Mit solchen Konstruktionen legitimierte die Justiz Vereinsauflösungen, Veranstaltungsverbote, Vermögensbeschlagnahmungen, Verhaftungen und gerichtliche Bestrafungen und führte sich so selbst ad absurdum. Mit der Verweigerung des Rechtsschutzes gegen behördliche Anordnungen überließ sie das Feld der Polizei, der sie zugleich auch das Recht einräumte, allein zu definieren, was legal sei. Dabei wurde eine abweichende Meinung selbst zu den nebensächlichsten Dingen zur »Staatsfeindschaft« aufgeblasen. Der Leipziger Taxenunternehmer Franz S. beispielsweise, Vorstandsmitglied der Droschkenbesitzer-Genossenschaft, hatte zur Organisation seines Gewerbes eine andere Auffassung vertreten als das Verkehrsministerium. Auf Verlangen der Polizeibehörde war er daraufhin kurzerhand aus dem Vereinsregister gestrichen worden. Er erhob Klage gegen diesen Verwaltungsakt und führte aus, er sei doch schließlich kein Staatsfeind, nur weil er über Droschkenorganisation anders dächte. Er wurde jedoch in dritter Instanz vom Oberlandesgericht München147 über seine Rechtlosigkeit belehrt: »Die in der Verordnung aufgeführten verfassungsrechtlichen ... Bestimmungen sind zugunsten der Polizeibehörden schlechthin gegenüber jedermann ihrer bisherigen Bedeutung entkleidet worden ... Insoweit ist daher der bisherige Rechtsschutz ... gegenüber den Polizeibehörden beseitigt.«148
Dass politische Angelegenheiten der Nachprüfung durch die Gerichte entzogen seien, darüber bestand zwischen Polizei und Justiz, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Einigkeit. Die Gerichte halfen überdies noch tatkräftig, den Bereich des Politischen auf alles und jedes auszuweiten. Das Oberlandesgericht Kiel erhob zum Beispiel den Sachverhalt, dass eine Zeitung in einigen kritischen Artikeln angeblich die Ärzteschaft herabgesetzt und deren Ansehen geschädigt hatte, zur politischen Angelegenheit, da »durch die Zeitung den gesundheitspolitischen Tendenzen und Zielen der Staatsleitung entgegengewirkt« werde.149 Das Oberlandesgericht Stettin erklärte sich für den Autounfall eines SA-Mannes als nicht zuständig, weil »jede dienstliche Betätigung eines SA- oder NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps)-Mannes im Rahmen der NSDAP stattfindet und somit als politische Betätigung im allgemeinen weiten Sinne zu bewerten« sei.150 In dem erwähnten Droschkenfall hatte das Oberlandesgericht München schon hinlänglich erläutert, was nun alles politisch war: »In dem Kampf um die Selbstbehauptung, den das deutsche Volk heute zu führen hat, gibt es auch nicht mehr wie früher einen unpolitischen Lebensbereich.«
Die »schöpferische« Auslegung der Reichstagsbrandverordnung und ihre universelle Anwendung durch die Gerichte ging selbst einigen führenden Nationalsozialisten zu weit. Ausgerechnet der Justitiar der Gestapo, Dr. Werner Best, sah sich 1938 veranlasst, die bei der Interpretation der Verordnung gängige Praxis zu rügen: Wenn die Gerichte nicht anders weiterkämen, versuchten sie »sich durch eine gewaltsam erweiterte Auslegung des Begriffs der Gefahrenabwehr zu helfen, die manchmal geradezu zu innerer Unwahrheit der Begründungen« führe.151
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