Das Geschehen im Fernsehstudio zeigte: Je mehr sich herumsprach, dass es sich bei den Brüdern um großartige Talente handelte, desto dringender benötigten die drei jemanden, der auf sie aufpasste. Zu dieser Gewissheit gelangten auch die Eltern Hugh und Barbara Gibb. Nachdem sie ihre Söhne im Radio gehört hatten, wurde ihnen endgültig klar, dass das Singen kein Spiel mehr war und die B. G.’s womöglich am Beginn einer Karriere standen. Jetzt befanden sich die Eltern in der Zwickmühle: Den Gedanken, seine eigenen Söhne zu managen, empfand Hugh als äußerst befremdlich. Auf der anderen Seite argumentierte Barbara, der Gedanke, diese Aufgabe einem Fremden anzuvertrauen, löse bei ihr noch wesentlich größeres Unbehagen aus. Am Ende siegte die Mutter – und Hugh Gibb kündigte seinen Job, um fortan mit seinen singenden Söhnen die Ostküste Australiens zu bereisen.
Wer aber glaubt, die Brüder hätten nach ihren ersten Radio-Erfolgen ein schönes Leben als angehende Popstars geführt, der täuscht sich gewaltig. Heute mögen die Hochglanzplakate und Autogrammkarten schon gedruckt sein, bevor ein potenzieller Superstar von morgen überhaupt seinen ersten Song eingesungen hat. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren erkletterte man die Karriereleiter noch weitaus mühsamer: Genauso wie The Beatles oder die Rolling Stones begannen die Bee Gees ihre Laufbahn mit einer Ochsentour durch kleine, oft genug zwielichtige Clubs und Bars. In dieser Hinsicht war Australien damals ein besonders schwieriges Pflaster: Eine Bar war entweder voller Streithähne, die sich obskure Trink-Wettbewerbe lieferten und im Rausch so raueinig wurden, als wollten sie in den Krieg ziehen. Oder aber sie war Treffpunkt für Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, die sich dort gemeinsam erinnerten und betranken.
Robin und Maurice waren damals zehn Jahre alt, und die raue, biergeschwängerte Atmosphäre der Kneipen stellte für sie natürlich keine passende Umgebung dar – auch wenn die drei Brüder durchaus Gefallen daran fanden, die Pöbeleien und Schlägereien rund im ihre Auftritte zu beobachten. Dennoch waren diese frühen Auftritte der Brüder mehr als nur kleine Randbegebenheiten auf dem Weg nach oben. Sie hatten großen Einfluss auf die Art und Weise, wie zielsicher das Trio später Karriere machen sollte. Um nämlich Ärger zu entgehen und die volle Gage zu erhalten, mussten sich die Gibbs den Erwartungen des Publikums anpassen: Statt sich nur auf die Musik zu konzentrieren, lieferten sie daher ein aus heutiger Sicht skurriles Misch-Programm aus romantischen Songs und Comedy-Einlagen. So trug beispielsweise eine ihrer Nummern den beinahe philosophischen Titel Does Your Chewing Gum Lose Its Flavour (On The Bedpost Overnight)? – und wehe, man erntete nicht genug Lacher, denn brach der Clubbesitzer den Auftritt sofort ab.
Mittendrin in diesem Szenario: Hugh Gibb, Vater und Manager in Personalunion. „Ich habe die Jungs betreut“, erinnert er sich später, „habe dafür gesorgt, dass sie nicht in direkten Kontakt mit den Gästen kamen. Selber getrunken habe ich nie.“ Doch Hugh Gibb war nicht nur Beschützer, er war auch Berater seiner Söhne. Er kannte die Antwort auf die wichtige Frage, wie man das Publikum knackt, wusste, wie man am eindruckvollsten auf eine Bühne läuft, wie man zu grinsen und zu reden hatte, um sofort Sympathiepunkte zu sammeln. Wichtig war ihm zudem die Garderobe seiner Jungs: Die dreckigen Kinderklamotten hatten ausgedient, dafür trug das Trio Smokings und Unmengen Pomade im Haar. Im Zusammenspiel mit seinen Brüdern oblag Robin die Rolle des „vorlauten, lustigen und süßen Kleinen“, wie sich Maurice später erinnert. So war es zum Beispiel Robins Gag, beim Lied Puff The Magic Dragon das Wort „Puff“ enorm feucht in Richtung seines Zwillingsbruders auszusprechen. Auch bei den Harmoniegesängen hatten die drei inzwischen ihre Rollen gefunden: „Barry sang den mittleren Leadgesang, Robin übernahm die tiefen Parts und ich die hohen Harmonien“, so Maurice.
Die Konzertreisen führten Hugh Gibb und seine Söhne immer weiter fort von Brisbane. Die Jungs sangen entlang der Ostküste in Hotels und Bars, Ferien-Resorts und Nachtclubs. Statt mit gleichaltrigen Freunden zu spielen oder sich zaghaft für das andere Geschlecht zu interessieren, sangen sie für johlende Kriegsveteranen und warteten in Garderoben auf ihren Auftritt, in denen sich anderntags Stripperinnen schminkten. Wie zwangsläufig alle Teenie-Stars bezahlten auch Barry, Robin und Maurice ihre frühe Karriere mit dem Verlust einer normalen Kindheit und Jugend, das war nicht nur Hugh Gibb klar, sondern auch den Jungs selber. Und doch gibt es einen Unterschied: Barry, Maurice und Robin erlebten in ihren ersten Jahren allerhand Obskures – aber keinen Luxus. Der Osten Australiens war nicht Hollywood, nicht London. Dort wehte ein rauerer Wind. Und statt seine Söhne in den Himmel zu loben, ließ Vater Hugh sie durch die harte Schule gehen. Sein Credo: Entertainment bedeutet Arbeit.
Rückblickend bezeichneten Barry, Maurice und auch die Eltern Hugh und Barbara die Lehrjahre in Australien als eine schöne Zeit. Nur Robin hält dagegen: „Ich mochte Australien nicht. Ich war zwar nur ein Kind, aber ich mochte die Arbeit nicht – vor allem wegen der Songs, die wir sangen. Ich beschwerte mich oft, aber das nützte nichts. Ich musste immer wieder raus und weitermachen.“ Das Programm der Brüder Gibb bestand damals nicht aus Liedern, die bei den Jungs selbst für Begeisterung gesorgt haben, sondern orientierte sich am Geschmack des Publikums. Barry, Robin und Maurice standen auf die Songs von Ray Charles, Roy Orbison und Neil Sedaka. Das waren angesagte Künstler der Sechzigerjahre, in deren Fußstapfen die Jungs treten wollen. Doch das eher gesetzte Publikum erwartete lustige Liedchen und Standards wie das simple Bye, Bye Blackbird – Songs, die die Gibbs schon bald unterforderten.
Wer glaubt, zwischen Barry, Maurice und Robin habe immer schönste Harmonie geherrscht, der hat wahrscheinlich selbst keine Geschwister. Wie bei allen Brüdern kam es immer wieder zu Streitereien. Ihre Mutter Barbara erzählte eine besonders schöne Anekdote: An einem Abend verguckte sich Robin (damals zwölf Jahre alt) in ein Mädchen aus einem Chor, der vor den Gibbs auftrat. Robin wollte ihr beim Singen zuschauen, doch man hatte den Künstlern strikt verboten, während der Auftritte eines anderen Acts am Bühnenrand zu stehen. Der verliebte Robin ignorierte das Verbot, was wiederum Barry rasend machte: Er zerrte seinen jüngeren Bruder vom Bühnenrand in die Garderobe, wo es zu einer wilden Rauferei kam. Plötzlich vernahmen die beiden die Eingangsmelodie ihres Auftritts! Sie entknoteten sich, richteten die Haare, hechteten mit unschuldigem Lächeln auf die Bühne, sangen wie gewohnt in engelsgleichen Harmonien – und setzten die Keilerei gleich nach dem Auftritt unbeirrt fort.
Im Vergleich zu den Jahren, die noch kommen sollten, stotterte der Karrieremotor der Bee Gees 1961 und 1962 erheblich. Die vielen Auftritte brachten zwar Geld und Bühnenerfahrungen, doch einen wirklichen Schritt nach vorne machten die drei Gibbs nicht. Schnell wurde ihnen klar, wohin dieser Schritt führen musste: nach Sydney. Australiens größte Stadt war für den fünften Kontinent das, was New York für die Vereinigten Staaten und London für Großbritannien war: der Ort, an dem Träume wahr werden. So wie für Col Joye, den „Elvis von Sydney“, Anfang der Sechziger Australiens größter Popstar.
Als dieser 1962 auf seiner Tour im Ferienresort Surfer’s Paradise Station machte, in dem die Gibbs schon seit einiger Zeit ihr Programm vortrugen, nahm sich Barry ein Herz und fragte mutig, ob Joye Zeit und Lust habe, sich ein paar Songs der Brüder anzuhören. Überraschenderweise sagte der Star zu – und hat sein Interesse nie bereut: Die Performance überzeugte ihn so sehr, dass er den Jungs erstens versprach, sie in Sydneys Musikszene einzuführen, und zweitens kurze Zeit später sogar selber einen Song aus Barrys Feder aufnahm: (Underneath The) Starlight Of Love.
Die Bedeutung der eher zufälligen Begegnung mit Col Joye für die Karriere der Bee Gees kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zum ersten Mal stießen die drei Brüder auf Anerkennung, nicht weil sie noch so jung, ulkig und süß waren (oder weil sie günstig zu haben waren), sondern aufgrund der Qualität ihrer Musik – und weil sich der damals