Erst vor Kurzem traf ich in einem Seminar ein Paar wieder, von dem ich wusste, dass es sich getrennt hatte. Umso erstaunter war ich, beide zu sehen. Mehr als zwanzig Jahre waren sie ein Paar gewesen, die Kinder fast erwachsen. In einer der Phasen des Enttäuschtseins trennten sie sich schließlich, ließen sich konsequenterweise auch scheiden und zogen räumlich auseinander. Die Missverständnisse und Verletzungen der letzten Jahre schienen unüberwindbar.
Beide haben in ihren jeweiligen neuen Leben Luft geholt, durchgeatmet, sich ihre Liebe mit dem Weitwinkel angeschaut, um zu verstehen, was eigentlich passiert war. Durch die Kinder waren sie weiterhin verbunden und blieben mit einem Auge neugierig aufeinander. Es dauerte fast drei Jahre, ehe sie sich wieder aufeinander zubewegten, einander neu kennenlernten und ein neues Kapitel ihrer Geschichte aufschlugen.
Als ich sie wiedertraf, sah ich, wie verliebt sie sich anschauten. Wie es wieder zwischen ihnen leuchtete. Um sie herum, hinein in den Alltag, und wieder schien alles möglich zu sein.
Die Idee zum Buch
Die Idee, ein Buch über Paartherapie zu schreiben, entstand in einem Therapieausbildungsseminar. Nachdem wir das Fallbeispiel eines Paares nachbesprochen hatten, die Ausbildungsteilnehmer ihre Notizen machten, fragte Toni: »Sylke, du schreibst doch sowieso Bücher. Kannst du nicht ein kleines Buch für uns angehende Paartherapeuten schreiben? So, als würden wir dir beim Arbeiten über die Schulter schauen«:
•nah an der Praxis
•kurze Fallbeispiele
•eher ein Handbuch
•ein Leitfaden
•Orientierungshilfe.
An jenem Tag ging ich in mich und erinnerte mich, wieso ich nie ein Fachbuch, sondern Belletristik schreiben wollte. Sehnte ich mich doch danach, fiktive Geschichten zu erzählen, mit der Schönheit der Sprache zu spielen, meiner Fantasie Raum zu geben und einen guten Spannungsbogen hinzubekommen.
In meinem Hinterkopf hatte sich jedoch die Idee eines praxisnahen Fachbuches schon festgesetzt, dennoch sollte es noch zwei Jahre dauern, ehe ich das erste Kapitel aufgeschrieben hatte. Interessiert sammelte ich Fallbeispiele, hörte den Seminarteilnehmern genau zu und notierte, was sie fragten und worüber sie laut nachdachten, wenn es um paartherapeutische Themen ging. Der Gedanke, komplexe Beziehungsmodelle für die Beginner unter uns Paartherapeuten handhabbar zu machen, ließ mich nicht mehr los.
Zum Aufbau des Buches
Mir ist bewusst, dass sich professionelles therapeutisches Arbeiten in der Regel auf drei Säulen stützt:
•das theoretische Konzept
•Rolle und Haltung
•Interventionen.
In diesem an der Praxis orientierten Buch konzentriere ich mich hauptsächlich auf Interventionen, Rolle und Haltung. Die Grundlagen des systemischen Denkens skizziere ich an den Stellen, an denen es mir passend erscheint.
Durch das Buch zieht sich das Zwiegespräch mit Toni, einer systemisch ausgebildeten Therapeutin, die gerade begonnen hat, mit Paaren zu arbeiten. Sie ist Mitte dreißig, voller Wissensdurst und Neugier. »Weißt du«, fing sie an, »ich fühle mich nach der Ausbildung ziemlich sicher mit einzelnen Menschen, doch wenn es um Paare geht, bin ich immer noch voller Fragen und bewege mich unsicher wie eine Kuh auf Glatteis:
•Wie fange ich gut an?
•Was mach ich mit den hohen Erwartungen des Paares?
•Wie gebe ich den Druck zurück?
•Wie unterbreche ich Vorwürfe?
•Wie reguliere ich die Redezeiten?
•Sind Einzelsitzungen üblich oder besser nicht?
•Wie finde und behalte ich den roten Faden?
Und so könnte ich ewig weiterfragen. Verstehst du?«
Ich verstand. Bei der Recherche und beim Aufschreiben der Interventionen und Übungen ist mir aufgefallen, dass ich viele praktische Übungen inzwischen so adaptiert habe, dass mir die Ursprungsquellen nicht mehr bekannt sind.
Alles, was ich schreibe und offenlege, ist meine Art, Paartherapien zu gestalten. Eine Art von vielen möglichen Arten. Nichts muss so gemacht werden, wie es hier steht. Nichts von dem ist allgemeingültig. So bunt wie das Leben ist, so bunt ist die Liebe und so bunt sollten auch Bücher zu Lebensthemen sein.
Das Buch ist aufgebaut wie eine Therapiestunde. Es gibt einen Anfang, da geht es um das Vorab und den ersten Kontakt, um die therapeutische Haltung und alles, was wichtig ist, um gut starten zu können.
Der mittlere Teil des Buches beschreibt die Vertiefungsphase, die es auch in jeder Therapiestunde gibt. Themen werden detaillierter behandelt, auseinandergenommen, analysiert oder neu betrachtet. Die Sehnsüchte hinter den Vorwürfen werden herausgefiltert. Im mittleren Teil gibt es typische Themen, mit denen Paare sich herumschlagen, viele Fallbeispiele und mögliche Interventionen.
Im dritten Teil, dem Abschluss, reden wir darüber, wie wir Therapiestunden gut beenden, und auch darüber, was es zu beachten gibt, wenn das Damoklesschwert einer Trennung über dem Paar schwebt.
Beginn, Mitte, Abschluss.
Die Kapitelüberschriften sind an die Fragen der Ausbildungsteilnehmer angelehnt und wann immer es passt, sind Tonis zusätzliche Fragen und Anmerkungen eingeflochten.
Beratung, Therapie, Coaching?
Es gibt viele Überschriften, die dem Arbeiten mit Paaren oder mehreren Menschen in Beziehungen gerecht werden. Je nach Anliegen der Klienten und Ausbildung des Paar-Profis können die Grenzen fließend sein. Der größte Unterschied liegt in der Zielorientierung und die Gemeinsamkeit liegt darin, dass sich alle Formate mit Krisen in Partnerschaften beschäftigen. Die Begriffe sind nicht geschützt und können von jedem Paar-Profi so benutzt werden, wie es sinnvoll erscheint.
Paartherapie: Die Paartherapie hat sich aus der Familientherapie entwickelt und hat ihren Ursprung in der psychoanalytischen Tradition. Im Wesentlichen geht es darum, in der persönlichen Vergangenheit nach Ursachen für aktuelle Probleme zu suchen und Bezug darauf zu nehmen. Wir gehen sozusagen an die Quelle, den Ursprung, um mehr zu verstehen und das neue Wissen dann im aktuellen Kontext zu verarbeiten, zu ändern oder zu integrieren. Hier darf etwas heilen. Wir haben die Erlaubnis, in die Vergangenheit gehen zu dürfen. Solche Prozesse sind oft zeitintensiver als Beratungsprozesse und sind auf eine längere Dauer angelegt.
Paarberatung: In Beratungsprozessen liegt das Augenmerk mehr auf eingegrenzten Themenbereichen, wofür konkrete Lösungsansätze erarbeitet werden.
Paarcoaching: Im Paarcoaching geht es nicht um frühe Beziehungserfahrungen oder direkte Lösungsvorschläge, sondern vordergründig um die Hilfe zur Selbsthilfe. Hier gräbt man eher an der Wurzel des Denkens, der eigenen Überzeugungen, Gewohnheiten und Standpunkte.
Weil die Begriffe Paartherapeut/Paarberaterin sehr das Paar im Namen betonen und alle anderen Beziehungsformen ausschließen, nennen sich viele inzwischen Beziehungstherapeut/Beziehungsberaterin.
Da ich in der Vergangenheit zu einem hohen Prozentsatz vorrangig mit Paaren zu tun hatte und diesbezüglich therapeutisch ausgebildet bin, bezeichne ich mich weiterhin als Paartherapeutin. In diesem Buch benutze ich die Begriffe Paartherapie, Paartherapeut und Paartherapeutin.
Menschen lieben Menschen
Für mich ist völlig klar, dass sich Menschen