Blues. Carl-Ludwig Reichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carl-Ludwig Reichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871100
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Augentrost hatten. Ich trank den ganzen guten Liter King Kong, konnte aber nicht schlafen … bis Montag früh. Als ich aufwachte, deutete Mrs. Hall lakonisch auf einen weiteren halben Liter King Kong, riet mir, ihn zu vernichten und meinte, das würde mir auf die Beine helfen. Mamie und ich nahmen die U-Bahn, stiegen Zweiundvierzigste Straße Ecke Times Square aus und gingen ums Eck in das Okeh Studio

      Da es erst acht Uhr morgens war, die Session aber für halb zehn angesetzt waren, nahmen die beiden als Frühstück noch einen Riesen-Free-Lunch für insgesamt zehn Cents ein, bestehend aus Schinken und Kartoffeln, Kaffee und Semmeln nebst zwei Glas Bier.

      »Als wir dann im Aufnahmeraum waren und vier oder fünf Mal mit dem ›Harlem Blues‹ durch waren, sagte ich Mr. Hibbard, dem Toningenieur, alles sei Paletti. War aber nicht. Bis wir wirklich so weit waren, hatten wir zwölf Testplatten kaputtgemacht. Denn die Okeh Studios benutzten Hill&Dale-Equipment, das bei weitem nicht so sensitiv war wie die modernen elektrischen Geräte (die heutzutage aus Flüsterern Sänger machen). Dazwischen hatten sich alle außer Mamie eine Gallone Brombeere und Gin, das bevorzugte Prohibitionsgesöff der Musiker in Harlem, einverleibt und fühlten sich gut und high.«

      Leider hatte Mamie vergessen, den Musikern die Titeländerung bekanntzugeben. Deshalb hörten sie bei der Aufzeichnung mitten im Stück auf, da sie glaubten, Mamie habe das Stück vermasselt. Aber dann war es endlich so weit.

      »Als wir die Einleitung spielten, genau so, wie eingeübt und Mamie anfing zu singen, hatte ich den Thrill meines Lebens. Johnnie Dunns Kornett klagte diese träumerischen Blues, Dope Andrews machte einige Downhome-Zieher auf seiner Posaune, Ernest Elliott jivte auf der Klarinette und Leroy Parker sägte mit seiner Fiedel in den Groove. Mann, es war schier zu viel für mich.«

      Diesmal lief die Werbemaschine auf vollen Touren. »Crazy Blues« von Mamie Smith & Her Jazz Hounds war ein beispielloser Erfolg und löste eine jahrelange Erfolgswelle für Bluesinterpretinnen aus. Einen guten Überblick über die Epoche verschafft das Doppelalbum Women in Blues, das auch die Originalaufnahme von »Crazy Blues« bringt.

      Angeblich war es der Manager der Firma, ein gewisser Ralph Peer, dem der schöne Begriff Race Market einfiel, aus dem später die Race Records wurden. Binnen eines Jahres boomte der Markt. Im Wochentakt wurden neue sensationelle Sängerinnen angepriesen, der weitverbreitete Name Smith, mit dem sich in Krimis zwielichtige Figuren in Hotelbücher eintrugen, war auf einmal gar nicht mehr karrierehinderlich. Nach Mamie kamen noch Bessie, Clara, Clementine und Trixie Smith, alle zu hören auf Blue Ladies (Memphis Archives 1993). Die schwarze Presse wurde nicht müde, auf den Umstand hinzuweisen, dass Mamie die erste schwarze Sängerin war, die Popsongs aufgenommen hatte. Den Jazz Hounds kommt sogar noch eine weitere Pioniertat zu: Sie war das erste schwarze Ensemble, das bereits im Januar 1921 den »Royal Garden Blues« aufnahm, also noch vor Kid Orys berühmter erster Aufnahme des New-Orleans-Jazz »Society Blues« vom Juni 1922. Die weiße Truppe der Original Dixieland Jazz Band war beiden allerdings mit dem »Tiger Rag« im März 1918 vorausgegangen.

      In ihrem grundlegenden Buch Black Pearls – Blues Queens Of The Twenties (1988) gab Daphne Duvall Harrison einen Überblick über die ersten Tondokumente schwarzer Musik. »Schwarze wurden schon 1895 hörbar, als George W. Johnson auf einem Edison-Phono-Zylinder »The Laughing Song« aufnahm. Es gab auch eine Victor-Aufnahme des brillanten jungen Komödianten Bert Williams, eine Aufnahme des Dinwiddie Colored Quartet von 1902, Aufnahmen von Carroll Clark mit sogenannten Plantation Melodies; die Fisk Jubilee Singers sangen ihre Sorrow-Songs und es gab Coon-Songs von ein paar schwarzen Minstrels (die das ein paar Jahre später öffentlich bedauerten).«

      Ergänzend können seit 1998, dem Erscheinen der Anthologie American Pop: An Audio History – From Minstrel to Mojo: 1893 – 1946 noch weitere Dokumente angeführt werden: Das Unique Quartette mit »Mama's Black Baby Boy«, aufgenommen bereits im Herbst 1893, ein klassischer A-cappella-Song; eine von Dick Spottswood entdeckte Aufnahme von 1897 einer Gruppe namens Cousins & De Moss, betitelt »Poor Mourner«, mit zwei Sängern und Banjobegleitung, wie sie in den Aufnahmen schwarzer Musik selten ist, da die Produzenten meist den Gitarrensound bevorzugten. Bert Williams (1874 – 1922) nahm 1906 auch einen Song auf, »Nobody«. Eine weiße Sängerin namens May Irwin (1862 – 1938) sang im Mai 1907 ein Stück »The Bully« ein, dessen Autorschaft von einem Sportjournalisten beansprucht wurde, der aber zugab, es von Schwarzen gesungen gehört zu haben.

      Ein überraschend hoher Anteil am späteren Erfolg des Blues kommt laut Harrison dem anhaltenden Interesse weißer Sängerinnen an gutem Songmaterial zu. »Diese frühen Aufnahmen brachten komische Monologe und Choralversionen schwarzer akademischer Chöre von religiöser Musik, aber keine Blues. Die einzige Ausnahme war ein Bluestitel in einer Serie von neunundvierzig Pianorollen, die 1906 herauskam, Music for the Aeolian Grand. Vielleicht war dies eine Anomalie, aber das war der Vorläufer jener Bluesrollen, die zehn Jahre danach herauskamen. Ironischerweise, aber typisch, war es die aktive Suche bekannter weißer Unterhaltungskünstlerinnen nach Bluessongs, die ihn ins Zentrum der Unterhaltungsindustrie stellte. Nach Ronald Foreman, einem Erforscher der Geschichte des Jazz und der Race Records, waren es Sophie Tuckers Interesse am Blues und die nachfolgenden Adaptionen durch Blossom Seeley, Al Bernard und Nora Bayes ..., welche das Wort Blues für viele Vaudeville- und Theaterbesitzer mit Bedeutung aufluden.«

      So konnte Nora Bayes bereits 1916 einen »Homesickness Blues« aufnehmen, 1917 folgte Mary Cahill mit »Dallas Blues«, 1918 sang Irving Kaufman einen »Chinese Blues«, 1919 hatte er bereits den »Alcoholic Blues«. Alle Titel nebst vielen Späteren sind zu hören auf Tin Pan Alley Blues (Memphis Archives 1994).

      James Reese Europe mit seiner Band aus schwarzen Musikern, der 1913 den »Down Home Rag« aufnahm, Al Jolson und auch W.C. Handy, der sich neben Mamie Smiths Manager Perry Bradford bei den Plattenfirmen unermüdlich dafür einsetzte, schwarze Sängerinnen aufzunehmen, waren weitere Pioniere auf dem Weg zu Mamies Erfolg. Für Mamie selbst machte sich der Durchbruch bezahlt. Allein 1921 warf sie neunundzwanzig Songs auf den Markt. Aber sie sollte nicht die einzige Nutznießerin bleiben.

      Schon 1921 tauchten Konkurrentinnen auf: Mary Stafford und Edith Wilson für Columbia, die junge Ethel Waters lief bei Cardinal als Sweet Mama Stringbean, Emerson hatte Lillyn Brown, Arto brachte Lucille Hegamin, ging aber trotzdem bald ein. Dafür erblühte Black Swan. Ethel Waters hatte mit »Down Home Blues« Erfolg und rekrutierte Katie Crippen und Lula Whidby. Später übernahm Paramount das Label.

      Bereits 1922 schrieb The Metronome: »Eine Plattenfirma hat über vier Millionen Dollar am Blues verdient. Jetzt hat jede Firma ein farbiges Girl, das Aufnahmen macht. Blues wird bleiben.« Dafür sorgten unter anderem außer den bereits Genannten Daisy Martin, Ester Bigeou, Lavinia Turner, Laura Smith, Monette Moore und Gladys Bryant. Und es kam zu ersten Firmengründungen unabhängiger, rein schwarzer Plattenproduzenten. Die Ersten hießen laut Perry Bradford The Grey-Gull und Black Swan Records, welch Letztere einem gewissen Harry Pace gehörten.

      Als Dokumente schwarzer Musik kommen natürlich auch Filme in Frage. Schon in der Stummfilmzeit vor 1928 wurden Gruppen wie das Cleveland Coloured Quartet dokumentiert. Maude Mills war mit den Club Alabama Stompers und »I'm Gonna Loose Myself Down in Louisville« vertreten. Bessie Smith sang in St. Louis Blues, einem Kurzfilm von Dudley Murphy, Mamie Smith trat in The Jail House Blues erstmals vor die Kamera, später dann noch in Mystery in Swing, Sunday Sinners (beide 1940), Murder on Lenox Avenue (1941) und Paradise in Harlem (1939). Trixie Smith war zu sehen in The Black King (1932), Louisiana (1934), Swing! (1938) und God's Step Children (1938). Alberta Hunter tauchte in der Radio Parade of 1935 (1934) auf. Wild Women Don't Get the Blues (1985) war eine späte Dokumentation über sie.

      Eine weitere kaum bekannte Quelle sind die synchronen Film- und Tonaufnahmen von Dr. Milton Metfessel für ethnologische Forschungszwecke aus dem Jahr 1926, der 1928 ein Buch dazu veröffentlichte. Titel wie »Westindies Blues«, »John Henry« oder »You Ketch Dis Train« erregen