Sinnliches Wissen. Minna Salami. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Minna Salami
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783751803526
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finden wir lediglich im schwarzen (und Women-of-Color-) Feminismus einen konsequenten Widerstand gegen all diese Unterdrückungsmechanismen, die, wie immer mehr Menschen immer deutlicher erkennen, miteinander verbunden sind.

      Wie es in der klassischen Erklärung des schwarzen Feminismus, »Ein Schwarzes feministisches Statement« des Combahee River Collective, steht: »Wenn Schwarze Frauen frei wären, würde dies bedeuten, dass alle anderen auch frei sein müssten, da unsere Freiheit die Zerstörung aller Unterdrückungssysteme erfordert.«19

      Schwarze Feministinnen haben auch von Anfang an ganz grundsätzlich verstanden, dass wir neue Wege finden müssen, um das in Begriffe zu fassen, was wir wissen. Wieder und wieder haben schwarze Feministinnen argumentiert, das herrschende System sei ein seelenloses, weshalb die Lösung eine Form des Wissens sei, die Dichtung und Kunst einbezieht, die Sprache der Liebe.

      Dementsprechend weisen schwarze Feministinnen darauf hin, dass kreativer Ausdruck eine wesentliche Form der Wissensproduktion sei, da er helfe, emotionale Intelligenz zu entwickeln. Als Gruppe, der in der Geschichte der Zugang zu Bildung verwehrt wurde, überlebten schwarze Frauen, indem sie sich auf das tiefgründige, intuitive und poetische Wissen des kreativen Ausdrucks stützten, und zwar nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch, um kritische Einsichten zu erlangen.

      Beispielsweise versteckte Miriam Makeba in ihrem Lied »Beware, Verwoerd« eine Antiapartheidsbotschaft im Refrain, der schwarze Menschen zum Widerstand gegen die Apartheid aufrief, indem er den weißen Militär Verwoerd vor einem schwarzen Aufstand warnte – eine Zeile, die später zum Protestslogan wurde. In »Four Women« betonte Nina Simone die einzelnen Namen »Aunt Sarah«, »Saffronia«, »Sweet Thing« und »Peaches«, um gegen eine Kultur vorzugehen, die schwarze Frauen auslöscht und sie zum Schweigen bringt. Beides ist schwarze feministische Wissensproduktion.

      Wenn Beyoncé sich auf ihrem Album Lemonade darüber ausließ, sie sei keine »average bitch«, und wenn ihr Liebhaber sie nicht genügend wertschätze, werde sie bald weitergehen zum »next dick«, dann war das eine schwarze feministische Botschaft, dass Frauen kein schlechtes Benehmen von Männern akzeptieren sollten.

      Als Sansibar 1897 die Sklaverei abschaffte, begannen die zuvor versklavten Frauen eine Mode, die sie kanga nannten. Sie nähten die Tücher zusammen, die von portugiesischen Händlern in die Häfen Sansibars gebracht wurden, und verwendeten sie, um damit ihre Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Diese Wissenspraxis trug dazu bei, die historische Trennung nicht nur zwischen Sklav:innen und freien Menschen, sondern auch zwischen Araber:innen und schwarzen Afrikaner:innen sowie zwischen Frauen und Männern zu überwinden.

      Schwarze feministische Theorien, wie etwa die »Ethik der Fürsorge« der Soziologin Patricia Hill Collins, führen dieses Wissen näher aus. Hill Collins zufolge verleiht der psychologische Effekt einer geteilten Erfahrung von Klassismus, Sexismus und Rassismus dem Leben von schwarzen und afrikanischen Frauen auf der ganzen Welt eine einzigartige Veranlagung, die sie als eine Ethik der Fürsorge bezeichnet. Gegründet auf drei Säulen umfasst die Ethik der Fürsorge erstens den Wert, der auf individuellen Ausdruck gelegt wird, zweitens den Wert der Emotionen und drittens die Fähigkeit zur Empathie. Hill Collins argumentiert, dass afrikanische humanistische und feministische Prinzipien die Wissensformen schwarzer Frauen beeinflussen. Der Zugang sowohl zu afrozentrischen als auch zu feministischen Standpunkten unterscheidet den schwarzen Feminismus vom weißen Feminismus, nicht etwa, weil letzterer keinen Wert auf den kreativen Ausdruck von Frauen legte, sondern weil er ihn nicht als eine Form des Wissens anerkennt.

      Man denke auch an Alice Walkers »Auf der Suche nach den Gärten unserer Mütter«, den Essay, in dem ein Garten zum Symbol für die Wissensproduktion wird. Walker führt an, schwarze Frauen seien nicht in der Lage gewesen, Wissen aufzuzeichnen, da man ihnen im Verlauf der Geschichte jene »Last aufgebürdet [hat], die sich alle anderen – alle anderen – zu tragen geweigert haben«.20 Als Folge, argumentiert Walker, haben sie Wissen durch Kreativität übermittelt – haben Quilts hergestellt, Geschichten erzählt und Gärten gepflegt. Über den Garten ihrer eigenen Mutter schreibt Walker: »[J]edes schäbige Haus, in dem wir zu wohnen gezwungen waren, […] [verwandelte meine Mutter i]n einen Garten, der so farbenprächtig war, so originell angelegt, so strotzend von Leben und Kreativität«.21 In dieser Form des Ausdrucks, argumentiert sie, wussten schwarze Mütter traditionell und intuitiv, wie sie ihren Töchtern Freiheiten beibringen konnten, auch wenn sie selbst nie das Glück hatten, diese zu genießen.

      Bell hooks argumentiert in ihrem Essay »Theory as Liberatory Practice«, die theoretische »Arbeit von Women of Color und marginalisierten Gruppen weißer Frauen (zum Beispiel Lesben, Sexradikale)«22 sei die befreiendste Form von akademischem Wissen, da sie das Persönliche untermischt. In dem für sie so typischen klaren, mitfühlenden Stil, der geprägt ist von einer christlichen Erziehung und einer buddhistischen Praxis, fügt sie in ihrem Buch Teaching to Transgress hinzu, kreative Arbeit, geschaffen »aus einem Ort des Schmerzes und Kampfes heraus, […] wird im akademischen Umfeld oftmals nicht anerkannt«23, obwohl sie genau die Art von Wissen darstellt, die Menschen befreien kann.

      In ihrer Nobelpreisrede von 1993 erzählte Toni Morrison die Geschichte von einer Gruppe Jugendlicher, die eine alte, blinde Hellseherin als Betrügerin entlarven wollten. »Alte Frau«, sagten sie, »in meiner Hand halte ich einen Vogel. Sag mir, ist er lebendig oder tot.« Die Frau blieb eine lange Weile stumm, bis die Jugendlichen frech über sie lachten. Dann sagte sie plötzlich: »Ich weiß nicht, ob der Vogel in deiner Hand tot oder lebendig ist, aber ich weiß, dass du ihn in Händen hältst. Du hast es in der Hand.«24 Wenn der Vogel für ein Narrativ steht, dann lautet die Botschaft der alten Frau, dass am Ende nicht zählt, was genau in diesem Augenblick die Geschichte ist. Es kommt darauf an, dass es in den Händen der Jugendlichen liegt, sie zu erzählen. »Unterdrückende Sprache ist nicht nur ein Zeichen von Gewalt, sie ist Gewalt. Sie repräsentiert nicht nur Grenzen des Wissens, sie setzt dem Wissen Grenzen«, fuhr Morrison fort. »Sexistische Sprache, rassistische Sprache, fundamentalistische Sprache – alle sind typische, maßregelnde Herrschaftssprachen, die keine neuen Gedanken aufnehmen, keinen Austausch neuer Ideen fördern können.«25 Kurz gesagt argumentierte Morrison, so wie auch ich, dass unsere Wahrnehmung des Wissens unsere Wirklichkeit formt.

      Die Romanautorin und Feministin Chimamanda Ngozi Adichie bringt in ihrem TED-Talk »Die Gefahr einer einzigen Geschichte« eine ähnliche Botschaft zum Ausdruck. »Es gibt ein Wort«, sagt sie, »ein Igbo-Wort, an das ich immer denke, wenn ich über die Machtstruktur der Welt nachdenke. Es heißt ›nkali‹. Es ist ein Substantiv, das in etwa übersetzt werden kann als ›größer sein als ein anderer‹. Wie unsere Wirtschafts- und politischen Welten«, argumentiert Adichie, »definieren sich auch Geschichten durch das Prinzip von nkali. Wie sie erzählt werden, wer sie erzählt, wann sie erzählt werden, wie viele Geschichten erzählt werden, wird wirklich durch Macht bestimmt.«26

      Auf den Begriff »sinnliches Wissen« kam ich bei einem Besuch der Singularity University im Ames Research Center der NASA im Silicon Valley, wo ich einen Vortrag halten sollte. Während einer meiner täglichen Schwimmrunden im Pool des Centers tauchte er auf. Ich schwimme grundsätzlich gern, aber in diesen Pool einzutauchen fühlte sich an, als würde ich mich in eine weiche blaue Samtdecke wickeln. Später begriff ich, dass der Pool für mich symbolisch Innerlichkeit repräsentierte, sowohl aufgrund seiner Lage im Inneren des Forschungszentrums als auch, weil er sich wie der sichere Hafen einer Gebärmutter anfühlte.

      Zu jener Zeit arbeitete ich an einem Projekt mit dem Titel »Große Ideen verändern die Welt« für die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth. Ich interessierte mich dafür, feministische Theorie mit Gedanken zu Technologie, Global Governance und Climate Engineering zu verbinden, und die Singularity University war ein spannender Ort, um meine kritischen Argumente zu schärfen.

      Der Hauptredner bei der Veranstaltung war Ray Kurzweil, jener Futurist, der die Idee von der Singularität prägte – die Hypothese, dass Mensch und Maschine sich in der Zukunft annähern werden. Alle erwarteten Kurzweils Vortrag mit Spannung, mich eingeschlossen. Ich ging davon aus, dass er meine Recherche bereichern würde. Und da lag ich auch nicht falsch, denn seine Präsentation war faszinierend und erkenntnisreich.