„Was soll denn aber das bedeuten?“ fragte Akka. „Es sieht aus, als habest du mehr von mir erwartet, als ich dir jetzt geboten habe.“
Aber der Junge dachte an sorgenfreie Tage und lustige Neckereien, an Abenteuer und Freiheit und an die Reisen hoch über der Erde hin, deren er nun verlustig gehen würde, und er weinte laut vor Kummer und Betrübnis. „Ich mache mir nichts daraus, wieder ein Mensch zu werden!“ schluchzte er. „Ich will mit euch nach Lappland!“
„Ich will dir etwas sagen,“ erwiderte Akka. „Das Wichtelmännchen ist sehr leicht verletzt, und ich fürchte, es werde dir schwer werden, es ein andres Mal zu deinen Gunsten zu stimmen, wenn du sein Anerbieten jetzt ausschlägst.“
Es war von jeher merkwürdig gewesen, daß dieser Junge noch niemals jemand eigentlich lieb gehabt hatte, weder Vater noch Mutter, noch den Schullehrer, noch die Schulkameraden, noch die Jungen auf den Nachbarhöfen. Alles, was sie je von ihm verlangt hatten, einerlei, ob es sich um Spiel oder Arbeit handelte, war ihm langweilig vorgekommen. Deshalb gab es jetzt auch keinen Menschen, nach dem er sich gesehnt oder den er vermißt hätte.
Die einzigen, mit denen er sich einigermaßen vertragen hatte, waren das Gänsemädchen Åsa und ihr Bruder Klein-Mats gewesen, ein paar Kinder, die wie er auch Gänse hüteten. Aber auch mit ihnen verband ihn keine richtige Freundschaft. O nein, ganz und gar nicht!
„Ich will nicht wieder ein Mensch werden!“ schluchzte der Junge. „Ich will euch nach Lappland begleiten! Deshalb bin ich eine ganze Woche lang artig gewesen.“
„Es soll dir nicht verweigert werden, uns zu begleiten, so lange du Lust hast,“ sagte Akka. „Aber überlege dir nun zuerst, ob du nicht lieber nach Hause zurückkehren möchtest. Es könnte ein Tag kommen, wo du es bereutest.“
„Nein,“ sagte der Junge, „da ist nichts zu bereuen. Es ist mir noch nie so gut gegangen, wie hier bei euch.“
„Nun, dann sei es also, wie du willst,“ sagte Akka.
„Danke, danke!“ rief der Junge. Und er fühlte sich so glücklich, daß er jetzt ebenso vor Freude weinen mußte, wie er vorher vor Kummer geweint hatte.
4 Haus Glimminge
Schwarze Ratten und graue Ratten
Im südöstlichen Schonen, nicht weit vom Meere entfernt, liegt eine alte Burg, Glimmingehaus genannt. Sie besteht aus einem einzigen hohen, großen und starken steinernen Bau, den man in der ebenen Gegend meilenweit sehen kann. Sie hat nur vier Stockwerke, ist aber so mächtig, daß ein gewöhnliches Bauernhaus, das auf demselben Gut steht, sich wie ein Puppenhäuschen dagegen ausnimmt.
Die äußern Mauern und die Zwischenwände und Wölbungen dieses steinernen Hauses sind alle so dick, daß im Innern kaum noch für etwas andres Raum ist als für die dicken Quermauern. Die Treppen sind eng, die Gänge schmal, und es sind nur wenig Zimmer da. Und damit die Mauern ihre Stärke behalten sollten, ist auch nur eine kleine Zahl Fenster in den obern Stockwerken angebracht worden, in dem untersten aber sind überhaupt nur kleine Lichtöffnungen. In den alten Kriegszeiten waren die Menschen nur zu froh, wenn sie sich in ein so großes, starkes Haus einschließen konnten, wie jemand jetzt im eisigkalten Winter froh ist, wenn er in seinen Pelz hineinkriechen kann. Aber als die gute Friedenszeit kam, wollten die Leute nicht mehr in den dunkeln, kalten steinernen Räumen der Burg wohnen; sie haben schon seit langer Zeit Glimmingehaus verlassen und sind in Wohnungen gezogen, wo Luft und Licht hineindringen können.
Zu der Zeit, wo Nils Holgersson mit den Wildgänsen umherzog, befanden sich also keine Menschen in Glimmingehaus, aber deshalb fehlte es da doch nicht an Bewohnern. Auf dem Dache wohnte jeden Sommer ein Storchenpaar in einem großen Nest. Unter dem Dache wohnten zwei Nachteulen, in den Gängen hingen Fledermäuse, auf dem Herd in der Küche wohnte eine alte Katze, und drunten im Keller gab es Hunderte von der alten Sorte der schwarzen Ratten.
Ratten stehen nicht gerade in großem Ansehen bei den andern Tieren; aber die schwarzen Ratten auf Glimmingehaus machten eine Ausnahme, und es wurde immer mit Achtung von ihnen gesprochen, weil sie im Streit mit ihren Feinden große Tapferkeit bewiesen hatten und auch sehr viel Ausdauer während der großen Unglückszeiten, die über ihr Volk hingegangen waren. Sie gehörten nämlich einem Rattenvolk an, das einmal sehr zahlreich und mächtig gewesen, jetzt aber am Aussterben war. Während einer langen Reihe von Jahren hatten die schwarzen Ratten, Landratten genannt, Schonen und das ganze Land besessen. Sie waren fast in jedem Keller zu finden gewesen, fast auf jedem Boden, in Scheunen und auf Heuböden, in Vorratskammern und Backstuben, in den Wirtschaftsgebäuden und Ställen, in Kirchen und Burgen, in Brennereien und Mühlen, sowie in allen andern von Menschen bewohnten Gebäuden; aber jetzt waren sie von allen diesen vertrieben und beinahe ausgerottet. Nur auf dem einen oder andern einsam gelegenen Platz konnte man noch einige antreffen, aber nirgends waren sie so zahlreich wie auf Glimmingehaus.
Wenn ein Tiervolk ausstirbt, beruht das meistens auf dem Vorgehen der Menschen; hier aber war das nicht der Fall gewesen. Die Menschen hatten freilich mit den schwarzen Ratten gekämpft, sie hatten ihnen aber keinen namhaften Schaden zufügen können. Wer sie besiegt hatte, das war ein Tiervolk ihres eignen Stammes gewesen, ein Volk, das man die grauen Ratten nannte. Die grauen Ratten, oder die Wanderratten, hatten nicht wie die schwarzen von Urzeiten her im Lande gewohnt. Sie stammten von ein paar armen Einwanderern her, die vor hundert Jahren von einem lübischen Schiff in Malmö ans Land gestiegen waren. Sie waren heimatlose, halb verhungerte Tröpfe, die in diesem Hafen ihren Aufenthalt nahmen, um die Pfeiler unter den Brücken herumschwammen und den Abfall fraßen, der ins Wasser geworfen wurde. Nie wagten sie sich in die Stadt hinein, die den schwarzen Ratten gehörte.
Aber allmählich, nachdem die grauen Ratten an Zahl zugenommen hatten, faßten sie Mut und gingen in die Stadt hinein. Anfangs zogen sie nur in ein paar alte verlassene Häuser, die die schwarzen Ratten aufgegeben hatten; sie suchten ihre Nahrung in Rinnsteinen und auf Misthaufen und nahmen mit allem Unrat vorlieb, den die schwarzen Ratten nicht anrühren wollten. Es waren wetterfeste, genügsame und unerschrockene Tiere; und in ein paar Jahren waren sie so mächtig geworden, daß sie es unternahmen, die schwarzen Ratten von Malmö zu verjagen. Sie nahmen ihnen Dachräume, Keller und Magazine weg, hungerten sie aus, oder bissen sie tot, denn sie fürchteten sich durchaus nicht vor Kampf und Streit.
Und nachdem Malmö genommen war, zogen sie in kleinern und größern Scharen aus, das ganze Land zu erobern. Es ist beinahe unbegreiflich, warum die schwarzen Ratten sich nicht zu einem großen gemeinsamen Heereszug versammelten und die grauen Ratten vernichteten, so lange diese noch nicht zahlreich waren. Aber die schwarzen waren wohl von ihrer Macht so überzeugt, daß sie sich die Möglichkeit, das Land zu verlieren, gar nicht vorstellen konnten. Sie saßen ruhig auf ihren Besitztümern, und inzwischen nahmen ihnen die grauen Ratten Hof um Hof, Dorf um Dorf, Stadt um Stadt weg. Sie wurden ausgehungert, verdrängt, ausgerottet. In Schonen hatten sie sich nirgends halten können, ausgenommen auf Glimmingehaus.
Das alte steinerne Haus hatte so dicke Mauern und so wenige Rattengänge führten hindurch, daß es den schwarzen Ratten gelungen war, es zu halten und die grauen Ratten am Hereindringen zu verhindern. Ein Jahr ums andre, eine Nacht um die andre war der Streit zwischen den Angreifern und Verteidigern fortgegangen; aber die schwarzen Ratten hatten treulich Wache gestanden und mit der größten Todesverachtung gekämpft, und dank dem alten, prächtigen Haus hatten sie bis jetzt immer gesiegt.
Es muß zugegeben werden, daß die schwarzen Ratten, so lange sie die Macht gehabt hatten, von allen lebenden Geschöpfen