Almas Baby. Christina Füssmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Füssmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672382
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in der Vorstellung von Normalität und Unauffälligkeit. Ein Leben, das andere als ereignislos und bedrückend alltäglich abgetan hätten. Für sie bedeutete es alles, was sie sich wünschte. Bertholds Vorstellungskraft reichte nicht aus, um das nachvollziehen zu können. Als eine kleine Lache Bier aus ihrem schweren Krug auf den Holztisch schwappte, reagierte Alma mit übertriebener Geschäftigkeit. Hektisch wischte sie auf dem Tisch herum – zunächst mit Papiertaschentüchern und dann sogar mit ihren T-Shirt-Ärmeln, als alles längst trocken schien. So als wollte sie ausradieren, was ihr Leben an Spuren in dem Mikrokosmos um sie herum hinterlassen hatte. Als sie Bertholds erstaunten Blick auffing, zog sie die Schultern zusammen, ließ sich zurück auf die Holzbank fallen und kauerte sich zusammen, als erwarte sie ihre verdiente Strafe. Irgendjemand, so dachte Berthold, habe sie bisher wohl immer für alles und jedes verantwortlich gemacht. Wer auch immer es gewesen sein mochte, er würde es herausfinden.

      Kapitel 4

      Alma war eigentlich seit ihrer Kindheit nicht mehr Fahrrad gefahren, aber Berthold zu Liebe strampelte sie sich ab. Er war ein begeisterter Radsportler und Alma merkte rasch, dass die Verbindung zu ihm auch an sein Hobby gekoppelt war. Es machte ihn offensichtlich glücklich, wenn sie gemeinsam durch den grünen Süden der Stadt radelten. Und da sie sich im Frühsommer kennengelernt hatten, blieb genügend Zeit für diese äußerst aktive Art der Freizeitgestaltung. Erst radelten sie durch Alleen mit blühenden Obstbäumen, später breiteten sich rechts und links neben ihnen goldene Rapsfelder aus. Nach den Serpentinen in Syburg machten sie meistens an der Ruhr Halt und sahen von der ­Brücke aus zu, wie die Leute ihre Kanus übers Wasser trieben. Manche mit sportlichem Ehrgeiz, auf Tempo bedacht. Andere geruhsam. Ein Sonntagsvergnügen. Alma stand gern dort und stützte sich aufs Brückengeländer. Häufig schleckten sie dabei Eis, das sie vom Wagen des Verkäufers holten, dessen Ankunft eine laute Glocke stets rechtzeitig bekannt machte.

      Berthold hatte bei den Touren anfangs immer auf Alma Rücksicht genommen und das Trainingsprogramm – denn so etwas war es wohl für sie – nur langsam gesteigert. Sie merkte, dass ihr die sport­liche Betätigung gut tat. So als würde das letzte Gift aus ihrem angegriffenen Körper vertrieben.

      Manchmal hätte sie schon gern etwas anderes unternommen – einen Kinobesuch oder Ähnliches. Aber Berthold meinte, das könnten sie immer noch im Winter tun. Und wenn er so etwas sagte, erfüllte sie diese Aussicht auf Dauerhaftigkeit, die er ihr auf diese Weise schenkte, mit einem großen Glücksgefühl.

      Und so vergingen drei Monate. An einem Sonntagnachmittag im August nahmen sie die nord-östliche Route raus aus der Innenstadt. Alma wunderte sich, denn die Strecke war nicht gerade attraktiv. Sie führte an dem, auch am Sonntag immer recht stark befahrenen Hellweg entlang. Sie radelten bis Asseln hintereinander her. Dann stieg Berthold in der sogenannten Märchen-Siedlung vor einer Doppelhaushälfte vom Fahrrad ab.

      „Ist was?“, fragte Alma.

      Berthold öffnete das Gartentörchen und grinste sie fröhlich an: „Nö, ich dachte nur, wir könnten bei meiner Mutter Kaffee trinken.“

      Alma kam es zum ersten Mal seit sie Berthold kannte wieder vor, als habe man sie in eine Wanne mit Eiswasser getaucht. Gerade so fühlte es sich früher an, als sie noch einen Affen geschoben hatte. Sie musste aufpassen, dass ihre Zähne nicht klapperten an diesem warmen Nachmittag. Aber Berthold, der sein Rad bereits vor der Haustür mit der Kette an ein offensichtlich dafür vorgesehenes Gestänge angeschlossen hatte, kam auf sie zu und legte ihr den Arm um die Schulter: „Komm schon oder hast du Angst, sie könnte dich beißen?“

      Eine Antwort darauf musste Alma ihm schuldig bleiben, denn Gisela Behrend schien ihre Gäste bereits erwartet und beobachtet zu haben. Sie öffnete die Tür, bevor die beiden noch davor standen.

      Nein, sie biss wirklich nicht. Im Gegenteil. Sie war ausgesprochen freundlich: „Das freut mich aber, dass ich Sie mal kennenlerne. Berthold hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Er hat aber nie erwähnt, was für ein hübsches Mädchen Sie sind. Sie sollten Ihr wunderschönes Haar offen tragen.“

      Alma zog das Gummiband von ihrem Pferdeschwanz und schüttelte ihre lockige, rotblonde Mähne: „Auf dem Fahrrad ist es praktischer, wenn man die Haare zusammenbindet.“

      „Tolle Farbe. Ist die echt? Entschuldigung, aber bei einer ehemaligen Friseuse liegt die Frage schließlich nahe.“

      „Friseurin,“ korrigierte Alma automatisch.

      „Ach ja, so sagt man wohl heute. Aber eigentlich ist es doch ganz egal.“ Das klang genau so, als stünde dieser Beruf ohnedies bei Gisela Behrend nicht in besonders hohem Ansehen.

      Aber vielleicht war es ja auch nur schlichtes Geplänkel auf dem Weg von der Haustür durch das Wohnzimmer – in dem jedes noch so kleine Detail an seinem Platz schien. Auf der Terrasse war bereits der Kaffeetisch gedeckt. Kein Über­raschungsbesuch also.

      Die Tischdecke so weiß wie der Phlox, der im frisch gejäteten Beet blühte. Kein Platz für Unkraut. Die Natur nach Farben geordnet.

      „Ihr habt euch auf dem Straßenfest kennengelernt? Na, ja, das Leben geht eben oft seltsame Wege. Ich dachte ja immer, Berthold würde seiner Lebenspartnerin im Amt begegnen. Das liegt doch nahe, oder? Mein verstorbener Mann war auch Beamter, müssen Sie wissen.“ Gisela schenkte die Kaffeetassen voll. „Ein Stückchen Kirschkuchen? Der hat nicht so viele Kalorien. Ihr jungen Frauen achtet ja heutzutage so sehr auf die schlanke Linie.“

      Sie ist Bertholds Mutter, dachte Alma, und sie ist eine sympathische Frau. Sympathisch wie ihr Sohn. Trotzdem besteht kein Grund, sie allzu häufig zu treffen. Das ist heute die Ausnahme.

      „Wir sind vorbei gekommen, Mutti“, begann Berthold feierlich, „weil ich dir sagen wollte, dass ich Alma gerne heiraten möchte – falls sie mich überhaupt will.“

      Beide Frauen erstarrten. So habe ich mir einen Heiratsantrag eigentlich nicht vorgestellt, dachte Alma und starrte Gisela Behrend an, wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlange. Aber ihre zukünftige Schwiegermutter zeigte keine auffälligen Reaktionen. Sie führte ihre Kaffeetasse mit abgespreiztem kleinen Finger an die Lippen, nahm einen kleinen Schluck und setzte das Meißener Porzellan vorsichtig wieder ab: „So, so. Habt ihr’s so eilig? Eigentlich sollte so ein Schritt ja reiflich überlegt sein. Aber das habt ihr ja bestimmt getan. Noch ein Stückchen Kuchen, Alma? Angesichts der überraschend neuen Lage darf ich doch jetzt wohl Alma sagen, oder?“ Alma nickte, wobei offen blieb, ob sie damit der vorgeschlagenen Duzform zustimmen wollte oder noch Lust auf Kirschtorte verspürte. Sie war wie gelähmt. Alles, was am Kaffeetisch an diesem Nachmittag noch geredet wurde, rauschte an ihr vorbei, wie ein Schwall, der sie nicht berührte, ja ihr Interesse nicht einmal streifte. Selbst die Erörterung, ob und wann das junge Paar nach der Hochzeit die obere Etage in Bertholds Elternhaus beziehen sollte, schien sie zunächst nichts anzugehen. Sie reagierte erst wieder, als Gisela sie direkt ansprach: „Das wäre doch praktisch. Wenn du mal wieder in deinem Beruf arbeiten willst, hast du in mir später den idealen Babysitter.“

      Kinder. Ja, Alma wollte Kinder. Auf jeden Fall. Vor Kindern musste man sich nicht fürchten. Denen konnte man alle Liebe geben, ohne Angst zu haben, dass man zurückgewiesen würde. Und außerdem: Eine Frau musste ihrem Mann Kinder schenken. Das war schließlich der Sinn der Ehe. So hatte sie es zu Hause oft genug von ihrem Vater gehört. Er selbst kümmerte sich allerdings eher wenig um seine Familie, aber trotzdem war er sich in diesem Punkt ganz sicher. Prinzipien wurden von ihm stets hochgehalten. Wenn Alma an ihre Familie zu Hause dachte, erinnerte sie die Situation oft an die jener Frau, die sich öffentlich beim Wunschkonzert im Radio mit der Wahl eines Liebeslieds dafür bedankte, dass ihr Ehemann ihr nach ihrem Beinbruch im Haushalt geholfen habe. Für sie schien ihr Mann offenbar etwas Besonders geleistet zu haben, obschon andere es wohl als seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ansehen würden. Aber was sollte das jetzt? Die Bemerkung von der idealen Babysitterin schreckte Alma auf. Sie würde ihre Kinder keinem fremden Menschen überlassen. Auch nicht Bertholds Mutter. „Nein“, sagte sie darum entschieden, „das werde ich nicht tun.“

      Berthold, der ihre Verweigerung offensichtlich allein auf das Wohnungsangebot seiner Mutter bezogen hatte, sagte begütigend: „Das können