Ruhe sanft. Reiner Sörries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Sörries
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783766641182
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germanischen Raum nicht verallgemeinert werden, doch zumindest in den römisch besetzten Teilen ist dies kein Einzelfall.

      Eigentums- und Besitzverhältnisse spätantik-frühchristlicher Friedhöfe sind zwar schwer nachweisbar, doch archäologisch ist oftmals ein herausgehobenes (Heiligen-)Grab als Ausgangspunkt eines frühchristlichen Friedhofs festzumachen. Im Falle der Cella Memoria unter dem Bonner Münster, in dem die Märtyrer Cassius und Florentius beigesetzt wurden, soll es sich sogar um eine kaiserliche Stiftung durch Helena, der Mutter Konstantins, handeln. Ähnlich sind in Köln oder Xanten besondere Gräber Ausgangspunkt nicht nur für die Entstehung von Friedhöfen, sondern sogar für die weitere Stadtentwicklung. Denn meist wurden die ursprünglichen Grabbauten in der Folgezeit durch Kirchen ersetzt, die dann im Mittelalter als Pfarrkirchen die Siedlungskerne an sich zogen. Im Rhein-Mosel-Raum zeugen von diesen frühen christlichen Friedhöfen auch viele Grabinschriften, wovon sich die meisten wiederum in Trier erhalten haben.

      Zu den Besonderheiten des christlichen Friedhofs gehört, dass sich seine Gräber bevorzugt um die Grablegen von Märtyrern und Heiligen scharen, auf deren hilfreiche Unterstützung bei der erwarteten Auferstehung man vertraute. Dies galt in den Katakomben genauso wie in den Begräbniskirchen, und dieser Wunsch nach einer Bestattung „ad sanctos“22 sollte ebenfalls das Begräbniswesen zumindest bis zur Reformation beherrschen. Viele antike und zunächst pagane Nekropolen wurden durch die Gräber von Heiligen und die Gräber von Christen, die sie anzogen, allmählich christianisiert. Zumal in den Provinzen konnten die Blutzeugen nicht anders bestattet werden als auf den bestehenden Nekropolen. Nicht selten errichtete man über ihren Grabstätten kleine Grabhäuschen, die sich zu besuchten und verehrten Memorien entwickelten, an denen christliche Gedächtnisfeiern abgehalten wurden. Durch den Wunsch, in ihrer Nähe bestattet zu werden, kam es im Umfeld solcher Grabkapellen zu immer weiteren Bestattungen, und der Begräbnisplatz wurde langsam christlich überformt. Daraus resultierten auch die begehrten Kirchenbestattungen, die sich trotz aller Verbote nie ganz ausmerzen ließen, bis sie im 19. Jahrhundert durch die staatlichen Vorschriften mit aller Strenge verboten wurden.

      Ein wichtiges Zeugnis für diesen Wunsch, bei den Märtyrern bestattet zu sein, ist ein Grabstein für eine sonst nicht bekannte Frau mit dem Namen Sarmannina23, die um 400 n. Chr., vielleicht auch etwas später, auf der großen römischen Nekropole im Norden des Kastells Kumpfmühl in Regensburg beigesetzt wurde.24 Sie gilt als die älteste (bekannte) Christin der alten Provinz Raetien. Die Inschrift auf dem schlichten Kalkstein (38 × 56 × 10 cm) lautet: IN BEATUM MEMORIAM SARMANNINE QUIESCENTI IN PACE MARTYRIBUS SOCIETAE. „Zum seligen Gedächtnis der Sarmannina, die im Frieden ruht, den Märtyrern beigesellt“, könnte man diese Inschrift übersetzen. Es ist nicht bekannt, welche Märtyrer hier gemeint sind, in deren Nachbarschaft sie bestattet wurde, aber es ist der Wunsch der Nähe bei den Märtyrern verbürgt. Und diese Gewissheit war wichtiger als die Nennung der Lebensdaten oder sonstiger biografischer Angaben. Trotz umstrittener Zeitstellung dieses spätantik-christlichen Grabsteins handelt es sich um einen der ältesten Belege für eine Bestattung ad sanctos auf deutschem Boden.

      Unter den oben bereits erwähnten Trierer Grabinschriften belegt die Grabplatte des Subdiakons Ursinianus aus dem 6. Jahrhundert die besondere Qualität der Grabesruhe bei den Heiligen: „Ursinianus’, des Subdiakons Leichnam liegt hier im Grabe, der es verdient hat, nahe den Gräbern der Heiligen zu ruhen, dem nicht des Tartarus Wut und grausame Rache nun schadet. Ludula hat den Grabstein gesetzt, seine liebste Gemahlin. Er starb am 27. November und hatte 33 Jahre gelebt.“25

      Gemäß dem Grundsatz sicut in coelis et in terra26 manifestierte sich nach altchristlicher Anschauung das göttliche Heilshandeln nicht nur an der unmittelbaren Aufnahme der Märtyrer in den Himmel, wo sie bei Gott als Fürsprecher für die Menschen eintreten konnten, sondern auch an ihren Gräbern, die dadurch zu Orten besonderer Gnade wurden, weshalb man ihre Nähe bei der eigenen Bestattung suchte. Die Heiligen waren so bedeutsam, dass ihre Gräber und in der Folge ihre Reliquien zu Altären in den Kirchen erhoben wurden27. Kein Altar sollte künftig ohne Reliquien auskommen, weshalb es zur Überführung von Gebeinen in die Kirchen kam. Zu den ersten Reliquientranslationen kam es in Rom, als man in der ausgehenden Spätantike und in unsicheren Zeiten begann, die verehrungswürdigen Leiber aus den Katakomben in die innerstädtischen Kirchen zu überführen. Um weiterhin eine Bestattung in ihrer Nähe zu ermöglichen, setzte man das antike Begräbnisverbot innerhalb der Stadt außer Kraft, und es kam zur Anlage innerstädtischer Friedhöfe. Die karolingischen Reformkonzile des 9. Jahrhunderts tolerierten sogar die Bestattung hochrangiger Persönlichkeiten in den Kirchen.28 Damit war die weitere Entwicklung hin zum Kirchhof und zur Kirchenbestattung vorgegeben. Die besondere Bedeutung der Heiligen bestimmte die Bestattungs- und Friedhofskultur zumindest bis zur Reformation.

      Die Verbrennung des Leichnams ist kulturanthropologisch jünger als die Körperbestattung, doch seit jeher gab es mehrfache Wechsel zwischen Erd- und Brandbestattung. Dafür mag es sowohl religiöse als auch praktische Gründe gegeben haben. Die in der römischen Kaiserzeit geübte Brandbestattung wurde zu Beginn der Spätantike von der Körperbestattung abgelöst. Da gegen Ende des 2. Jahrhunderts der Einfluss des Christentums auf die Gesellschaft noch sehr gering war, dürfen für diesen Wandel keine christlich-religiösen Motive verantwortlich gemacht werden, vielmehr war durch den Raubbau an den Wäldern das für die Verbrennung erforderlich Holz knapp geworden, sodass die ab dem Beginn des 3. Jahrhunderts allgemein geübte Erdbestattung eine praktische Folge der veränderten Umweltsituation war. Aus den ersten beiden Jahrhunderten kennen wir bis heute keine christlichen Gräber, und es ist denkbar, dass die Christen dieser Zeit genauso die Brandbestattung übten wie ihre pagane Umwelt. Erst in der Folge entwickelte sich die den Körper bewahrende Erdbestattung zu einem christlichen Glaubenssatz, während die den Körper verzehrende Brandbestattung als heidnisch angesehen wurde. Als abendländischer Erbe des christlichen Römischen Reiches erließ Karl der Große im Juli 782 auf der Reichsversammlung bei Lippspringe und im Edikt von Paderborn 785 Gesetze, die bei Androhung der Todesstrafe die Leichenverbrennung untersagten. Immerhin war die Brandbestattung bei den von ihm unterworfenen Völkern und den Nachbarn des Reiches noch üblich. Noch im 10. Jahrhundert übten die Slawen etwa im Gebiet der Oberlausitz die Verbrennung der Toten, sammelten ihre Asche in Gefäßen und begruben sie unter aufgeworfenen Hügeln. Zu den größten slawischen Brandgräberfeldern gehören die Hügelgräber von Biaogórze wenige Kilometer östlich von Görlitz mit etwa 200 bekannten Bestattungen. Erst mit der Missionierung der heidnischen Völker entwickelte sich ab dem hohen Mittelalter die Körper-Erdbestattung zur einzigen Begräbnisform im christlichen Abendland. Und sie blieb es bis zu Wiedereinführung der Kremation in der Neuzeit, als 1878 in Gotha die erste Feuerbestattungsanlage der Moderne auf deutschem Boden errichtet wurde.

      Wenn während dieser 1000 Jahre bestehenden Sitte der Körperbestattung dennoch Leichen verbrannt wurden, dann war dies eine Sanktion gegen missliebige Personen; traurige Berühmtheit haben die bis in die Neuzeit andauernden Hexenverbrennungen erlangt. Auch nach verlustreichen Schlachten wusste man sich manchmal nicht anders zu behelfen, als die Toten zu verbrennen. Doch als christliches Begräbnis galt ausschließlich die Erdbestattung. An dieser Auffassung hielt die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1963 fest, ehe sie dem Trend der Zeit folgend die Möglichkeit der Kremation auch Katholiken einräumte. Mit der dahinterstehenden Ideologie, die Auferstehung des Fleisches sei an die Bewahrung der sterblichen Überreste in einem Grab gebunden, lieferte sie den Freidenkern eine offene Flanke, die den Kampf um die Wiedereinführung der Kremation zu einem antikirchlichen Fanal stilisierten. Dieser alte Streit um die Feuerbestattung lässt sich noch in der Gegenwart ablesen. Im (protestantischen und „heidnischen“) Norden und Osten der Republik hat die Feuerbestattung zumindest in der Tendenz weit höhere