Blutige Straßen. Kerrie Droban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerrie Droban
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783854454489
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der Solos Weiße waren. Doch die Männer hatten nur wenige riskante Optionen. Südlich der Grenze durfte man Pops und Rudy nicht mehr überwachen. Die Kontrolle der Informanten war ein wichtiges Element, denn so etwas wie Vertrauen gab es einfach nicht. Beef stand kurz davor, diese Grundregel zu brechen, was ihm schon jetzt Gewissenbisse bereitete. Die Stimme des Vorgesetzten Gordon dröhnte noch in seinem Kopf: „Ich kann die Operation jederzeit abblasen.“

      „Wenn du bei dem Trip Scheiße baust, wirst du die Innenseite eines Gefängnisurinals auslecken!“, warnte er Rudy bei den Vorbereitungen. Diesen Informanten musste man ständig an seine Pflichten und die Verantwortung erinnern!

      „Denk noch nicht mal daran, mit denen zu fahren“, meinte Beef, den Finger auf Bird gerichtet. In den Augen des Operationsleiters zeigte sich die nackte Panik und Verzweiflung. Bird wusste, dass er sich momentan eine Antwort verkneifen musste, doch in einem kurzen, abgedrehten Moment dachte er an das Undenkbare. Wer würde es schon mitkriegen, wenn er mal kurz über die Grenze fuhr? Beef kannte Bird viel zu gut, wusste, dass sein Mann sich dieses Risiko zutraute und eine Exkursion nach Mexiko durchzöge. Und warum auch nicht? Wenn Bird sich schon als Biker ausgab, konnte er mit Sicherheit eine überzeugende Vorstellung bei den echten Solo Angeles hinlegen.

      Pops und Rudy erreichten am späten Nachmittag das in Tijuana gelegene Clubhaus der Solo Angeles. Das große freistehende Haus dominierte das Terrain. Ein angenehmer Geruch breitete sich über das Gelände aus. Außer Suzuki befand sich niemand im Gebäude. Der Typ trug einen Schwall schwarzen Haares, hatte einen überdimensionierten Kopf und kleine blutunterlaufene Augen, die die Neuankömmlinge wie Beute musterten. Er vermittelte den Eindruck einer Spinne in ihrem Netz. Totenstille breitete sich aus. Nach einigen Momenten kamen andere Member, ganz heiß auf die Versammlung, „Church“ genannt, und ein wenig neugierig auf die Mitglieder aus den Staaten. Eine wichtige Nacht stand bevor, denn angeblich wollten Mitglieder des Top Hatters Motorcycle Club den Solos beitreten, was bei den Bikern „Patching Over“ hieß. Nicht jedem gefiel es, dass hier Amis abhingen, denn es waren Außenseiter und sie hatten ihre Beiträge nicht gezahlt. Der Begriff Church stand in der Biker-Sprache für offizielle Versammlungen. Man erwartete von Mitgliedern, dass sie ihre Beiträge zahlten, an Versammlungen teilnahmen und an Geschäften des Clubs mitwirkten. Die Organisation verfügte über eine Satzung und feststehende Regeln. Oft bestimmten nicht die Verdienste auf den Straßen den Rang in der Hierarchie, sondern die allgemeinen Erfahrungen. Die „Predigt“ wurde auf Spanisch gehalten, einer Sprache, von der Pops kein Wort verstand.

      Danach verdonnerte Suzuki Rudy für die Erlaubnis, ein Nomad Chapter in Arizona zu gründen, zu einer Zahlung von 800 Dollar und belegte ihn aufgrund seiner 3-jährigen Fehlzeit mit einer Geldstrafe. Falls das Nomad Chapter den uneingeschränkten Segen von Suzuki „empfangen“ wollte, nötigte man Rudy dazu, eine Harley Davidson Evolution Sportster springen zu lassen. Dann wären sie quitt. Doch das Schlimmste kam noch! Pops verzog das Gesicht, als Suzuki ihnen den Befehl gab, monatlich einen Repräsentanten nach Tijuana zu entsenden, um an der Church teilzunehmen und Kohle anzuschleppen.

      „Wir werden dem Typen kein verdammtes Bike spendieren.“

      Beef schaltete auf Stur.

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      Bullhead City – Oktober 2002

      Wochen nach Pops und Rudys Rückkehr aus Tijuana ließen sich die Männer in ihren verschiedenen Rollen regelmäßig in der Stadt sehen. Sie verbrachten die Tage mit dem Abschließen von Drogengeschäften und hingen mit anderen Outlaws ab. Natürlich hechelten sie einer vernünftigen Auszeit hinterher – kurzen Zeitabschnitten, um ohne Unterbrechung zu pennen, den wenigen Stunden, in denen sie freiheraus sprechen konnten, ohne jedes Wort auf die Goldschale zu legen und sich zu ängstigen, dass ein anderer einen Satz falsch interpretierte. In dem Undercover-Haus teilte sich Bird den dreckigen Boden mit Timmy, Carlos und Rudy. Pops kauerte sich lieber in Reichweite der Tür zusammen. Sie hielten abwechselnd Wache, dazu gezwungen, dem jeweils anderen zu vertrauen. Bird konnte nie komplett abschalten. In Momenten totaler Dunkelheit, wo er als einziges Geräusch seinen Atem hörte, nickte er meist nur kurz ein.

      Im Zwielicht der Morgendämmerung schnappte sich Bird die Sig Sauer. Eine merkwürdige Stimmung schien den Raum zu erfüllen. Auf dem Pager leuchtete die Uhrzeit grell auf – 3 Uhr. Da war es wieder, ein klopfendes Geräusch in einer Ecke des Raums. Plötzlich hellwach, rappelte er sich auf. Die Venen in seinen Armen hatten sich wie Stahltaue zusammengezogen. Er nahm keine Bewegung im Haus wahr und schaute zur Seite. Wo zum Teufel steckte Timmy? Pops lag beim Fenster und murmelte etwas Unverständliches. Schlief er, oder war er wach? Carlos stand bewegungslos im Flur. Sein Schatten bildete sich auf der langen Wand ab, während er Rudy ins Visier nahm, der in voller Montur auf der Ecke einer Couch saß.

      Der Schließriegel der Hallentür war kaputt. Sie hing nur noch an einem Scharnier und öffnete sich quietschend im Wind. Für einen flüchtigen Moment fragte sich Bird, ob Rudy die Tür wohl absichtlich aufgelassen hatte. Der Typ war durch und durch unberechenbar, und Bird hegte keine Zweifel, dass er des Verrats fähig wäre. Hatte er sich ohne Wissen des Teams gestern Abend entfernt? Das hätte das Überwachungsteam doch bemerkt, oder etwa nicht?

      Mit gezogener Waffe und in gebückter Haltung schlich Bird zur Dusche, die im Dunkeln lag. Wasser tropfte langsam aus dem Hahn und bildete eine kleine Pfütze auf den Fliesen. Atmen. Einfach nur atmen. Kleine Füßchen kratzten über den Boden hinter ihm. Bird schnellte herum. Seine Finger zitterten. Aus einem Reflex heraus hätte er beinahe gefeuert, doch er fing sich trotz der Unsicherheit schnell genug wieder. Er konnte es kaum fassen, als er den Schwanz einer großen Ratte sah, die sich hinter einem Sandsack versteckte.

      Ein Streichholz leuchtete im Dunkel auf. Rudy steckte sich eine Kippe an und machte es sich auf der Couch bequem. „Ihr Typen wisst doch einen Scheiß von Rockern“, giftete er, dabei mit dem Kopf in Richtung Tür nickend. Er rieb sich die Nase und zog das Gesicht schmerzverzerrt zusammen. Bird vermutete, dass Rudy der Zinken vom Drogenschnupfen höllisch weh tat.

      „Und weißt du, warum? Weil wir Cops und keine Biker sind, du Schwachkopf“, erinnerte ihn Carlos. Die aufgeladene Atmosphäre zwischen den beiden war deutlich zu spüren. Er warf Bird einen wissenden Blick zu. Dieses dumme Arschloch hatte sich Dope von seinem letzten überwachten Kauf abgezweigt und nun den Nerv, das Zeug vor ihren Augen zu sniefen. Mit dem Zeigefinger machte Timmy eine eindeutige Geste an seinem Hals, dabei Bird signalisierend, was eigentlich alle wussten – Rudys Zeit war abgelaufen.

      „Du meist, dass du was Besonderes bist“, forderte Rudy Carlos heraus. „Du bist kein bisschen besser als ich. Aus welcher mexikanischen Stadt kommst du überhaupt?“ Er wollte Carlos zu einer Schlägerei provozieren, ganz genau wissend, dass sein Gegenüber Puerto Ricaner war.

      „Macht mal halblang, ihr beiden“, warnte Bird und verbarrikadierte die Tür mit einem Sandsack, während er sich einen Plan zurechtlegte.

      Sein Blick fiel auf die am Boden liegenden Papierfetzen, die im Licht der nackten, milchigen Glühbirne unheimlich weiß erschienen: Namen der von Smitty ausgewählten Opfern, Gerichtsdokumente und Fotos von einem angepeilten Haus sowie von zu befragenden Zeugen. Smitty hatte Wind von Birds Ruf als Auftragskiller und Schuldeneintreiber bekommen. Die beiden hatten sich einige Stunden zuvor in seinem zugestellten Wohnzimmer getroffen, wo er Bird das Angebot unterbreitete, ausstehende Schulden von Drogendealern klarzumachen. Lydia zog sich während der Geschäftsbesprechung pflichtbewusst zurück, nicht ohne vorher aber durch den schwarzen Perlenvorhang zu verschwinden, um den Männern Bier zu besorgen. Smitty saß auf dem Rand der blutroten Couch, lehnte sich vor, grinste und flüsterte konspirativ in Birds Richtung: „Mach, was du machen musst.“

      Bird nickte und strich „Verabredung zu einer strafbaren Handlung“ von seiner gedanklichen Liste. Dann hörte er Smittys Wortschwall weiter zu: „Ich verbrachte meine Zeit mit Arbeit, Saufen, dem Fahren, Frauenaufreißen und damit, ein mieses Arschloch zu sein.“ Doch ein Mann wie Bird ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Smitty erinnerte ihn daran, dass er an allererster Stelle Geschäftsmann sei und als solcher eine Kompensation für die „Überweisungen“ kassieren