Arkadiertod. Thomas L. Viernau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967525120
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lächelte. »Ja, Sie haben Recht. Ich muss mir aber erst einmal selbst über die Situation ein Bild machen. Alles etwas absurd, nicht wahr?«

      Alle nickten.

      »Da findet man zu Heiligabend einen unter Zentnern von besten Kuchenäpfeln begrabenen Menschen. Keiner kann sagen wie und wann er dahin gekommen ist. Aber er ist nun mal da. Wie er genau gestorben ist, wissen wir noch nicht und das werden wir hier und jetzt wohl auch nicht klären können. Ob es ein Unfall war, oder ob da jemand nachgeholfen hat, das wird sich alles klären. Nur wir werden dieses Rätsel hier und jetzt nicht lösen.«

      Wieder nickten alle.

      Die Sekretärin goss voller Begeisterung den frisch gebrühten Kaffee in die Tassen.

      Linthdorf trank einen winzigen Schluck und seufzte. »Tja, meine Herrschaften, da werden wir mal ein Protokoll anfertigen müssen und darauf hoffen, etwas Licht in die ganze Angelegenheit bringen zu können. Wir warten jetzt noch auf die Leute von der Technik und dann … Es ist Heiligabend. Wir sollten uns doch lieber mit etwas Anderem beschäftigen.«

      Verwundert sahen die Streifenpolizisten auf den LKA-Mann. Sie hatten bereits den Tag abgehakt. Sollte dieser Kriminalist nicht den Ehrgeiz haben, den Todesfall so schnell wie möglich aufzuklären? Auch Malzbrandt wirkte eher verwirrt. Er erwartete da etwas mehr Enthusiasmus.

      Draußen fuhren die Transporter der Kriminaltechnik vor. Ein leichter Schneeregen hatte eingesetzt und überzog die Gegend mit einem tröstlichen Hauch von Weiß.

      IV

      Abendnachrichten des rbb

      Sonntag, 24. Dezember 2006

      Kommen wir zu den Nachrichten aus der Region. Am heutigen Vormittag ereigneten sich fünf Verkehrsunfälle auf den Autobahnen und Fernverkehrsstraßen. Personenschäden waren nicht zu beklagen. Und hier noch eine traurige Nachricht zum Heiligabend.

      Bei einer Routineuntersuchung wurde in einem Apfellager in Phöben bei Werder die Leiche eines unbekannten Mannes gefunden.

      Näheres über die Todesursache konnten die ermittelnden Behörden noch nicht mitteilen. Ein Polizeisprecher erwähnte, dass ein Fremdverschulden nicht auszuschließen sei. Gegenwärtig ermitteln die zuständigen Behörden in alle Richtungen.

      So, und nun wieder zu etwas Freundlichem. Die Weihnachtsfeiern in den Brandenburger Seniorenheimen waren auch dieses Jahr ein willkommener Höhepunkt …

      V

      Potsdam, Landeskriminalamt

      Montag, 25. Dezember 2006

      Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags war die Innenstadt von Potsdam vollkommen ausgestorben. Linthdorf stand am Fenster seines kleinen Büros und starrte hinaus in den trüben Morgen.

      Die Abteilung wirkte ziemlich verlassen. Wo sonst das rege Hin und Her der Kollegen und das dauernde Telefonklingeln für einen ständigen Lärmpegel und Geschäftigkeit sorgten, war jetzt gespenstische Stille. Wieso er an diesem Feiertag in sein Potsdamer Büro gefahren war, hatte er im Moment verdrängt. Zu Hause fiel ihm die Decke auf den Kopf. Weihnachten war schon lange nicht mehr sein Fest.

      Gestern am späten Nachmittag war er wieder in seiner Friedrichshainer Wohnung eingetroffen. Die Abwicklung des Leichenfundes war für ihn Routine. Er hatte alles Notwendige eingeleitet, um den Fundort zu sichern und die Techniker mit der Bergung der Leiche beauftragt, die Zeugenprotokolle aufgenommen und war so gegen Zwei Uhr Richtung Berlin gefahren.

      Um Fünf kamen seine beiden Jungs vorbei. Geschenke abholen. Linthdorf hatte für sie einen großen Berg bunt eingepackter Pakete vorbereitet. Er wusste über die Vorlieben seiner Söhne Bescheid. Sein Großer war ein begeisterter Lego-Bastler, der kleine hingegen ein Bücherwurm. Beide mochten Süßigkeiten und freuten sich ebenfalls über Brettspiele, am meisten über komplizierte Strategiespiele, in denen es darum ging, in stundenlanger Geduldsarbeit ganze Königreiche zu erbauen.

      Linthdorf spielte gern Brettspiele. So nach und nach hatte sich in einer Ecke seines Wohnzimmers eine stattliche Sammlung dieser Spiele aufgestapelt. Da gab es Klassiker, wie »Monopoly«, »Die Siedler von Catan«, »Das verrückte Labyrinth« oder »Carcassonne«, exotische Spiele, die lange Vorbereitungszeiten erforderten um sie wirklich spielen zu können, wie etwa das verwirrende »Erebus«, ein Spiel, das in die finstersten Winkel der griechischen Unterwelt führte, oder »Eurotrucker«, was mehr eine Mischung aus »Mensch ärger‘ dich nicht« und »Bingo« war.

      Die Geschenke trafen auch dieses Mal wieder voll ins Schwarze. Stollen essen, Weihnachtstee, dazu eine Schallplatte mit Bachs Weihnachtsoratorium und ein paar Räuchermännchen, die einen angenehmen Duft verbreiteten. Der Heiligabend verlief harmonisch. Nach zwei Stunden verschwanden die beiden Jungs wieder um Heiligabend bei ihrer Mutter, seiner Exfrau Corinna, zu feiern.

      Linthdorf musste dauernd an Louise denken, die in ihrem einsamen Krankenzimmer lag und vielleicht gar nicht mitbekam, das Weihnachten war.

      Was merkte ein Komapatient überhaupt von seiner Umwelt? War es wie ein tiefer Schlaf? Oder war man nur gefangen in einem Körper, der nicht mehr reagierte, aber der Geist war noch hellwach?

      Linthdorf grübelte über diese Fragen schon seit Tagen. Gestern war der erste Tag seit Louises Einlieferung in die Charité, an dem er nicht zu ihr gekommen war. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Wenn sie doch etwas bemerkte, dann war das ein nicht zu entschuldigender Umstand. Tief in seinem Innersten hatte sich der Glaube festgesetzt, dass seine Besuche für ihre Genesung immanent wichtig seien.

      Er hatte unruhig geschlafen. Verstörende Träume ließen ihn immer wieder aufwachen.

      Entsprechend unausgeschlafen war Linthdorf am Morgen des ersten Feiertags. Schon um Acht hatte seine Katze an die Tür des Schlafzimmers geklopft. Ein deutliches Signal: Hunger! Steh auf und gib mir mein Futter!

      »Miezi, du nervst!«

      Er trat die Flucht nach vorne an. Fuhr gleich nach dem provisorischen Frühstück nach Potsdam. Vielleicht hatten die Kollegen von der Technik schon etwas über den ominösen Leichenfund im Apfellager herausgefunden.

      Als er so gegen Elf in seinem Potsdamer Büro eintraf, hatte er bereits mit der Kriminaltechnik telefoniert. Die waren gestern noch bis spät am Abend beschäftigt gewesen. Vor allem das Abtragen der Apfelberge kostete Zeit. Entsprechend schlecht gelaunt war der Kollege am Telefon. Er hatte sich den Heiligabend anders vorgestellt. Auf Linthdorfs Computer blinkte das Posteingangssymbol. Es war der Bericht der Kriminaltechnik.

      Linthdorf vertiefte sich in den mehrseitigen Text und schaute zuerst die beigefügten Fotos an.

      Der Polizeifotograf war ein sachlicher, emotionsloser Mensch. Linthdorf kannte ihn. Schweigsam und stets mit einer missgelaunten Miene ging er seinem Beruf nach. Es war schwer, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aber er lieferte immer erstklassige Fotos ab, vergaß kein Detail, auch wenn es noch so unbedeutend erschien, er fotografierte wirklich alles.

      Auch diesmal hatte er wieder ganze Arbeit geleistet. Bestens ausgeleuchtete Fotos, gestochen scharf und aussagekräftig. Einfach perfekt.

      Linthdorf musste schlucken beim Betrachten der Bilder. Ein älterer Mann erstarrt im Todeskampf. Weit aufgerissene Augen und der Mund wie zu einem Schrei geöffnet. Der spärliche Haarkranz stand wie eine graue Aura vom Kopf ab und verlieh dem Mann einen seltsamen Heiligenschein.

      Der Mann war mit einem grauen Anzug bekleidet. Anstelle einer Krawatte trug er eine Fliege. Seltsam, er erinnerte Linthdorf in dieser Aufmachung an einen Lehrer aus seiner Schulzeit. Der kam auch immer mit einer Fliege zum Unterricht. Damals hatten sich alle darüber lustig gemacht. Allerdings nur hinter seinem Rücken. Dank dieser Fliege strahlte er im Klassenzimmer eine Würde aus, die es nahezu unmöglich machte, ihn nicht zu respektieren.

      Linthdorf wandte sich dem Bericht der Rechtsmedizin zu. Als Todesursache wurde Ersticken angegeben. Im Blut war de facto kein Sauerstoff mehr nachweisbar. Dafür aber deutlich überhöhte Mengen an Kohlendioxid und Stickstoff. Das würde ja zu dem von Malzbrandt geschilderten Szenario passen.