Es begann in der Abbey Road. George Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454113
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Künstler unterhielt.

      Natürlich wollten alle Künstler einen Nummer-1-Hit landen. Falls ein Konkurrent ein Stück ergatterte (das nach ihrer Meinung ihnen selbst zugestanden hätte) und es damit schaffte, schob man uns die Schuld dafür in die Schuhe. Zum Beispiel: Norman Newell, der für den Pop-Katalog von Columbia zuständig war, landete mit Danny Williams’ Version von „Moon River“ einen Riesenhit. Wir von Parlophone nahmen das Stück nicht auf, und so war es gut möglich, dass eine Eve Boswell (sie stand bei uns unter Vertrag) mich anmeckerte und mir vorwarf: „Wieso habe ich ‚Moon River‘ nicht gehört? Und warum habe ich die Nummer nicht aufgenommen?“ Zu so einem Wutausbruch hätte die gute Frau leider jegliche Berechtigung gehabt.

      „Moon River“ stellte sich für meinen Assistenten Ron Richards als großes Fiasko heraus. Ich entsandte ihn ins Kino und erwartete einen Bericht und eine Einschätzung der Musik. Er schaute sich den kompletten Film an und schickte ein Memo: Er habe sich die Hintergrundmusik angehört, aber nichts Lohnenswertes entdecken können! Doch wir alle machen solche Fehler. Ich vertiefte mich immer mehr in das Geschäft und lernte die Journalisten, die Rundfunkmoderatoren, eigentlich die gesamte Branche kennen. Mit Noel Whitcomb vom Daily Mirror verband mich eine innige Freundschaft. Wie ein Lauffeuer hatte eine Nachricht die Runde gemacht, die auch uns nicht kaltließ. Einige Kids spielten erfolgreich in den sogenannten Coffee Bars, und so entschieden wir uns, dieses Phänomen genauer unter die Lupe zu nehmen. Eines Abends im Jahr 1957 besuchten wir die Two ’I’s Coffee Bar in Soho, um uns den neuen Act Tommy Steele and the Vipers Skiffle Group anzuschauen. Wir bestellten einen Kaffee, setzten uns hin und beobachteten den genialen jungen Mann, der mit seiner Gitarre in Hüfthöhe über die Bühne wirbelte. Mein erster Eindruck fiel nicht sonderlich positiv aus – ich stufte ihn als eine blonde Papp-Imitation von Elvis Presley ein. Noel teilte meine Einschätzung. Tommy hatte zwar viel Energie, doch seine Stimme klang nicht besonders gut – zumindest die wenigen Melodiefetzen, die ich hören konnte, denn die Vipers waren extrem laut und er nicht.

      Von heute aus betrachtet wirkte die Show harmlos, doch in jenen Tagen empfand ich sie als schockierend, ähnlich musikalischer Masturbation. Die zur Schau gestellten Beckendrehungen stießen mich ab, da ich mich rein auf die Musikalität und Qualität seiner Stimme konzentrierte. Noel stimmte mir zu: „Da ist nichts.“ Und so ließ ich Tommy Steele an mir vorbeiziehen.

      Aber ich mochte die Band und den Mut, mit dem sie ihre Musik umsetzten. Ich bot ihnen einen Vertrag an und produzierte mit ihnen viele erfolgreiche Platten. Doch Tommy Steele abzuweisen war offensichtlich eine große Dummheit, denn Decca trat einen Tag später an ihn heran, nahm den Sänger unter ihre Fittiche und machte einen großen Star aus ihm. Ich beichtete Sir Joseph Lockwood das Versäumnis, der damals die Geschäftsführung der EMI übernommen hatte. Er war offensichtlich sehr verärgert darüber. Ich hätte lieber mal den Mund halten sollen. Seit dieser Zeit habe ich Tommy schon mehrmals aufgenommen, woraufhin sich eine innige Freundschaft entwickelte, doch leider macht das den Fehler nicht ungeschehen.

      Allerdings gibt es auch Entscheidungen, aufgrund deren Manager unfair behandelt werden. Dick Rowe von der Decca ist klassisches Beispiel dafür. Er wurde bekannt als „der Mann, der die Beatles abgelehnt hat“ und muss dieses Kreuz nun bis zu seinem Grab tragen. Doch es ist unfair, denn jeder in Großbritannien lehnte die Beatles ab. Der einzige Unterschied zu Dick Rowe bestand darin, dass er genügend Grips hatte, ihnen Probeaufnahmen zu gewähren – und das nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal. Er zog es eindeutig in Betracht, die Band unter Vertrag zu nehmen. Statt ihn dafür anzuklagen, dass er sie letztendlich ablehnte, sollte man ihn wegen der Weitsicht loben, da er ihnen nun mal eine Chance gab, als alle anderen ablehnend reagierten.

      1954 erledigte ich beinahe alle Aufgaben für Parlophone, und Oscar arbeitete kaum noch. Lockwood war der neue Geschäftsführer, was für die Firma einer frischen Brise gleichkam. Eine Zeit lang hasste ihn jeder wegen seiner Skrupellosigkeit. Allerdings zog er den Karren der EMI aus dem Dreck und brachte das Unternehmen auf Kurs.

      Im Juli des Jahres bestand ich meine Führerscheinprüfung und startete in die „vierrädrige“ Welt. Das fragliche Vehikel war eine 1935er Austin Ten Cambridge Limousine, die mich 60 £ kostete. Das Gefährt war sicherlich nicht makellos, doch ein ideales Anfängerauto. Ich befand mich wegen der bestandenen Prüfung in Hochstimmung. Zurück im Büro, bot ich Oscar an, ihn nach Hause zu fahren, also zur Arkwright Road in Hampstead, nicht weit von den Studios entfernt gelegen.

      Dankbar sagte er zu, und wir machten uns um 18 Uhr auf den Weg. In bester Laune steuerte ich die Finchley Road hinunter und näherte mich der Ampel beim John-Barnes-Kaufhaus. Natürlich schaltete ich – nach dem Erhalt des Führerscheins ein erstklassiger Fahrer – vom oberen in den dritten Gang zurück. Doch ohne dass ich mich versah, hatte ich den langen Schaltknüppel mit einem kugelförmigen Aufsatz, der weit unten im Fahrerraum befestigt war – komplett in der Hand!

      Mit der nötigen (und aufgesetzten) Gelassenheit reichte ich Oscar das „amputierte“ Fahrzeugteil meines neuen Spielzeugs und meinte: „Würde es dir etwas ausmachen, den Knüppel ganz kurz zu halten?“ Ich steuerte den Wagen ganz vorsichtig an den Bordstein. Die Schaltung hatte sich im dritten Gang verkeilt. Das war nichts mehr zu machen. Was für eine Erniedrigung und Schmach! Und Oscar fuhr mit dem Taxi nach Hause!

      Wenn man meine erste Automobilerfahrung als wenig glücklich beschreiben will, so war ich mit den Verhältnissen bei der EMI noch unzufriedener. Das erste Problem bestand in der Vergütung, besser gesagt, der unzureichenden Vergütung. Nach drei Jahren war mein Lohn auf läppische 13 £, 9 Schilling und 3 Pence gestiegen, wovon mir nach den Abzügen noch 12 £, 6 Schilling und 8 Pence blieben. Die EMI hatte schon immer schlecht gezahlt, da sie glaubten, dass ein attraktiver Job eine angemessene Kompensation sei. Sogar Oscar wurde niemals angemessen entlohnt. Nach 50 Dienstjahren, während deren er ihnen sogar verschiedene Erfindungen vermacht hatte, erhielt er als Abschiedsgeschenk eine Ausgabe der Encyclopaedia Britannica. Das blieb ihm also nach all den Jahren.

      Als mir Frank Lee von Decca 1954 einen Job mit einem Jahreseinkommen von 1.200 £ anbot, war ich darauf erpicht, augenblicklich zuzuschlagen. Meine erste Tochter Alexis (Kosename: Bundy) war im vorhergehenden Jahr zur Welt gekommen, und meine wirtschaftliche Lage war mehr als dramatisch. Nach Abzug der laufenden Kosten plagten mich ständige Bargeldprobleme. Ich ging also zu C.H. Thomas, dem ersten Manager von EMI Records, und sagte: „Mir hat die Arbeit viel Freude bereitet, vielen Dank auch, aber der Lohn ist nicht gut genug. Ich habe eine neue Anstellung angenommen.“

      Nun, ich sagte das frei heraus und dachte überhaupt nicht daran, damit den Grundstein für ein regelrechtes Gefeilsche zu legen. Für mich war das kein Trick, um an mehr Lohn zu gelangen. Damals dominierte eine eindeutig moralische Grundhaltung mein Verhalten, und ich hätte Skrupel gehabt, so zu taktieren, was vom heutigen Standpunkt aus gesehen schon ziemlich naiv war.

      Doch der weltgewandte Thomas fasste es anders auf.

      „Meinen Sie nicht, dass Sie sich recht unfair verhalten?“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Ich kann es nicht zulassen, unsere Firma in eine Art Konkurrenzsituation zu bringen.“

      „Ich glaube, dass das nicht nötig ist“, antwortete ich und legte dabei meine Naivität offen. „Wollten Sie mir mehr bezahlen, hätten Sie das sicherlich schon gemacht.“

      „Tja, ich möchte Sie nicht verlieren und biete Ihnen hiermit die gleiche Summe an.“

      Soweit ich mich erinnern kann, waren es letzten Endes 1.100 £, also eine geringere Summe, doch Thomas versicherte mir, dass ich nach Oscars Ausscheiden aus dem Arbeitsleben Parlophone übernehmen dürfe, wenn es nach ihm gehe. Ich glaube, dass diese Perspektive den Ausschlag zum Bleiben gab, denn es war nicht sicher, was nach Oscars Pensionierung geschehen würde. Ich hatte Thomas erklärt, kein alter Knochen werden zu wollen, kein unbedeutendes Zahnrädchen im Getriebe. Ich wollte noch in meiner Jugend etwas erreichen! Und so nahm ich sein Angebot an und musste Frank Lee von Decca anrufen und absagen, der ziemlich verärgert reagierte, was mich nicht überraschte.

      Obwohl ich der EMI die Treue hielt, gab es noch einige Gründe, derentwegen ich mich unwohl fühlte. Mein Tagebuch verweist auf eine Notiz für ein Memo,