Bahnfahring. Thomas C. Breuer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas C. Breuer
Издательство: Bookwire
Серия: Lindemanns
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783963080012
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niesen dazu, dffzäch-dffzäch, dafür können die Italiener nichts, denn die hat die Fa. IFE Door Systems in Waldhofen/Ybbs eingebaut, und die Ybbs fließt durch Niederösterreich. Die Sitze ächzen und stöhnen, über allem liegt dieser bedrohlich düsenartige Grundton, dazu das Knarzsurren der elektrisch betriebenen Sonnenblende, die alle drei Minuten derjenige betätigt, der den Fensterplatz inne hat und mit dem Ellenbogen so unausweichlich wie versehentlich an den Schalter gerät. Nein, der Zug hebt nicht ab, ist aber stärkeren Schwankungen unterworfen als jeder Aktienindex, und mit etwas Glück kann der Reisende sogar seekrank werden, ohne den entsprechenden Cruise-Zuschlag entrichten zu müssen, ein eiernder Klaustrophobie-Workshop, der nicht wenigen Übelkeit maritimen Zuschnitts verursacht.

      Zum Glück sind alle Witze zum Thema Neigetechnik längst ausgereizt. Die Toiletten lösen bei zartbesaiteten Zeitgenossen spontane Verstopfung aus, was insofern gut ist, da sie meistens selbst verstopft sind. Praktisch immer. Ergo unwahrscheinlich, dass sich die Silbe CIS von „cistile“ ableitet: Blasenentzündung. Dafür die Wasserhähne: Sahel pur. Deshalb bleibt rätselhaft, warum sich der Boden wellt, als sei irgendwo eine verborgene Waschmaschine ausgelaufen. Die türkisenen Farbtöne verleihen dem Interieur etwas verwegen Poolhaftes. Vielleicht sollte man den Italienern das Zugbauen ebenso wenig überlassen wie den Holländern den Umgang mit Feuerwerkskörpern. Die Tische sind so hoch angesetzt resp. die Sitze so niedrig, dass einem der Laptop unter dem Kinn hängt; die Sitze ein ergonomisches Verbrechen, für Menschen jenseits der 1,85 m eine Quälerei.

      Eine Conducteurin der SBB beliebte sich so auszudrücken: Am Anfang habe man ja noch gedacht, das seien alles Kinderkrankheiten, diese seien aber gleich in die Altersschwäche übergegangen. Das Bahnschweizerisch unterscheidet sich übrigens vehement vom Bahndeutsch, aus „Die Fahrausweise, bitte!“ wird „Alle Billette vorweisen“, und deutsche Orte werden anders betont: Rottweil. Rätselhaft auch, warum die Schweizer stets vom Zugsteam sprechen, die Deutschen haben das Binnen-S wohl wegrationalisiert. Es ist nicht so, dass die Deutschen keine Wunderlichkeiten zum Streckenverlauf beizutragen hätten, die häufige Eingleisigkeit beispielsweise, die den Franzosen zu verdanken ist, die das zweite Gleis nach dem Krieg rausgerupft haben, um damit vielleicht die Infrastruktur auf Madagaskar zu verbessern. Gut, die Strecke von Ulan-Ude nach Peking kommt auch mit einem Gleis aus. Selten, dass heutzutage Züge vom Kaliber ICE auf Gegenzüge warten müssen.

      Im März 1998 hat man den Cisalpino mit einigem Pomp am Hauptbahnhof Zürich vorgestellt und geprahlt, man könne damit 17 Minuten eher in Stuttgart sein. In Stuttgart? 17 Minuten? Wow! Wozu? Das ist Dezennien her, ohnehin habe ich längst das Gefühl, wir seien schon ewig unterwegs, was man uns beiden durchaus ansieht. Wir haben uns erst zusammenraufen müssen, der Cisalpino und ich, die Leichtigkeit des Südens muss sich der Deutsche immer erst redlich erarbeiten. Hier kann ich, zum Teufel mit den technischen Mängeln, mitschiffs schon mal ein bisschen Weltläufigkeit üben. Die Fenster lassen sich nicht öffnen, Ballast kann man trotzdem loswerden. Wer einen der Ausziehtische auszieht, sieht sich mit wundersamen Ansiedlungen von ... nun, Mikrobiologen würden sicher gleich die richtige Zuordnung finden.

      Ach so, Landschaften gibt es ja auch noch, molto, Schwarzwald im Westen (rechts), die Schwäbische Alb im Osten (also links), das elegante Eintauchen ins Neckartal kurz vor Horb, der Viadukt von Rottweil, und wie als Kontrastprogramm das spröde Tuttlingen; rechter Hand entschädigt kurz darauf ein eiserner Friedhof mit rostigen Dampflokomotiven, dem Auge wird geschmeichelt auf dieser Route, nicht zuletzt vom Maggiwerk in Singen. In der Maggimetropole wird die Schweizer Lok vor den Zug gespannt. Machen Sie eine klassische Handbewegung: Helvetische Lokführer wischen stets die Haltestangen beim Verlassen der Führerkabine mit einem Tuch ab. Möglicherweise eine Höflichkeitsgeste dem nachfolgenden Kollegen gegenüber, vielleicht auch nur die schnöde Beseitigung von Fingerabdrücken. Welcome to Switzerland. Spätestens drei Kilometer nach Thayingen pflegt sich mein alter Freund Roaming zu melden.

      In diesem Zug hört Schaffhausen auf den klangvollen Namen „Sciafusa“; der Rheinfall, der Viadukt bei Eglisau, die anheimelnde Agglo Zürich, unerschrocken kämpft sich der CIS durch das Urnerland, wo Schweizer Ingenieure, ich schwöre es, aus purem Übermut um die Kirche von Wassen drei Schleifen gelegt haben, die legendäre Triple-Volte. Warum machen sie das? Weil sie es können, Dummy! Schon blicken wir in den Schlund des feuerspeienden Drachen, den Gottardo. Die wenigsten werden wissen, dass es Zugvögel gibt, die ihren Gattungsnamen wörtlich nehmen und nicht mehr über den Gotthard fliegen, sondern in Göschenen auf Güterzügen Platz nehmen, um durch den Tunnel zu rauschen und auf der anderen Seite als Schwarzfahrer wieder rauszukommen. Kein Scherz. Sozialschmarotzer, die von Glück reden können, dass auf der anderen Seite nicht gleich Italien anfängt, denn dort würden sie stantepede in die Netze der Vogelesser fliegen.

      Schon bei Airolo werden weitere Versprechungen des Südens eingelöst. Flugs noch einmal ordentlich Kaffeesahne in den Espresso gekippt, dann rücken auch schon die Grenzgeschwader an, die grauen Eminenzen und die uniformierten Finanzbeamten, und jetzt ist der echte Süden da, die Palmen, das Glitzern des Sees, das trutzige Gefängnis südlich von Como. Ich habe ihn richtig liebgewonnen im Laufe der Jahre, den Cisalpino, eine der letzten Herausforderungen der Zivilisation, der den perfektionsfixierten Preußen häufig vor Herausforderungen stellt, gerade vor ein paar Tagen nach dieser Durchsage in schönstem schweizerischen Zungenschlag: „Wegen technischer Problemen verliert der Zug etwas Zeit!“ Bene – mochte dieser Zug auch eine mobile Dauerstörung sein, einmal geriet im Zimmerberg-Basistunnel unweit Zürich ein Waggon in Brand, bedeutete er letztlich aber den charmant-schlampigen Gegenentwurf zum sterilen Reisen, das mittlerweile fast die Regel ist, ein Fortbewegungsmittel mit Geräuschen und Gerüchen, das einen elegant an die eigene Fehlbarkeit erinnerte, und über Jahre hinweg erzog er uns mit einer ganz eigenen Interpretation von Zuverlässigkeit beharrlich zur Lässigkeit. Und einen gescheiten Espresso haben sie im ICE noch nie hingekriegt, maximal einen „Expresso“. Ja, das ist eine andere Welt, und, nein, das Baden-Württemberg-Ticket ist auf dieser Strecke immer noch nicht gültig, wäre ja noch schöner!

      Nach achteinhalb Jahren ging es dem CIS zum Fahrplanwechsel im Dezember 2006 an den Kragen, offiziell, weil die Verträge ausliefen. Der hohen Anfälligkeit wegen wollte die Deutsche Bahn neue 7-teilige ICEs einsetzen, auf deren Verlässlichkeit der Voyageur natürlich gespannt sein durfte, freilich vergebens, denn diese Züge wurden nie aufs Gleis gesetzt, dank Störungen der Oberleitungen bei Bahnvorstand und Triebkopfschäden bei den Herstellern. Auf der Gäubahn geht es also nach wie vor so zu wie bei dieser hinreißenden Ansage im Bahnhof Singen: „Die Abfahrt unseres Zuges verzögert sich um einige Minuten, da wir den Gegenzug aus Stuttgart abwarten müssen, der unseren Lokführer bringt.“

      Nicht nur, dass bis auf die Münchner Verbindungen über den Brenner und ein paar Nachtzüge die direkte Achse Deutschland – Italien gekappt wurde: Einfacher ist das Reisen nicht geworden. Mag die Postmoderne hinter uns liegen – die Bahnmoderne lässt noch auf sich warten. Auch im Jahr 2016, nebbich. In Rottweil klettert der Mann aus dem Führerstand einer betagten Lokomotive, schreitet über die Gleise, steigt mit mir in den Intercity nach Zürich. Dort setzt er sich in den Zweier auf der anderen Seite des Ganges. Ob das jetzt die Regionalzüge seien, die neuerdings zwischen Stuttgart und Singen verkehren, frage ich ihn. Er nickt. Seit dem ersten Oktober, sagt er. Die haben die alten, die wesentlich neuer waren als die neuerdings aktuellen, von dieser Strecke abgezogen, die müssen jetzt zwischen Stuttgart und Aalen verkehren. Warum, frage ich kreidebleich. Weil die Strecke dort neu ausgeschrieben wurde, und die Bahn nur den Zuschlag bekommen hat, weil sie zusagte, neueres Rollmaterial auf die Strecke zu bringen. Da haben sie kurzerhand die halbwegs manierlichen Triebwagen der Baureihen 425 und 426 von der Gäubahn runtergenommen, um sie auf der verdammten Remsbahn einzusetzen. Jetzt haben wir die alten, notdürftig aufgepimpten Silberlinge an der Backe, die sog. „n-Wagen“, gebaut zwischen 1958 und 1980 in 5.000 Exemplaren. Ende 2015 waren noch 946 Waggons im Einsatz, hinterlistige Knochenbrecher, bei denen die Türen nie richtig aufgehen, es sei denn, man nimmt eine Schulterfraktur in Kauf. Und wer dann mit Gepäck die Schiebetür zur ersten Klasse öffnen möchte, kriegt zusätzliche Probleme.

      Der Lokführer wirkt traurig. Die Züge seien eine einzige Katastrophe, sagt er, die Loks weit über dreißig Jahre alt. Gefährlich seien sie auch, die Türen ließen sich, wenn auch schwer, öffnen, wenn der Zug sich bereits in Bewegung gesetzt hat. Und wenn dann was