Die Schattenseiten ihres Erbes wurden durch den Eintritt ins Showbiz allerdings ebenfalls bald offenbar: Sie bekam selbst Probleme mit dem Alkohol, und ihr Privatleben war alles andere als glücklich. Erst im Alter von dreißig Jahren und nach zwei gescheiterten Ehen schien sie etwas zur Ruhe zu kommen. Sie eröffnete ein Modegeschäft in Los Angeles, heiratete ein drittes Mal und hat zwei Töchter. Kim wurde also Großmutter. Mandy sah man 2006 am Messestand des Schlagzeugherstellers Premier, wo sie eine Neuauflage von Keiths berühmtem Pictures-of-Lily-Drumkit öffentlichkeitswirksam bewarb, und zuletzt im November 2007 neben Pete in der Attic Show in Los Angeles.
Kim und Mac verließen Los Angeles nach einem Erdbeben Anfang der neunziger Jahre und zogen nach Austin, Texas, wo die Musikszene gemäßigter und „gesünder“ war für Mac. Die McLagans hielten aber den Kontakt zu den Who, nicht zuletzt über Ronnie Lane, der wie Pete ein Jünger des Gurus Meher Baba war und in Texas lebte, bis er 1997 an multipler Sklerose starb. Kim arbeitete in einer Gesundheitsfarm am Lake Austin und machte sich schließlich mit einem Kosmetiksalon selbstständig. Nachbarn, Freunde und Bekannte schätzten die freundlichen, einfach lebenden McLagans; von ihrer bewegten britischen Vergangenheit war wenig bekannt. Die Ehe verlief sehr glücklich, blieb aber kinderlos (Mac hatte einen Sohn aus erster Ehe). Kims tödlicher Autounfall am 2. August 2006 in der Nähe von Austin riss das Paar schmerzhaft auseinander.
Kim wurde siebenundfünfzig Jahre alt. Ihr Mann gründete eine Stiftung in ihrem Namen, die Frauen gegen häusliche Gewalt unterstützt, und Pete würdigte Kim mit einem kurzen Nachruf im Begleittext zum Who-Album Endless Wire – als eine von drei wundervollen Rock’n’Roll-Frauen, die zu früh starben (die beiden anderen waren Chrissie Wood und Susie Cunningham). Mac spielte auch Ende 2008 noch jeden Donnerstagabend mit seiner Bump Band im Musikklub Lucky Lounge in Austin; er tourte im Sommer durch Großbritannien, brachte eine neue CD heraus und reiste Anfang 2009 mit dem kritischen Amerikana-Barden James McMurtry durch Deutschland. Mac wirkt trotz der Trauer um die Liebe seines Lebens positiv und gefestigt.
Und sonst? Was blieb vom „besten Rockdrummer der Welt“, wie Roger ihn nannte, der sich mit zunehmender Vehemenz gegen Pete stellte, weil der für Keith zu schnell einen Nachfolger installierten wollte?
„Keith war ein so außergewöhnlicher Schlagzeuger, dass jeder Versuch, ihn zu ersetzen, lächerlich gewesen wäre“, meint Roger. Wäre es nach Roger gegangen, hätten The Who Keiths Erbe mit nach Bedarf angeheuerten Aushilfskräften verwaltet. Stattdessen kam Kenney Jones – ein Ex-Faces auch er – und mit ihm eine glückliche Fügung des Schicksals: die Rückkehr des Modkults. Die ersten Tourneen wurden eine enthusiastisch gefeierte Neugeburt.
Allerdings steuerten die Who schon bald nach der Tragödie von Cincinnati im Dezember 1979 (siehe Kapitel drei) einer zähen Agonie entgegen. Nach zwei mittelmäßigen Platten wurde die Krise offenbar, und Pete verkündete fast genau vier Jahre nach der Katastrophe im Dezember 1983 das Ende der dienstältesten Rocktitanenband. (The Who wurden zwar offiziell nach den Rolling Stones gegründet; wenn man aber die Jugendband The Detours mit dem Trio Roger, John und Pete in die Rechnung einbezieht, liegen sie um etwa ein Jahr vor den Stones.)
Der Exitus bestätigte damals nur, was jeder empfand: Die Zeit der großen Rockbands war vorüber. Musik wurde endgültig zum Konsumgut. Verpackung, Oberfläche, Show war alles; entsprechend seicht und unbedeutend wurde der Inhalt. In solchen Zeiten schien eine Band fehl am Platz, die stets mehr gewesen war als eine gewöhnliche Rockgruppe. Die achtziger Jahre, die nur für Kulturpessimisten, Zyniker und Verpackungskünstler eine glorreiche Zeit waren, bedeuteten für Who-Fans ein Fegefeuer. Häufig vernahm man Gerüchte um angebliche Wiedervereinigungen, doch in der Realität musste man sich mit meist eher deprimierenden Kurzauftritten à la Live Aid 1985 zufrieden geben.
Erst 1989, zwanzig Jahre nach Tommy und ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Band, tauchten The Who wieder aus der Versenkung auf, mit einem gigantischen Rockensemble im Rücken und mit dem Filigrantechniker Simon Phillips am Schlagzeug. Unmittelbar nach der bis dahin goldensten Who-Tournee aller Zeiten, die jegliche finanzielle Probleme bereinigte, die vor allem den Bassisten John Entwistle zum Handeln gezwungen hatten, wurde es erneut still um die Band.
Das nächste Revival, die musikalisch womöglich noch exorbitantere Quadrophenia-Tour 1996/1997, eröffnete nahezu unbemerkt die Chance, vom Image der Tributeband wegzukommen, die sich zwar selbst besser zitierte als jede andere Formation, aber letztlich nur von der Erinnerung an bessere Zeiten und deren kommerzielle Nutzung lebte. Petes jüngster Bruder Simon sowie Keiths geistiger Nachkomme Zak Starkey betraten nun die Bühne, und sie blieben der Band verbunden, obwohl The Who zwischen den lukrativen Tourneen eher phantomgleich durch die Köpfe ihrer Fans geisterten. Diese zweite Generation von Musikern bildete ein verlässliches Gerüst um Pete und Roger, die so lange umeinander kreisten, bis ihre manchmal wie betoniert wirkende Rivalität durch zwei tief eingreifende Ereignisse aufgebrochen wurde: durch den skandalumwitterten Tod von John, der Pete einst in Rogers Band gelotst hatte und als Bindeglied zwischen den beiden Leitwölfen eigentlich unverzichtbar war, und durch Petes unbedachte Verstrickung in die umfassendste Ermittlungsoperation, die FBI und Scotland Yard je im Internet durchgeführt haben. Diese beiden existenziellen Erfahrungen öffneten The Who schließlich jene magisch-vage „Spiegeltür“, die Pete als Sinnbild für die letzte Schwelle zur Unsterblichkeit formuliert hatte: eine Schwelle, die jeder Künstler zu überwinden hat, will er die ganze Wahrheit erfahren.
„Im Showgeschäfthimmel, hinter der Spiegeltür, stirbt niemand wirklich“, verkündete er 2006 und meinte damit wohl: Ein Leben lang starren Künstler und Publikum auf die von Triumphen glänzende Pforte der Selbstbeschau; doch der Eintritt in den erahnten zeitlosen Raum dahinter bleibt dem Künstler verwehrt, so lange er in der Fixierung auf sein trügerisches Abbild verhaftet ist. „Das größte Problem in unserem Geschäft ist das Ego“, formulierte Roger es bündiger.
Beinahe ein Vierteljahrhundert lang blieb der schillernde Durchgang für die drei überlebenden Ur-Who-Musiker Roger, John und Pete verschlossen, deren „Ego zu groß war, als dass sie es gemeinsam in einem Raum aushielten“, wie Johns zweite Ehefrau Maxine Entwistle einmal sagte. Erst mit Johns Tod im Sommer 2002 zersplitterten die Spiegel, ein Tommy-Motiv übrigens, und die beiden verbliebenen Antagonisten Roger und Pete, ihres diplomatischen Vermittlers beraubt, standen einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wie sollte, wie konnte es weitergehen?
In den vierzehn Jahren der Maximumbesetzung mit Keith Moon wurde fast alles erschaffen, was den Mythos The Who begründet hat und wovon die Band bis heute zehrt. Erst Endless Wire, das erste komplett neue Who-Studioalbum nach vierundzwanzig Jahren, sowie eine phänomenale Welttournee, die über ein Jahr dauerte und den Who-Fans in Deutschland insgesamt zehn Konzerte bescherte, standen für einen neuen Anfang.
Oder nicht?
„Mich erstaunt immer wieder, dass ich fast wöchentlich von neuen Who-Fans kontaktiert werde“, sagt Christian Suchatzki, der die deutsche Anhängerschaft seit Einführung des Internets über seine Fanpage www.the-who.net organisiert und Kontakte zur Who-Gemeinde in aller Welt pflegt. „Und deren Alter reicht von acht bis über sechzig Jahren – das ist absolut genial.“ Wer eines der Konzerte der Welttournee 2006/2007 besucht hat, weiß, warum die Gefolgschaft eher wieder jünger wird als älter.
Dieses Buch wurde in einer schwülwarmen Sommernacht 2006 geboren, genauer gesagt am 23. Juli, als The Who unter dem von starken Scheinwerfern bestrahlten Ulmer Münster ein grandioses Konzert gaben. In jener Nacht keimte der Entschluss, ein deutschsprachiges Buch über diese Gruppe zu schreiben – weil der Autor es kaum fassen konnte, dass Roger und Pete nach fast einem halben Jahrhundert auf der Bühne immer noch so vital waren, so ungebrochen kraftvoll und fast besser denn je spielten. Das war nicht zu erwarten gewesen, und dafür wirkten viele Fans auf dem Münsterplatz aufrichtig dankbar;