Smirre stand oben auf dem Gebirgskamm und schaute zu den Wildgänsen hinunter. „Diese Verfolgung kannst du ebensogut gleich aufgeben,“ sagte er zu sich selbst. „Einen so steilen Berg kannst du nicht hinunterklettern, durch den wilden Strom kannst du nicht schwimmen, und unten am Berg ist auch nicht der kleinste Streifen Land, der zur Schlafstelle der Gänse führen würde. Diese Gänse sind dir zu klug, Reineke. Gib dir keine Mühe mehr, sie zu jagen.“
Aber wie andern Füchsen auch, wurde es Smirre schwer, ein halb ausgeführtes Unternehmen aufzugeben; er legte sich deshalb ganz außen an den Bergrand und verwandte kein Auge von den Wildgänsen. Während er sie so betrachtete, dachte er an all das Böse, das sie ihm zugefügt hatten. Ja, ihre Schuld war es, daß er aus Schonen verbannt worden war und nach Blekinge hatte flüchten müssen, wo er bis jetzt noch keinen Herrenhofpark, keine zahmen Gänse, kein Wildgehege voller Rehe und leckerer Rehzicklein gesehen hatte. Er arbeitete sich in eine solche Wut hinein, während er so dalag, daß er den Gänsen Tod und Verderben wünschte, sogar wenn er selbst nicht dazu kommen sollte, sie zu verspeisen.
Als Smirres Zorn diesen hohen Grad erreicht hatte, hörte er in einer großen Kiefer dicht neben sich ein Geraschel, und er sah ein Eichhörnchen, das von einem Marder heftig verfolgt wurde, den Baum herunterlaufen. Keines von den beiden bemerkte Smirre, der sich ganz ruhig verhielt und der Jagd zusah, die von Baum zu Baum ging. Er betrachtete das Eichhörnchen, das so leicht durch die Bäume huschte, als ob es fliegen könnte. Er betrachtete auch den Marder, der kein so kunstgerechter Kletterer war wie das Eichhörnchen, aber doch die Baumstämme hinauf und hinunter lief, als seien es ebene Waldpfade.
„Könnte ich nur halb so gut klettern wie eins von diesen beiden,“ dachte der Fuchs, „dann dürften die dort drunten nicht länger in Ruhe schlafen.“
Sobald die Jagd zu Ende und das Eichhörnchen gefangen war, ging Smirre zu dem Marder hin, machte aber zum Zeichen, daß er ihn seiner Jagdbeute nicht berauben wolle, auf zwei Schritt Abstand vor ihm Halt. Er begrüßte den Marder sehr freundlich und gratulierte zu dem Ausfall der Jagd. Smirre setzte seine Worte sehr gut, wie dies beim Fuchs immer der Fall ist. Der Marder dagegen, der sich mit seinem langen, schmalen Körper, seinem feinen Kopf, seinem weichen Fell und seinem hellbraunen Fleck am Halse wie ein kleines Wunder von Schönheit ausnimmt, ist in Wirklichkeit nur ein ungeschlachter Waldbewohner und gab dem Fuchs kaum eine Antwort.
„Nur eins verwundert mich,“ fuhr Smirre fort, „daß sich ein solcher Jäger wie du mit der Jagd auf Eichhörnchen begnügt, wenn sich so viel besseres Wildbret in erreichbarer Nähe befindet.“ Hier hielt er inne und wartete auf eine Erwiderung, aber als der Marder ihn, ohne ein Wort zu sagen, ganz unverschämt angrinste, fuhr er fort: „Wäre es möglich, daß du die Wildgänse dort unten an der Felswand nicht gesehen hättest? Oder bist du kein so guter Kletterer, daß du nicht zu ihnen hinunter gelangen könntest?“
Diesmal brauchte Smirre nicht auf Antwort zu warten. Der Marder stürzte mit gekrümmtem Rücken und gesträubtem Fell auf ihn zu. „Hast du Wildgänse gesehen?“ zischte er ihn an. „Wo sind sie? Sag es schnell, sonst beiße ich dir die Gurgel entzwei.“
„Nun, nun, vergiß nicht, daß ich doppelt so groß bin als du, und sei ein bißchen höflich. Ich wünsche gar nichts weiter, als dir die Wildgänse zu zeigen.“
Einen Augenblick später war der Marder auf dem Wege den Abhang hinunter, und während Smirre zusah, wie er seinen schlangendünnen Körper von Zweig zu Zweig schwang, dachte er: „Dieser schöne Baumjäger hat das grausamste Herz der ganzen Schöpfung. Ich glaube, die Wildgänse werden mir für ein blutiges Erwachen zu danken haben.“
Aber gerade, als Smirre den Todesschrei der Gänse zu hören erwartete, sah er den Marder in den Fluß hinunterplumpsen, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Und gleich nachher erklang starkes Flügelschlagen, und alle Gänse flogen in wilder Hast auf.
Smirre wollte den Gänsen schnell nachjagen, aber er war so neugierig zu erfahren, wie sie gerettet worden waren, daß er stehen blieb, bis der Marder wieder heraufgeklettert kam. Der Ärmste war patschnaß und hielt ab und zu an, um sich den Kopf mit den Vorderpfoten zu reiben.
„Ich habe mir doch gedacht, daß du ein Tölpel wärst und in den Fluß fallen würdest,“ sagte Smirre verächtlich.
„Ich habe mich nicht tölpelhaft angestellt, und du hast nicht nötig, mich zu schelten,“ erwiderte der Marder. „Ich saß schon auf einem der untersten Zweige und überlegte, wie ich eine ganze Menge von ihnen töten könnte, als ein kleiner Knirps, nicht größer als ein Eichhörnchen, aufsprang und mir mit solcher Kraft einen Stein an den Kopf warf, daß ich ins Wasser purzelte, und ehe ich wieder aus dem Wasser herauskrabbeln konnte – –“
Der Marder brauchte nicht weiter zu berichten. Er hatte keinen Zuhörer mehr. Smirre war schon weit weg hinter den Gänsen her.
Indessen war Akka südwärts geflogen, eine neue Schlafstelle zu suchen. Es war noch ein wenig Tagesschein vorhanden, und der Halbmond stand hoch am Himmel, so daß sie einigermaßen sehen konnte. Zum Glück kannte sie sich gut in der Gegend aus, denn es war mehr als einmal vorgekommen, daß die Gänse, wenn sie im Frühjahr über die Ostsee flogen, nach Blekinge verschlagen worden waren.
Sie flog also am Fluß hin, solange sie ihn durch die mondscheinbeglänzte Landschaft wie eine schwarze, blinkende Schlange dahingleiten sah. Auf diese Weise gelangten sie bis hinunter zum Tiefen Fall, wo der Fluß sich in einer unterirdischen Rinne verbirgt und dann klar und durchsichtig, wie wenn er von Glas wäre, sich in eine enge Schlucht hinabstürzt, auf deren Boden er in glitzernde Tropfen und umherspritzenden Schaum zerschellt. Unterhalb des Falles lagen einige Steine, zwischen denen das Wasser in wilden Wirbeln aufschäumte, und hier ließ sich Akka nieder. Dies war wieder ein guter Ruheplatz, besonders so spät am Abend, wo keine Menschen mehr unterwegs waren. Bei Sonnenuntergang hätten die Gänse sich nicht gut hier niederlassen können, denn der Tiefe Fall liegt in keiner öden Gegend. Auf der einen Seite erhebt sich eine große Kartonnagefabrik, und auf der andern, die steil und mit Bäumen bestanden ist, liegt der Park von Tiefental, in dem beständig auf den schlüpfrigen und steilen Pfaden Menschen umherstreifen, die sich an dem tobenden Brausen des wilden Stromes erfreuen wollen.
Es war hier gerade wie an dem ersten Platz; keine der Gänse schenkte der Tatsache, daß sie an einen weltberühmten Platz gekommen waren, auch nur einen Gedanken. Später dachten sie freilich, es sei unheimlich und gefährlich, auf solchen glatten, nassen Steinen mitten in einem Stromwirbel zu schlafen, der vielleicht aufwallen und sie mit fortreißen würde. Aber sie mußten zufrieden sein, wenn sie nur vor Raubtieren sicher waren.
Nach einer Weile kam Smirre am Flußufer dahergerannt. Er erblickte die Gänse, die da draußen in den schäumenden Stromschnellen standen, und sah sogleich, daß er auch hier nicht zu ihnen gelangen konnte. Er fühlte sich sehr gedemütigt, ja, es war ihm, als stehe sein ganzes Ansehen als Jäger auf dem Spiel.
Während er darüber nachdachte, sah er einen Fischotter mit einem Fisch im Maul aus dem Wirbel heraussteigen. Smirre ging auf ihn zu, blieb aber mit zwei Schritt Entfernung vor ihm stehen, um zu zeigen, daß er ihm seine Jagdbeute nicht nehmen wolle. „Du bist ein merkwürdiger Kerl, daß du dich mit Fischen begnügst, wenn doch die Steine dort draußen voller Gänse stehen,“ sagte Smirre. Er war so erregt, daß er sich nicht Zeit nahm, seine Worte so wohl zu setzen, wie es sonst seine Gewohnheit war.
Der Fischotter wendete nicht einmal den Kopf nach dem Strom. „Dies ist nicht das erstemal, daß wir uns begegnen, Smirre,“ sagte er. Er war ein Landstreicher, wie alle Fischotter, und hatte oft am Vombsee gefischt, wo er auch mit Smirre zusammengetroffen war. „Ich weiß wohl, wie du es anfängst, dir eine Lachsforelle zu ergattern.“
„Ach, bist du es, Greifan?“ sagte Smirre erfreut, weil er wußte, daß dieser Fischotter ein