Ansonsten ist das Bild, das beim Abklappern mehrerer Dörfer in der rund 30 Kilometer nördlich von Maradi gelegenen Region entsteht, durchaus vielfältig. In Waye Kai verfügt Dorfchef Dan Lamso nach eigenen Worten über »so viele Bäume«, dass er sie »gar nicht mehr zählen« könne. Als Ausdruck seiner Dankbarkeit überreicht er Rinaudo zwei Hähne, die lauthals protestierend auf der Ladefläche des gemieteten Geländewagens landen. Keine zwanzig Kilometer entfernt ist die Laune schon etwas gedrückter: Hier hat sich die Zahl der Bäume auf den Feldern der Dorfbewohner in den vergangenen zwei Jahren drastisch reduziert. Um ihre der Dürre zugeschriebenen Ernteverluste auszugleichen, verkauften die Kleinfarmer große Mengen an Holz. Wenigstens seien sie so einigermaßen glimpflich über die Runden gekommen, tröstet sich Rinaudo: »Bäume können wie ein Sparkonto sein, von dem man in schlechten Zeiten zehrt.«
Irritiert zeigt sich Rinaudo von den Zuständen in Sarkin Hatsi, wo er gleich zu Beginn des Besuchs von einer Frau angebettelt wird. »Geh auf dein Feld und kümmere dich um die Pflanzen und Bäume, dann brauchst du nicht zu betteln«, bekommt die Bittstellerin zu hören: Der ehemalige Missionar will keine Almosen verteilen, sondern Bedingungen verändern. »Ist das nicht Tony?«, ruft ein Mann vom Nebenhaus, dessen Arm in einer Schlinge steckt: Damani Idi verletzte sich beim Sturz vom Dach die Schulter. Der 58-Jährige stellt sich als einstiger Musterschüler Rinaudos heraus: Er ließ auf seinen Feldern Hunderte an Akazien sprießen und machte aus ihren Kernen Kaffee. Seinen Röstbetrieb habe er inzwischen allerdings eingestellt, erzählt Idi: Sein Sieb sei kaputtgegangen. »Ach, Unsinn!«, protestiert Rinaudo: Ein neues Sieb könne höchstens ein paar Euro kosten. Dann sei er eben zu faul gewesen, würgt der Farmer weitere Nachfragen ab – offensichtlich sucht der Vater von 13 Kindern (von denen sechs bereits gestorben sind) einer substanziellen Unterhaltung aus dem Weg zu gehen. Um herauszufinden, was in dem Dorf tatsächlich vor sich geht, würde er sehr viel mehr Zeit brauchen, als ihm jetzt zur Verfügung stehe, sagt Rinaudo. Festzuhalten ist zumindest, dass sich nicht alle Probleme einer Dorfgemeinschaft mit Bäumen lösen lassen.
Von allen besuchten Dörfern macht Tambara Sofoua den besten Eindruck: Hier hat die Bevölkerung sogar eine Bürgerwehr zum Schutz vor Baumdieben auf die Beine gestellt. Ein von der Hilfsorganisation World Vision bezahlter Fachmann ist außerdem damit beschäftigt, die unter dem sperrigen Begriff »Farmer Management Natural Regeneration« (FMNR) bekannt gewordene Methode Rinaudos noch zu verfeinern: Derzeit zeigt er den Kleinbauern, wie man anderen Bäumen die Triebe eines Ziziphus mauritania aufpfropft. Denn dessen Frucht, der »Pomme de Sahel« oder Sahel-Apfel, lässt sich auf dem Markt für gutes Geld verkaufen. Während seiner Zeit in Maradi experimentierte Rinaudo auch mit der Einführung nicht einheimischer Bäume. Wegen ihres schnellen Wachstums, ihrer Resistenz gegen die Dürre und den nährstoffreichen Kernen hatte es ihm vor allem die australische Acacia colei angetan, die bereits von der nigrischen Regierung ins Land geholt worden waren. Mit deren Kernen erzielten Kleinbauern beachtliche Erfolge: Baro Yacouba aus Kumbulla begeisterte seine Nachbarn mit Akazien-Spaghetti und Akazien-Pfannkuchen. Rinaudo redet über das Thema allerdings nicht gerne: Denn unter einigen Wissenschaftlern stieß sein Baumimport auf scharfe Kritik. In fremder Umgebung hätten Bäume grundsätzlich nichts zu suchen, meinten die Bio-Fundamentalisten: Der »biologische Imperialismus« habe bisher nur Unheil angerichtet. Rinaudo ist die ideologische Debatte ein Graus. Es gebe keine »guten« oder »schlechten« Bäume, meint der Agronom: »Es kommt ausschließlich darauf an, wie man sie einsetzt und behandelt.«
Seen in der Wüste
Auf der Rückfahrt nach Maradi ziehen dunkle Wolken auf. Wenig später fängt es zu schütten an – und das noch vor der eigentlichen Regenzeit, die sich gewöhnlich eher zaghaft ankündigt. Einen derartigen Wolkenbruch habe er im Niger noch nie erlebt, schwärmt Rinaudo, während sich die Halbwüste um uns herum in eine Seenlandschaft verwandelt. Damals sei höchstens nachts Regen gefallen, fährt der Agrarexperte fort: Tagsüber sei es für Niederschläge vermutlich »zu heiß« gewesen, die vom hellen Sand reflektierte Hitze habe womöglich die Wolken vertrieben. Rinaudo ist überzeugt davon, dass sich der vermehrte Baumbestand auch auf das Mikroklima auswirkt. Er habe schon oft beobachtet, wie sich Wolken über erhitzten freien Flächen verziehen, während sie über kühleren Waldstücken abregnen. Noch steckt die mikroklimatische Forschung in den Kinderschuhen: Doch dass Bäume den Niederschlag beeinflussen, scheint inzwischen weithin anerkannt zu sein.
Tony Rinaudo freut sich, dass sein Besuch mit den ersten Niederschlägen der Saison zusammenfällt: So kann er sich, natürlich im Scherz, als Regenmacher brüsten. Wer die Afrika-Auftritte gönnerischer westlicher Besserwisser kennt, weiß Rinaudos Umgangsform mit Afrikanern zu schätzen: Er ist herzlich, ausgesprochen höflich und immer bescheiden. Ein besonderes Verhältnis verbindet ihn mit Joho, seinem ehemaligen Mitarbeiter, den er für unseren Besuch wieder als Fahrer angeheuert hat. Die beiden krümmen sich vor Lachen, als sie sich während der Fahrt an alte Zeiten erinnern – alles in Hausa, versteht sich. Joho ist stolz auf seinen weißen Beifahrer, den »Nasarra«: Fremden stellt er ihn als einen Mitarbeiter der Vereinten Nationen oder als einflussreichen Experten vor, der über das Ohr des Präsidenten verfüge. Leicht gequält lässt Rinaudo die Flunkerei großzügig durchgehen.
Zurück in Maradi wartet bereits eine Schar alter Bekannter am Tor zur Missionsstation: Sie wollen Rinaudo die Hand drücken, den Sohn vorstellen oder um Unterstützung für die Schulausbildung eines Enkels bitten. Früher war das Anwesen noch jedem zugänglich, heute wird er mit einer gut zwei Meter hohen Mauer geschützt. Dass sei sowohl der wachsenden Kriminalität wie dem sich verschlechternden Verhältnis zwischen radikalisierten Muslimen und der kleinen christlichen Minderheit zuzuschreiben, heißt es: Eine von Ereignissen anderswo in der Welt aufgebrachte Menschenmenge wollte die Missionsstation auch schon mal in Flammen setzen. Noch immer leben fünf Missionare aus Australien und den USA auf dem Anwesen: Sie sind allerdings in der Gesundheitsversorgung, nicht mit dem Pflegen von Bäumen beschäftigt.
Anderntags soll Rinaudo zu einem Livegespräch in die staatliche Radiostation kommen. Das Studio gleicht einer seit Jahren nicht mehr gereinigten Rumpelkammer: Latten hängen von der Decke, kaum eine Lampe funktioniert, wie ein braunes Laken hat sich eine schmierige Staubschicht über Möbel, Geräte und den Fußboden gelegt. Dafür läuft der australische Gast zur Hochform auf: Während des Gesprächs bricht die Studiobesatzung immer wieder in schallendes Gelächter aus. Die Erheiterung sei vor allem seinem Gebrauch alter Sprichwörter zuzuschreiben, wird Rinaudo später erklären: Er habe sein Hausa mit einem archaischen Textbuch gelernt.
Trotz des vorsintfluchtlichen Zustands der Studioelektronik scheint das Gespräch tatsächlich auch irgendwie nach außen zu dringen. Ein Farmer nach dem anderen ruft an, die alle Rinaudos FMNR-Methode preisen. Nach Erhebungen von World Vision praktizieren allein im Maradi-Distrikt gegenwärtig Zigtausende von Kleinbauern die natürliche Regenerierung: Im ganzen Land sollen inzwischen wieder 200 Millionen Bäume stehen – statt der fünf Millionen Anfang der 1980er-Jahre. Kein Wunder, dass Rinaudo nach seinem Studiogespräch bester Laune ist: »Ich glaube, mein Traum ist in Erfüllung gegangen.«
Der Platinstandard
Verglichen mit Maradis sandbraunen Landschaften sind die Hügel um die südäthiopische Provinzstadt Sodo ein grünes Paradies: »Es ist der Goldstandard unserer Projekte«, sagt Tony Rinaudo. Wenige Kilometer außerhalb des Städtchens hat eine von World Vision angeregte Kooperative Setzlinge in einem umzäunten Areal von der Größe eines Fußballfeldes angepflanzt – daneben stehen Bienenstöcke, aus denen es wie unter einer Hochspannungsleitung summt. Zunächst hätten sie hier nur Nutzbäume wie Akazien und Grevilia hochgezogen, erzählt der Koop-Vorsitzende Berata Bassa: »Bis wir auf die Idee mit den Apfelbäumen kamen.« Diese stehen heute in allen Größen über das Areal verteilt: Manche kaum einen Meter hoch, andere schon mit reifen Früchten. Die Obstbäume seien bestens zu vermarkten, fährt Bassa fort: Sowohl ihre Setzlinge wie ihre Früchte bringen für äthiopische Verhältnisse gutes Geld ein – ein Kilo Äpfel umgerechnet fast