Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Steinhauer
Издательство: Bookwire
Серия: Mord und Nachschlag
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941895683
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dachte Bernt amüsiert, und versetzt sie von Anfang an schon in Ferienstimmung. Quatsch, die Saison war längst vorüber. Um diese Jahreszeit gab es fast nur noch Tagesausflügler aus der Umgebung und die üblichen Alkoholtouris von der schwedischen Seite, und denen war das Outfit des Seemanns völlig gleichgültig. Der Mann verkleidete sich also zum eigenen Vergnügen. Oder schrieb ihm die Reederei das vor – als Dienstkleidung sozusagen? Für seine Ermittlungen hatte es ja bestimmt sein Gutes, dass um diese Zeit nicht so viel Andrang auf den Fähren herrschte. Im Sommergewimmel würde sich mit Sicherheit keiner an den Mann auf dem Foto erinnern können und so bestand immerhin eine kleine Chance, dachte er.

      »Ich bin Kommissar Bernt Örneberg von der Kripo in Göteborg. Der Mann auf dem Bild hier ist tot. Seine Leiche fand man in einer Kirche. Vor der Kirche stand sein Auto mit dänischem Kennzeichen.«

      Er machte eine dramaturgische Pause.

      »Der Mann war Rollstuhlfahrer.«

      »Was für’n Auto war denn das? Umgerüstet? Aufkleber an der Heckscheibe?«, fragte der Bilderbuchseebär nach.

      Irgendwie sieht der Typ mit seiner blauen Jacke, der Mütze und dem gestreiften T-Shirt lächerlich aus, dachte Bernt. Gut, dass er sich nicht so ausstaffieren musste: Trenchcoat, Hut, Sonnenbrille und Schirm.

      Unauffällige Normalität war eher sein Stil.

      Bis auf die Sonnenbrille vielleicht.

      Er erstand in jedem Sommer ein neues extravagantes Modell.

      »Es war ein Saab, Neuner, dunkelgrau, umgebaut mit Lenkradschaltung und anderen Extras. Auf der Heckscheibe hatte er einen blauen Aufkleber mit weißem Piktogramm für Rollstuhlfahrer«, erläuterte Bernt.

      Wieder steckten sie ihre Köpfe zusammen. Er verstand nicht, worüber sie tuschelten. Hin und wieder warfen sie ihm einen kritischen Blick zu, bevor sie in andeutenden Gesten weiterflüsterten.

      Endlich schienen sie zu einem Ergebnis gekommen zu sein.

      »Der ist mit mir gefahren.«

      Der picklige Typ neben dem Seebären hatte eine eigenartig piepsige Stimme. Nervös wischte er sich die feuchten Handflächen an den Oberschenkeln ab. Bernt hätte wetten können, dass die Hose an den Schenkeln schon ganz speckig war.

      »Wann?«

      »Ich glaube, das war schon in der Nacht zum Mittwoch.

      Aber da bin ich mir nicht ganz so sicher. Der Wagen ist mir aufgefallen, weil der Typ nicht ausgestiegen ist. Die meisten steigen doch während der Fahrt aus und gucken aufs Meer oder vertreten sich die Beine oder rauchen eine.

      Aber der ist ganz still sitzen geblieben. Da bin ich näher ran, man weiß ja nie, nachher ist ihm übel oder so. Na ja. Da habe ich die Lenkradschaltung gesehen. Ist ja eher selten.«

      »Ist dir an dem Mann sonst noch irgendetwas aufgefallen? War er vielleicht mit anderen unterwegs?«

      »Nee, der war allein. Der starrte die ganze Fahrt über nur vor sich hin. Aber auf der Rückbank lag so ’ne Fitnesszeitschrift, Hochglanzpapier und so Muskelmänner drauf. Hab noch gedacht: klar, logisch, genau, das würd ich auch lesen, wenn ich behindert wär und mich runterziehen wollte. Na, is doch wahr!«

      ****

      Die Geschwindigkeit, mit der sie am Horizont größer wurden, war schier unglaublich. Als säßen sie auf Motorrädern.

      Zorn beflügelt.

      Das hatte er neulich in einem Buch gelesen.

      Zorn beflügelt.

      Übelkeit stieg in ihm auf.

      Und Zweifel.

      Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sich weiter in das Arrangement zu fügen. Er wusste nicht, was besser war, die Übelkeit – weil er eine Entscheidung getroffen hatte, die er für mutig hielt – oder die Angst, dass es sich vielleicht nicht um Mut, sondern um Leichtsinn oder gar Dummheit gehandelt hatte.

      Sie bogen so schnell in den Weg zu seinem Haus ein, dass die Hinterräder wegrutschten und eine beeindruckende Staubwolke entstand. Wie im Western, wenn der Böse mit finster entschlossenem Gesicht in die Stadt ritt.

      Und genauso viel Spannung lag in der Luft.

      Sie entdeckten ihn praktisch sofort.

      »He, Folkvin, komm runter, du Ratte, oder wir schütteln dich vom Baum wie Fallobst!«, kreischte der Lange und in dem Augenblick entdeckte er die Baseballschläger, die sie mitgebracht hatten, und er spürte, wie ihm das Herz in die Hose fiel.

      Der Dicke sah zu ihm hoch und er erkannte in seinem Blick, dass seine schlimmsten Befürchtungen wahr würden.

      Sie tatsächlich gekommen waren, um ihn zu ermorden.

      Hier und jetzt würden sie das Theater mit ihm ein für allemal beenden.

      ****

      »Was haben wir?«, fragte Lundquist trocken in die Runde.

      »Bei der Überfahrt mit der Fähre ist er tatsächlich aufgefallen. Das Auto war ungewöhnlich genug, um bemerkt zu werden. Einem Skipper fiel die Lenkradschaltung auf. Er hat auch den Fahrer wiedererkannt und meinte, er sei allein unterwegs gewesen«, fasste Örneberg zusammen.

      »Dann wissen wir jetzt, wie er eingereist ist«, meinte Britta lapidar. »Aber die Aussage deines Zeugen beweist nicht, dass er wirklich allein war, oder? Schließlich könnten die Mörder ja auch in einem anderen Auto unterwegs gewesen sein. Oder sie hatten einen Treffpunkt in Schweden vereinbart.« Sie seufzte.

      Trotz aller Ergebnisse schien sich die Ermittlung im Kreis zu drehen.

      Im Grunde bestätigte sich nur, was sie schon wussten. »Die Kirche in Holm könnte auch selbst der Treffpunkt gewesen sein. Der Mord muss doch nicht von vornherein geplant gewesen sein. Vielleicht kam es tatsächlich unerwartet zum Streit.«

      »Schon möglich«, brummelte Lundquist. »Aber wenn es wirklich eine handgreifliche Auseinandersetzung gegeben haben sollte, hat sie jedenfalls nicht an der Kirche stattgefunden: Auf dem Kirkogaard fanden sich schließlich keine Spuren. Keine niedergetrampelten Blumen, Fußabdrücke auf Gräbern, Abschürfungen an Steinen oder Ähnliches. Und dann wüsste ich mal gern, wie man sich prügelt, wenn man im Rollstuhl sitzt.«

      Lundquist sah fragend in die frustrierte Runde. Nirgendwo ein Punkt zum Ansetzen.

      »Er saß doch gar nicht im Rollstuhl!«, protestierte Wikström.

      »Aber er wollte, warum auch immer, verdammt noch mal, dass alle glaubten, dass es so wäre«, insistierte Lundquist.

      »Ja gut. Aber wäre er in eine Prügelei verwickelt worden, hätte er sich doch nicht wehrlos niederschlagen lassen!«, widersprach Ole halsstarrig.

      »Der Hieb kam von hinten«, stellte Sven Lundquist unbeirrt fest. »Der Gerichtsmediziner meint, das Opfer habe links vom Täter gesessen oder gestanden. Seiner Meinung nach muss es gar kein Handgemenge gegeben haben. Nach Spurenlage wurde das Opfer hinterrücks niedergeknüppelt.«

      »Ich hab hier was Neues«, mischte sich Lars Knyst ein. »Eine ganz andere Richtung. Laut Melderegisterauszug hieß Gunnar Thaisen früher Folkvin Jesser. Geboren am 12.07.1967 in Göteborg. Keine Angaben zum Vater. Seine Mutter hieß Marian Jesser. Jahrgang 1941. 1977 zog Frau Jesser mit ihrem Sohn nach Malmö und reiste von dort ein halbes Jahr später nach Dänemark aus. Noch während der Zeit in Malmö tauften sich Mutter und Sohn kurzerhand um. Von nun an hießen sie Elisabeth und Gunnar Thaisen.«

      »Und das geht so einfach?«, fragte Ole erstaunt. »Nein. Eigentlich nicht. Aber die Mutter gab an, von einer kriminellen Organisation verfolgt zu werden. Man verwechsle sie wegen einer zufälligen Namensähnlichkeit mit einem ehemaligen Bandenmitglied, das andere bei der Polizei verraten haben soll. Die Akte enthält einen Hinweis, dass die Kollegen die Mutter für psychisch auffällig hielten und ihr zu einer Therapie rieten. Das lehnte sie jedoch ab. Nach