»Gleich draußen vor den ratternden, expressionistischen Straßenbahnen in der rachitischen, ruinösen rheinischen Nacht«, oh Gott, das hatte ich geschrieben, ich, Diedrich Diederichsen, und ich fragte mich, wieso dann nicht gleich »rachitischen, ruinösen rheinischen Racht?«, stöhnend las ich weiter, »schlage ich die Kapuze über Kopf und Kragen zusammen ...« und es dämmene mir, dass, wenn’s Kapüzchen und der Kragen / überm Kopf zusammenschlagen und – pfffhhhh – heiße Luft entweicht, das nicht am Kragen liegt und nicht an der Kapuze, und leer und getröstet schlief ich endlich ein und hielt den Rand eine ganze, ganze Nacht lang.
1991
Johnny Thunders u.a.
SAMSTAG, 27.4.1991, KOLLEGE WILLEN ruft an, ob ich schon gehört hätte, Johnny Thunders ist tot, ich sage nee, hätt’ ich noch nicht. Mir fällt das 88er Konzert im Berliner Loft ein, Thunders völlig fertig, kann kaum stehen vor heroinbedingter Abgewracktheit, neben mir zwei auf Hardcore getrimmte Fischgesichter, »»Mann ey, vielleicht kratzt er heute ab, ey«, oh ja, und dann wären sie live dabeigewesen und könnten ihrer miesen Existenz einen Schuss Maggi-Würze geben; dieselbe Sorte trieb es im selben Jahr in die Konzerte von Chet Baker im Quasimodo, Jazzfettsäcke, die darauf warteten, dass der ausgemergelte Mann vor ihren Augen authentisch und dekorativ zusammenbräche; dasselbe, ebenfalls 1988, bei den Geburtstagsauftritten von Wolfgang Neuss in der UFA-Fabrik, ausverkauft, Gerangel und Gemotze an der Kasse, »ach Scheiße, der krepiert eh bald, dann kann ich’s mir auf Video ankucken«,«, und er krepierte dann ja auch termingerecht für den Videoten nur ein halbes Jahr später; und noch mal, im selben Jahr 1988 in derselben UFA-Fabrik, ein Auftritt der Drei Tornados, 45° Celsius auf der Bühne, Tornado Klotzbach kippt um, Herzinfarkt, wird hinter die Bühne geschleppt, in die Garderobe, ein Arzt aus dem Publikum behandelt ihn notdürftig, und nur knapp zehn Minuten später Geklopfe an der Garderobentür, tja äh, was denn jetzt wäre, drucks, aber es wäre doch erst eine halbe Stunde gewesen, und wie das denn jetzt aussehen würde mit dem Eintrittspreis – all das von Menschen, die sich als links, underground und sonstwie prima begreifen und immer bereit sind, für die gute Sache ihre Unterschrift zu geben.
Johnny Thunders hat den Voyeuren ein Schnippchen geschlagen und ist, wie vor ihm Chet Baker und Wolfgang Neuss, standesgemäß allein abgetreten. Holger Klotzbach ist wieder sehr lebendig, da haben die Aasfresser Pech gehabt, aber Nikki Sudden soll es sehr schlecht gehen.
Und die, denen einer fehlt, weil Johnny Thunders nicht mehr da ist, setzen sich in eine Ecke, legen »Checkin out in your last Hotel« von Herman Brood oder »»So alone« von Thunders auf und sind dann: allein. Und traurig. Und halten den Rand.
1991
Wie ich einmal Scorpions-Sänger Klaus Meine war
ICH WAR NIE KATHOLISCH, aber ich muss etwas beichten. Es war Sonntag, der 25. August 1991. Mit den Freunden und Kollegen Goldt und Weimer hatte ich in der Hamburger Kowalski-Redaktion bis zur Ausjemerjeltheit jeschuftet (»Mulde« machen), gegen drei Uhr früh hatten wir – Feierabend!!! – ein Lokal aufgesucht und zügig diverse durstlöschende Biere getrunken, woraufhin Herr Goldt auf dem Tisch herumkrabbelte und sich auch sonst eher zoologisch benahm, bis Herr Weimer und ich ihn nach guter alter Vater-Mutter-Art ins Alternativhotelbettchen verklappten, und dann waren Herr Weimer und ich noch in eine Normalokneipe Beim Grünen Jäger eingekehrt, fünf, halb sechs war es mittlerweile, außer Holsten gab es eine Musiktruhe, in die stopfte ich ca. 27 Mark hinein oder vielleicht auch 270 und drückte 300 oder 30.000 mal im Wechsel den »Shoop Shoop Song« von Cher – »If you wanna know if he loves you so it’s in his kiss – that’s where it is« –, so wunderbar wie wahr, und, nicht leicht geht es mir über die schamzerbissene Lippe, »Wind of Change« von den Scorpions. Noch nicht einmal die Ausrede, ich hätte nur die anderen Gäste, die Idioten, ärgern wollen, kann ich anführen – außer dem Wirt, Marcus Weimer und mir war niemand da, nein, einfach so, ohne Not, ohne Androhung von Folter o. dergl. drückte ich etwa 3.000.000 mal die Hymne der Greise jeden Alters, das Lied, das so platt ist, wie man die Scorpions dafür hauen müsste, »where the children of tomorrow share their dreams ...« jaulte ich, es war schrecklich, eine Mixtur aus Faszination und Ekel, ja, ich gestehe: Ich sang die definitive