konzept genial.
Neider würden wie immer misslaunig zu den Bildern ihre Kommentare abgeben. Verärgert darüber, dass ihnen selber so etwas nicht eingefallen war.
Trotzdem, mit den beiden Belgiern, da stimmte etwas nicht. Er konnte sich auf seine Malerei nicht konzentrieren, immer wieder kreuzten die beiden durch seine Gedanken. Nicht, dass sie sich ungehörig benommen hatten. Nein, das war es nicht.
Aber sie passten eigentlich nicht in das Schema der klassischen Thüringentouristen. Jeden Morgen standen sie um Sieben bereits auf, kamen sehr spät abends zurück, zogen die Gardinen vor und waren ausgesprochen still. Sie wollten nichts wissen, gingen ihrer Wege, grüßten mit einem freundlichen Kopfnicken, das war’s.
Eigentlich ideale Feriengäste, dennoch hatte Dornberger das Gefühl, dass die beiden nicht zum Sightseeing oder Wandern hier waren. Außerdem war er sich sicher, dass die beiden kein Paar waren. Jeder hatte ein Schlafzimmer belegt, dass machte man nicht, wenn man ein Paar war. Also, was war da los?
Nach zehn Minuten Grübelei trabte Dornberger in seine angrenzende Küche. Da gab es ein Telefon. Er wählte vorsichtig mit seinen farbbeklecksten Fingern die Eins-Eins-Null.
Der Seestern rackert heute nicht,
viel lieber schreibt er ein Gedicht.
Im Gefängnis sitzt der Rochen,
was hat er nur verbrochen?
Der Liegestuhl vom Dorsch
ist vorn und hinten morsch.
Ein Grüppchen schwedischer Maränen
hielt man in Paris für Dänen.
Aus dem Zyklus »Meeresbewohner in ungewohnter Umgebung«
von Uwe-Hagen Dornfelder, 2007
II
Tannenhof unweit des Dörfchens Rohr
Sonnabend, 12. Mai 2007
Der Anruf bei der Polizei hatte Folgen. Innerhalb weniger Minuten kamen laufend Rückrufe von diversen Dienststellen der Thüringer Kripo. Ob er etwas angefasst habe in der Ferienwohnung? Ob der Wagen vor seinem Hof abgeschlossen sei? Wann er seine Feriengäste das letzte Mal gesehen habe?
Dornberger war schon entnervt, als er schließlich darum gebeten wurde, nichts anzurühren, die Kollegen von der Technik und ein paar Beamte würden direkt vorbeikommen.
Naja, so hatte er sich das Ganze auch nicht vorgestellt. Irgendwas musste da passiert sein. Sonst würde die Kripo nicht so intensiv Interesse bekunden.
Er wusch sich nachdenklich Hände und Arme, zog ein frisches Hemd über und schaute kurz in den kleinen Spiegel im Atelier. Manchmal verirrte sich ein Farbsprenkler sogar in sein Gesicht. Das wäre ihm peinlich, wenn er Rede und Antwort stehen müsste vor den gestrengen Augen eines Beamten und ein Tupfer Zitronengelb oder Alizarinrot seine Aussagen konterkarierten. Nein, er legte schon Wert darauf, ernst genommen zu werden, auch wenn er gern die Leute aus seinem direkten Umfeld des Öfteren mal veralberte.
Nach zwanzig Minuten rollten zwei weiße Opel-Astra bei ihm vor, dicht gefolgt von einem ebenfalls weißen Mercedes-Sprinter.
Zwei Kriminalbeamte stiegen aus, beide kurz vor ihrer Pensionierung. Sie stellten sich ihm als Hauptkommissar Thiele und Oberkommissar Heilmann von der Kripo in Suhl vor. Beide machten auf Dornberger nicht den dynamischsten Eindruck, aber das konnte ja auch täuschen. Sie schienen auf alle Fälle routiniert im Umgang mit solchen Vermisstenfällen zu sein.
Umständlich kramte Heilmann, ein knochiger Typ mit großer knorpeliger Nase und einer ungesunden rötlichen Hautfarbe, in seiner Klemmmappe, holte endlich zwei Fotos hervor.
»Sind das Ihre Feriengäste?«
Dornberger warf einen Blick auf die beiden Fotos. Was er sah, verstörte ihn zutiefst. Die beiden Menschen waren tot, lagen in unnatürlicher Haltung inmitten von Kräutern und Farnen. Er musste noch einmal hinschauen, um sich zu vergewissern. Eindeutig, das waren sie.
Er nickte stumm. Was war passiert?
Der ältere der beiden Kommissare, Thiele, ein untersetzter Mann mit spärlichen Haarkranz und einer goldgeränderten Brille begann zu berichten. Über den seltsamen Fundort am Großen Hermannsberg, die gefundenen Reisepässe, verschwieg aber dem staunenden Dornberger, dass die beiden Belgier jeder eine Waffe bei sich trugen, keine gewöhnlichen Luftdruckpistolen oder Schreckschusswaffen, nein, echte Profikanonen, SIG-Sauer.
Der ursprüngliche Verdacht, dass es sich um einen tödlichen Unfall am Kletterfelsen gehandelt haben könnte, wurde nach dem Auftauchen der beiden Waffen fallen gelassen.
Natürlich waren die Waffen nicht registriert, sorgsam waren die Registriernummern entfernt worden. Jeder der beiden trug die Pistolen an einem Holster direkt am Körper. Aus den Waffen war kein Schuss abgegeben worden.
Erste Nachforschungen über Europol hatten ergeben, dass die Namen der beiden in keinem Register der Stadt Brüssel oder anderswo in Belgien zu finden seien. Die dortigen Kollegen hätten ihnen zu verstehen gegeben, dass es wohl gefälschte Pässe seien.
Also, man war im Moment ziemlich ratlos.
War Thüringen durch einen dummen Zufall ins Fadenkreuz von Geheimdiensten oder gut organisierten Verbrecherbanden geraten? Geheimdienste – und dann mit so einer plumpen Fälschung: Renard und Blaireau