»Lieber Schreiberling«, so begann er und fügte seinem Brief einen Einakter bei: »ein grobschlächtiges Drama der niederen Art … natürlich eine Farce – wenn auch eine, die es in sich hat«. Er meinte, dass ihn mein letzter Brief überrascht habe, »und auf lange Sicht mag es sein, dass Sie eine Entschuldigung bei mir gut haben – für all meine Beschimpfungen.«
Sein Theaterstück wies ich zurück, da es voller »überkommener Klischees sei und ihm ein Stallgeruch anhafte«. Für sein Buch wünschte ich ihm alles Gute und merkte an, wenn es ihm mit dem Roman ernst sei, solle er sich vom Journalismus besser fernhalten. Ich schlug ihm vor, auf einen Drink vorbeizukommen, wenn er in der Nähe sei.
Die Antwort war seine Art von Rache, die er auf einer ganzen Seite ausbreitete: »Erwarten Sie von mir nicht, dass ich Ihnen einen Packen Plattitüden schicke, um Ihre stinkende Leiche von Zeitung zu dekorieren, als wär’s die amerikanische Flagge, die einen Sarg voller Müll einhüllt.« Und er fügte hinzu: »Ich stelle mir vor, dass Sie ziemlich in Ordnung sind, und dies auf Ihre ganz eigene Weise. Umso beschämender, dass Sie sich als Sprachrohr des internationalen Rotariertums verdingen.«
Keine zwei Monate später hatte er sich bei Sportivo beworben, einem neuen Bowling-Magazin in San Juan. »Vielleicht gelingt es mir, den Herausgeber zu übertölpeln und ihn glauben zu lassen, ich sei normal«, schrieb er seinem Freund Bob Bone, einem Reporter des Star. Er bekam den Job. Aber Normalität vortäuschen zu wollen war fehl am Platz. Der Herausgeber des Sportivo entpuppte sich Hunter zufolge als »Lügner, Betrüger, Aussteller ungedeckter Schecks, rechtsbrüchiger Wortverdreher« und stellte sich auch sonst als »verkommen« heraus, und so war der Job nur eine weitere Pleite.
Immerhin war Hunter jetzt in San Juan, und schon bald tauchte er im Büro des Star auf. Fred Harmon, unser Wirtschaftsredakteur, begrüßte ihn mit den Worten: »Mit einem Süßigkeitenautomaten können wir nicht dienen, aber dort an der Ecke steht ein Zigarettenautomat.« Einige von uns zogen los, um den versprochenen Drink einzunehmen, und wir unterhielten uns über Bronzetafeln und Romane; Hunter stellte sich auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in Puerto Rico ein.
Er war aus zwei Wohnungen herausgeflogen, fand aber schließlich ein Haus an einem einsamen Strand, lud Sandy, seine zukünftige Frau, ein herzukommen (»Ich kann mich selbst kaum finanzieren, umso weniger eine Ehefrau«, schrieb er ihr, »deshalb gehe ich davon aus, dass Du zumindest ein bisschen Geld für Essen dabei hast«), arbeitete an irgendwelchen literarischen Texten, verdingte sich als freier Journalist, und wir redeten nächtelang über Literatur und darüber, wie und warum man schreibt.
Im Juni war Hunter absolut pleite, er war von der Polizei verprügelt und wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstand gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis gesteckt worden, wo sich seine Getränke auf Regenwasser beschränkten und er von Bartmücken halb aufgefressen wurde; als er das Gefühl nicht los wurde, dass er womöglich ein ganzes Jahr in einem puerto-ricanischen Knast verbringen müsste, entfloh er der Karibik in einem Segelboot.
Folgendes schrieb er mir von den Bermudas: »Lieber Redakteur: Mein Name ist HS Thompson, und ich würde gerne für den San Juan Star arbeiten … Wenn ich das richtig sehe, ist Puerto Rico ein phantastischer Ort, um es dort eine Weile auszuhalten … Drei Typen, die ich in einem Wohnheim in Upstate New York traf, haben mir dies berichtet … Gute Leute waren das, und das Meiste von dem, was sie erzählten, leuchtete mir sofort ein.«
Es war dies der kaum vorhersehbare Beginn einer Freundschaft und einer Korrespondenz, die seit nunmehr siebenunddreißig Jahren anhält. Es geschehen seltsame Dinge, wenn einem Hunter Thompson über den Weg läuft. Seine Art, das Leben auf sich zukommen zu lassen, ist den meisten Sterblichen fremd. In den oben zitierten Briefwechseln steckt eine prophetische Kraft – was Hunters Zukunft als stilistisch glänzender amerikanischer Prosaautor und als journalistischer Literat angeht, aber hinsichtlich seines Lebensstils, der ihm dabei gute Dienste erwies: Chaos verbreiten – um seine eigenen hochtrabenden Pläne zu untergraben; Selbstzerstörung kultivieren – als Schlüssel zum Erfolg; Kontakte auf Augenhöhe pflegen – mit der Komik eines Verzweifelten; mit Bronzetafeleien genauso zurechtkommen wie mit Zurückweisungen aller Art – denen er gerne mit einer Superhelden-Rhetorik begegnete, so etwa 1965 in einem Brief an einen sich windenden Herausgeber: »Ich werde auf einem frisierten Motorrad nach New York kommen und Ihnen eine Leuchtkugel aus explodierendem Dreck in den Bauch jagen«; oder 1967 über seine Vorstellung, wie er einen Literaturagenten fertig machen würde: »ihm die Zähne mit einem Holzstock einschlagen und ihm jeden seiner Knochen brechen und jedes seiner Organe zerreißen, dem ich habhaft werden kann, in der kurzen Zeit, die mir mit ihm beschieden sein wird.«
Das Instrumentarium, auf dem Hunter in den Folgejahren spielen sollte, war in seinen unausgereiften Phantasien in San Juan bereits angelegt – bizarrer Witz, grenzenloser Spott, Exzess bis zum Abwinken, absolutes Selbstvertrauen, das Narrativ eines gekränkten, um Anerkennung ringenden Ego, der unaufhörliche Zorn eines sich moralisch überlegen fühlenden Outlaws. Damals, in jenen Tagen, setzte er all dies ein, um Schriftsteller zu werden. Als wir uns das erste Mal über Literatur unterhielten, war Prince Jellyfish sein Dauerprojekt, und bald darauf begann er mit der Arbeit an dem Roman The Rum Diary, der ihn in den kommenden Jahren beschäftigte.
»Prince Jellyfish schon wieder durchgefallen, zum dritten und letzten Mal«, schrieb er mir im August 1960 aus New York. »Wirklich, es ist kein sehr gutes Buch … Dieses Jahr hake ich ab, es steht unter dem Zeichen ›Erfahrungen machen‹, und ich fange jetzt mit dem ›Großen Puerto-ricanischen Roman‹ an, den ich schon erwähnt habe … Ich habe mich so oft bloßgestellt, dass ich mich nicht mehr guten Gewissens als Märtyrer bezeichnen kann. … Ich schätze, als Opportunist, der über ein großes unausgereiftes Talent verfügt, bin ich besser dran.«
Er wusste, dass auch einige meiner Manuskripte abgelehnt worden waren, und das schien ihn sogar noch mehr zu bekümmern, als es bei seinen eigenen der Fall gewesen war. »Ein Märtyrer sind Sie nicht«, wie er treffend beobachtet hatte, »und dennoch glaube ich, Sie machen sich ernsthafter ans Schreiben als ich. Ich bin viel zu sehr auf meinem eigenen Trip, um Ihnen viel Glück zu wünschen, und doch, wenn Ihnen der Durchbruch gelingt, ohne dass Sie dann auf mich herabschauen, hoffe ich, dass Sie es schaffen.«
Das klang in meinen Ohren ungewöhnlich ehrenwert, doch seine Rede von Märtyrertum und Selbstentblößung hatte etwas von einer romantischen Idee ohne besonderen Wert – außer dem, dass sich hier ein Autor selbst von seiner eigenen Bedeutung überzeugen will. Immer wieder zählten wir die Beispiele auf – die Nachlässigkeit von Faulkner, das Pech von Nathanael West oder die Tragik von Fitzgerald, dessen Werk nicht mehr gedruckt wurde und der allmählich verblasste. Was nun Hunters Selbstentblößung angeht, bestand diese vor allem darin, zu viel zu trinken und anspruchslose journalistische Arbeiten abzuliefern, um irgendwie zu überleben. Doch sein eigentliches Problem war die Unzulänglichkeit seiner literarischen Texte, genau wie bei mir auch. Das sollte uns in den kommenden Jahren beiden klar werden.
Die vorliegende Kollektion von Hunters Briefen ist eine authentische Quelle, um diese Zeit seines Lebens nachzuvollziehen: wie er sich zu dem unverwechselbaren literarischen Autor formte, der er später wurde.
1960: »Wenn ich mir meiner Bestimmung nicht so sicher wäre, würde ich vielleicht zu dem Schluss kommen, dass ich deprimiert bin. Bin ich aber nicht. Es gibt immer die Post des nächsten Tages.« … »Noch verkauft sich meine Literatur nicht … Habe mit dem Großen Puerto-ricanischen Roman angefangen (The Rum Diary) & ich gehe davon aus, das wird’s.«
1961: Mit dem Roman lief es schlecht, wie er mir schrieb, da war wieder ein Agent, der ihn nicht wollte.