Jetzt sollte ich wieder bummeln. Ich fuhr also, als ließe ich die Zügel schleifen, weil das Pferd den Weg kennt.
Meine Gedanken eilten nirgendwohin, ich versank nicht in Wachträume, ich schaltete mich nur aus, als gäbe es mich nicht. So etwas hatte ich einst ›Kohlleben‹ genannt. Immerhin, die Aufmerksamkeit glomm, denn ich machte halt laut Plan. Es war ein guter Halteplatz. Ich stand unterhalb der Höhe eines sanften Hügels, dort wo die Autobahn als geometrische Ausschachtung in seinen Rücken einschnitt. Durch diese Kerbe reichte der Blick wie durch ein großes Tor bis zum Horizont, wo der Betonstreifen mit entschiedenem Schwung den nächsten sanften Buckel durchtrennte. Es sah aus, als wäre hier die Kimme und dort das Korn. Ich wischte die Scheibe, und weil ich dazu den Kofferraum öffnen musste – die Kleenextücher waren mir ausgegangen –, berührte ich den weichen Boden des Koffers; dort ruhte mit ihrem Gewicht die Waffe. Wie in unbewusster Verabredung schalteten alle Fahrer fast gleichzeitig die Scheinwerfer ein. Mein Blick umfasste einen beträchtlichen Raum. In Richtung Neapel leuchteten weiße Streifen, in Richtung Rom glühte es, als rollten rote Kohlestückchen die Straße entlang. Am Grunde des Kessels bremsten die Wagen, und dieses Bremsen mit seinem flimmernden Rot bebte stets auf demselben Streckenabschnitt, ein hübsches Beispiel für eine stehende Welle. Wäre die Straße dreimal so breit gewesen, hätte es in Texas oder Montana sein können. Wenige Schritte von der Straße entfernt war ich so allein, dass mich heitere Ruhe umfing.
Die Menschen brauchen Gras wie die Ziegen, sie wissen es nur nicht so gut wie jene. Als am unsichtbaren Himmel ein Hubschrauber vorbeidröhnte, warf ich die Zigarette fort und stieg in den Wagen. Das Innere hatte einen Rest der Tageshitze bewahrt.
Hinter den nächsten Hügeln kündigten schattenlose Leuchtröhren die Nähe Roms an. Doch hatte ich einen weiteren Weg, da ich die Stadt umfahren musste. Die Dämmerung machte die Menschen in den Autos unsichtbar und verlieh den Gepäckstücken auf den Dächern rätselhafte Formen. Alles wurde wichtig und anonym, voll von Unausgesprochenem, als stünden am Ende des Weges unendlich bedeutsame Angelegenheiten. Ein Reserveastronaut muss wenigsten zu einem kleinen Teil schofel sein, denn irgendetwas in ihm wartet auf das Stolpern der richtigen Astronauten, und wenn es nicht wartet, so ist er ein Esel. Ich musste später noch einmal halten, der Kaffee, das Plimasin, der Schweppes, das Eiswasser wirkten, ich verließ den Bereich der Straße, und die Umgebung überraschte mich – nicht nur der Verkehr schien verschwunden, sondern mit ihm auch die Zeit. Abgewandt roch ich durch den Dunst der Abgase hindurch in der schwach bewegten Luft den Duft der Blumen. Was hätte ich getan, wäre ich dreißig Jahre alt gewesen? Statt eine Antwort auf diese Frage zu suchen, war es besser, den Schlitz zuzuknöpfen und weiterzufahren. Der Schlüssel fiel mir im Dunklen zwischen die Pedale, ich suchte ihn tastend, weil ich keine Lust hatte, die Innenbeleuchtung anzuknipsen. Ich fuhr weiter, weder schläfrig noch wach, weder böse noch ruhig – nur fremd, irgendwie weich und ein wenig verwundert. Die Lampen auf den Masten überfluteten die Frontscheibe, bleichten mir die Hände am Steuerrad und glitten nach hinten, die Schilder mit den Namen schoben sich wie Gespenster aufleuchtend vorbei, und die Betonfugen machten sich durch weiches Trommeln bemerkbar. Jetzt nach rechts, auf die Stadtumgehung Roms, um von Norden her einzufahren wie er. Ich dachte gar nicht an ihn, er war einer von elfen, der Zufall hatte es gefügt, dass ich gerade von ihm alle Sachen übernommen hatte. Randy hatte darauf bestanden, und gewiss zu Recht. Wenn man etwas Derartiges tut, dann so genau wie irgend möglich. Für mich war das Bewusstsein, die Hemden und Koffer eines Toten zu benutzen, recht unwesentlich, wenn es mir zu Anfang schwergefallen war, dann nur, weil es sich um die Sachen eines Fremden handelte, nicht aber, weil er tot war. Es kamen lange, fast leere Strecken, und ich hatte das Gefühl, als ob irgendetwas fehlte, durch die heruntergelassenen Fenster wehte die Luft voller Blütenduft herein, nur gut, dass die Gräser sich schon zur nächtlichen Ruhe begeben hatten. Ich zog nicht einmal die Nase hoch. Psychologie hin, Psychologie her, entschieden hatte doch der Schnupfen. Dessen war ich sicher, obwohl man mir eingeredet hatte, dem sei nicht so. Rational genommen stimmt es ja auch, denn wächst auf dem Mars etwa Gras? Also ist Überempfindlichkeit gegen Sporen kein Fehler. Ja, aber irgendwo an den Rubriken meiner Personalakten, in einer Spalte ›Bemerkungen‹ muss das Wort ›Allergiker‹ gestanden haben, also ein nicht Vollwertiger. Deswegen also ein Reservemann, d. h. ein Bleistift, den man mit dem besten Werkzeug anspitzt, um schließlich keinen einzigen Punkt mit ihm zu setzen. Ein Reserve-Kolumbus, wie klingt das?
Auf der Gegenfahrbahn fuhr eine lange Kolonne, jeder Wagen blendete mich, ich schloss abwechselnd das rechte und das linke Auge. Ob ich mich verirrt hatte? Ich entdeckte keine Abfahrt von der Autostrada. Gleichgültigkeit überkam mich; was kann ich mehr tun, in die Nacht hineinfahren und fertig. Hoch oben, schräg angeleuchtet huschte eine Tafel ROMA, TIBERINA vorbei. Also doch. Das nächtliche Rom füllte sich mit Lichtern und Verkehr, je mehr ich mich dem Zentrum näherte. Nur gut, dass die Hotels, die ich der Reihe nach abklappern sollte, nahe beieinanderlagen. In jedem breitete man bedauernd die Hände aus – Saison, alles belegt –, also zwängte ich mich wieder hinter das Steuer. Im letzten Hotel gab es ein freies Zimmer, ich forderte aber ein ruhiges im Seitenflügel, der Portier starrte mich an, ich schüttelte bedauernd den Kopf und kehrte zurück zum Auto.
Der leere Bürgersteig vor dem ›Hilton‹ war in reichhaltiges Licht getaucht. Beim Aussteigen konnte ich den Chrysler nicht entdecken, und der Gedanke durchfuhr mich, sie könnten einen Unfall gehabt haben, deswegen hätte ich sie auch unterwegs nicht gesehen. Mechanisch schlug ich die Tür zu und sah in der Spiegelung, die die Scheibe hinunterfloss, hinter mir die gleißende Schnauze des Chrysler. Er stand hinter dem Parkplatz im Halbschatten, zwischen Ketten und einem Verbotsschild. Ich wandte mich dem Hotel zu. Im Gehen sah ich das dunkle Innere des Wagens, es schien leer, aber die Scheibe war zur Hälfte heruntergedreht. Als ich fünf Schritte entfernt war, glühte dort das Pünktchen einer Zigarette auf. Ich wollte ihm zuwinken, hielt mich aber zurück, meine Hand bebte nur, ich steckte sie in die Tasche und betrat das Foyer.
Es