Die Gänse aber sahen interessiert zu ihm hinüber. Er warf den Gänsen die Scheiben einzeln zu. Sie fingen sie mit dem Schnabel aus der Luft und als sie alle waren, steckten sie die Köpfe zusammen und schnatterten sich was zu. Übersetzt hieß es in etwa: Komm, wir bleiben hier. Es gibt Samba und Blutwurst, was will man mehr?
Sie fragten die Frau: Can we stay? We like your way of life.
Bruno!, rief die Freundin. Die Gänse würden gerne bleiben, geht das?
Haben sie denn kein Zuhause?, fragte Bruno.
Die Freundin übersetzte.
No, sagten die Gänse. No home. We are homeless geese from Eastern Europe.
Die Freundin übersetzte.
Na gut, sagte Bruno.
Also blieben sie und es dauerte keine Woche, da hatte er was mit ihnen. Die Freundin kriegte es heraus und stellte ihn vor die Wahl: Die Gänse oder ich. Also inserierte Bruno: Gänse günstig abzugeben.
Ein junger Mann erschien und fragte: Sind die auch belastbar?
Wie, meinte Bruno.
Nervlich, sagte der Mann. Bei mir läuft ständig Musik und dazu singe ich laut mit.
Das macht denen nichts!, sagte Bruno.
Er bekam 30 Euro für die beiden Gänse, weg waren sie. Bei ihrem neuen Besitzer durften die Gänse den ganzen Tag fernsehen und Sudokus lösen, bis eines Tages ein falscher Zeuge Jehovas auftauchte. Die Gänse waren allein zu Hause. Sie öffneten die Tür und der fette Zeuge stopfte sie in seinen Trolley. Er ging in den nächstbesten Park und drohte den lärmenden Gänsen mit dem Schlimmsten:
Wenn ihr nicht still seid, schmeiß ich mich auf euch!
Die Gänse lärmten weiter und der falsche Zeuge warf sich zwei Mal auf den Trolley. Zwei Tage später, am Weihnachtstag 2004, verputzte er mit seiner Schwester die beiden Gänse und am Abend säuberten sie die Knochen mit einem Spezial-Gänsefleischentferner. Dann bastelten sie aus den Knochen eine Art Pullover. Die Schwester zog ihn an.
Steht dir gut, sagte der falsche Zeuge, aber du musst was drunterziehn. Vor deiner hellen Haut heben sich die hellen Knochen so gut wie gar nicht ab.
Erst wollte die Schwester es nicht einsehen. Sie stellte sich vor einen Spiegel.
Du hast Recht, Mäuschen!, rief sie. Ich seh ja aus wie nackt!
Sie zog ein schwarzes T-Shirt ihres Bruders unter den Knochenpulli.
Total avantgardistisch!, sagte der Bruder. Stell dich mal vor den Weihnachtsbaum.
Er machte ein Foto von ihr.
Du schaffst es immer wieder, deine Individualität zu betonen, sagte er anerkennend. Da hast du echt Talent.
Die Schwester holte einen Kopfsalat aus dem Kühlschrank und warf die Blätter auf den Tannenbaum.
Was machst du denn jetzt?, rief der falsche Zeuge.
Mischwald, sagte die Schwester.
Der netteste Mensch der Welt
Schwuli sah so abgerissen aus, dass der Gebrauchtwagenhändler gar nicht mit ihm sprechen wollte. Er machte nur sehr schnelle Geh-weg-Gesten mit den Fingern einer Hand. Da nannte Schwuli ihn einen furzenden Schmetterling. Der Gebrauchtwagenhändler war von diesem Ausdruck angewidert und wünschte Schwuli einen Schlaganfall.
Dann lege ich mein Geld eben woanders an!, rief Schwuli und ging.
Er sog die betörenden Fliederdüfte gierig ein und wurde von einem dunkelblauen Kinderhandschuh, der in einem Gartenzaun steckte, angesprochen: Hey, Schwuli! Zeig mir die Welt!
Heute nicht, sagte Schwuli. Ich muss noch meine Oma kreuzigen.
Der Kinderhandschuh musste schlucken.
Das musst du jetzt nicht wirklich, oder?
Mann!, brüllte Schwuli. Du kennst mich doch. Ich bin der netteste Mensch der Welt.
Wieso heißt du eigentlich Schwuli?, fragte der Handschuh. Du bist doch gar nicht homosexuell.
Weil ich so nett bin, sagte Schwuli. Wenn du nett bist, nennen sie dich Schwuli oder Arschloch oder Opfer oder Penner, weißt du doch.
Ich bin auch nett, sagte der Handschuh, aber zu mir sagen alle nur Handschuh.
Korrekt, sagte Schwuli. Und warum hängst du hier ab?
Verloren worden, sagte der Handschuh. Jemand hat mich hier reingesteckt, damit ich gut zu sehen bin.
Nett, sagte Schwuli.
Mit wem reden Sie denn?, fragte eine Frau von 48.
Mit dem Handschuh, sagte Schwuli. Er sprach mich an.
Schade, dass sie einen an der Waffel haben, sagte die Frau. Sie sehn so schlecht gar nicht aus.
Er ist auch nett!, rief der Kinderhandschuh. Seine Kleider sind dreckig, aber sein Penis ist sauber und die Hände auch.
Zeigen Sie mal, sagte die Frau.
Schwuli hielt die Hände hin. Da spuckte die Frau ganz schnell drauf und rannte weg.
So eine Gestörte!, rief der Kinderhandschuh.
Ach, sagte Schwuli, sag nicht so krasse Sachen. Frauen in den Wechseljahren haben oft solche Hitzewallungen. Dann halten sie die Welt nicht aus und machen Sachen, die sie kurze Zeit später sehr bereuen.
Da kam die Frau zurück. Sie wischte mit einem Tempo Schwulis Hände ab und sagte: Tut mir leid. Ich habe manchmal so eine universelle Wut auf alle Idioten.
Schon gut, sagte Schwuli. Und die Wechseljahre?
Bis jetzt habe ich meine Periode noch immer regelmäßig, sagte die Frau. Also, ich muss weiter. Tschüss.
Die war auch nett, sagte der Kinderhandschuh.
Ja, sagte Schwuli. Nette Menschen erkennen einander, das ist das Schöne am Leben.
Unterirdisch
Einen halben Meter unter der Erdkruste hatten einige Erdgeister aus Mundharmonikaresten eine Bar gebaut und sie nach dem großen Komponisten »Morricone« getauft. Nun saßen sie am Tresen und starrten auf die mit kalter Lava gefüllten Flaschen.
Die Etiketten sind zu dick und zu weich, sagte ein Erdgeist.
Stimmt, sagte ein anderer. Sie hängen runter wie Schwabbelbäuche.
Hey Leute!, rief ein anderer, das ist unsere allererste selbstgebaute Bar, seid nicht zu streng mit ihr.
Und warum steht auf den Etiketten nicht Lava, sondern Love?, fragte ein vorbeihuschender, virtueller Maulwurfshügel.
Weil das für uns dasselbe ist, du Ei!, riefen die Erdgeister.
Zwei Zahlen
Eine Zwei lag tot im Straßengraben.
Was ist mit dir?, rief eine beschwippste Vier, die von einem Betriebsausflug nach Hause ging.
Ich bin tot, sagte die Zwei ganz leise.
Ermordet?, fragte die Vier.
Nein, nein!, rief die Zwei. Herzversagen, Altersschwäche, keine Ahnung. Immer müsst ihr Vieren alles dramatisieren.
Die Vier setzte sich neben die tote Zwei ins Gras und sah sie an.
Du siehst aus wie immer.
Warum auch nicht, sagte die Zwei. Bloß weil ich tot bin, muss ich ja nicht anders aussehen.
Wie geht’s dir denn?, fragte die Vier und streute