Die Faxen Dicke. Reiner Hänsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Hänsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783862870943
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zu, und wir lachen beide herzlich. Ist doch ’n ganz sympathischer Kerl, dieser Lotze-oder-so. Wo der wohl genau herkommt?

      „Prost, ich bin der Pädder aus A''endorn!“, sagt er. A''endorn ohne „t“. „Nachnamen sin ja egal.“

      Und ich weiß ja schon, dass er Lotze heißt.

      Aus Attendorn, also. Wusste ich’s doch. Sauerland. Ich antworte wahrheitsgemäß mit „Alex“ – Nachnamen sin ja egal – „aus Leckede-Hintersten“.

      „Wat? Dat gibbs donnich!“, brüllt er da und dann lassen wir es gluckern.

      Zwei Sauerländer im Paradies! Das gibt’s ja nun wirklich nicht.

      Tja, Leckede-Hintersten. Wie bin ich da bloß hingekommen? Vorher Köln. Die schöne Stadt am Rhein ist zwar auch nicht gerade die Mega-City, aber es ist schon deutlich mehr Bewegung dort.

      In den acht Kölner Jahren war ich Redakteur beim Kölschen Rundblick. Und beim intensiven Rundblicken habe ich neben ’ner ganzen Menge berichtenswerter Dinge auch meine Steffi entdeckt. Meine liebe, tolle, schöne Frau Steffi. Die hat beim Kölschen Rundblick versucht, in der Buchhaltung alles richtig zu machen und ich musste plötzlich oft bei ihr vorbei. Sehr oft. Übertrieben viele Spesenbelege, unzählige Benzinquittungen und bunte Taxirechnungen habe ich ihr dargebracht, wie manche Vogelmänner ihren angebeteten Vogelweibchen farbige, schillernde geklaute Dinge anschleppen, um sie zu beeindrucken. Steffi war beeindruckt und dann haben wir endlich geheiratet, Vogelhochzeit, und ich musste los und voller Vorfreude Wolle für unser Nest suchen.

      Naja, als dann unser Küken Max seine Eierschale durchbrach, hat sich das fröhliche Leben der beiden lustigen Vögel Alex und Steffi Knippschild radikal geändert.

      Für so einen kleinen Kerl muss man kräftig ranschleppen, leiden und auch Zeit haben, wenn er nun schon mal da ist. Und Max war da. Und wie! Nächte ohne Schlaf, Tage ohne Saft und Kraft. Oft haben wir ihn schreiend aus dem Bettchen genommen – also, geschrien hat er –, schön warm eingepackt und behutsam ins Auto getragen, um dann mit ihm Richtung Holland zu fahren. Holland musste nicht unbedingt sein. Holland interessierte unseren Max eigentlich überhaupt noch nicht. Aber das Motorengeräusch war ein ganz großer Zauber. Max ist immer sofort eingeschlafen, sobald der erste Zündfunke die Kolben in Bewegung setzte. Der Verbrennungsmotor ist eine wunderbare Erfindung.

      So eine Tour Richtung Holland dauerte dann schon mal eine oder auch eineinhalb bis zwei Stunden und fand eben mitten in der Nacht statt, wenn die ganze Welt schläft und für die Wachen-den alle Probleme groß und deutlich werden. Und unser Problem war der flotte Dreier, zu dem unsere kleine Schicksalsgemeinschaft ja nun herangewachsen war. Wir waren noch nicht so richtig glücklich. Und das wollten wir unbedingt sein, wir lustigen Knippschildvögel.

      Steffi hatte ihren Buchhaltungsjob in der Welt der Neuigkeiten inzwischen aufgegeben, weil sie sich ja um unsere ganz persönliche Neuigkeit, den Knirps, kümmern musste. Und ich steckte immer noch voll drin. Voll.

      Bin aber auch selber schuld! Ich knie mich eben immer bis zum Hals rein. Egal in was. Ich kann nicht anders. Aber wenn wir irgendwann nach unserem Beziehungsstatus gefragt worden wären, dann hätten wir eigentlich ein Kreuzchen bei „getrennt lebend“ machen müssen. Das konnte nicht lange gut gehen.

      Wenn ich schwer genervt und schwer spät aus der noch brodelnden Redaktion kam wie das Ding aus einer anderen Welt mit aufregenden Berichten aus dem Leben da draußen, dann bekam ich im Austausch die neuesten Windelberichte zu hören. Doch ich wollte beim Thema „wunde Popos“ nicht so recht anbeißen und Muttervogel Steffi interessierte sich nicht für meine korrupten Kommunalpolitiker, die schamlos abkassierten, wenn ihr Jungvogel Dünnschiss hatte und keine Würmer mehr fraß.

      Und so beschlossen wir auf einer dieser längeren Holland-Nachtfahrten, etwas zu ändern. Möglichst schnell. Jedenfalls, bevor Max in die Schule kommen sollte.

      Und so gingen wir schon bald ins Sauerland.

      Da komme ich auch eigentlich her. Ich bin da geboren. Und eines Tages erzählte mir ein alter, zurückgebliebener Freund von dem freien Posten als Redaktionsleiter, also quasi CHEF, dieses kleinen Käseblattes, das ich noch aus meiner Kindheit kannte und auch da schon heftig verachtet hatte. Als ich dann Steffi davon berichtete, waren wir beide nach einer Weile ganz sicher, dass das der schönste Job der Welt sei. Käseblatt hin oder her.

      Und ich hab den Job bekommen.

      Der Verdienst sollte nicht gerade üppig sein, doch dafür schien es das zu geben, was wir dringend brauchten: Zeit. Jede Menge Zeit für uns, für unsere kleine, junge Vogelfamilie. Und ich könnte außerdem wieder weiter an meinem Buch schreiben, dass schon seit Jahren sehnsüchtig auf neue Kapitel wartet.

      Und dann das Sauerland selbst. Ein schönes Fleckchen Erde, wenn man an den Misthaufen vorbeiguckt. Ich kenne es ja gut. Tausend Berge, tausend Täler, jede Menge Natur, weit weg von der bösen Stadt … ja, ja, das wollten wir machen. Und so kauften wir ein altes Fachwerkgehöft in Leckede-Hintersten.

      Ja, ja, is nich Köln.

      „Ooch, ist das schön!“, hauchte Steffi mit fiebrigen Wangen, als wir es zum ersten Mal im Immoscout entdeckten. Bilderbuch. Einfach toll. Als der erregte Makler es uns dann schweißgebadet präsentierte, erklärte sich auch schnell der relativ günstige Preis durch feuchte Wände und morsche Balken … naja, man kann nicht alles haben. Aber darum kümmerte sich händereibend das ortsansässige Bauunternehmen Biggemann und nach ein paar langen Wochen und einem gewaltigen Stapel Rechnungen konnten wir dann tatsächlich unsere paar Möbel zwischen das alte Ständerwerk stellen – und anfangen zu leben.

      Natürlich habe ich auch die Arbeit beim anfänglich verachteten Sauerlandbeobachter richtig ernstgenommen. Das kann man wohl auch erwarten.

      Der Pädder aus Attendorn holt eine Zigarre aus einem schön ziselierten silbernen Etui und entzündet sie ritualisch. Und dann unterhalten wir uns prima über dies und das – aber nicht über unsere Jobs. Auf keinen Fall. Nein, das gehört hier nicht hin. Ich will auch nicht wissen, was der Pädder so macht und der Pädder wohl auch nicht, was ich mache.

      „Ich hol nomma Bier, woll“, sagt Pädder dann und strebt auf die Strandbude zu. Ich halte zwischendurch ein paarmal nach meiner Familie Ausschau.

      Verdammt, ich habe ja immer noch nicht angerufen! Meine Güte, was macht dieser Urlaub bloß aus mir? Hastig ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Es hat noch drei Balken.

      Ich wähle die Nummer von Ulli, es klingelt ein paarmal … ich warte … aber da fällt mir ein, dass ja heute Weihnachten ist. Naja, da kann ich ja eigentlich nicht stören. Außerdem ist die Redaktion ja auch gar nicht besetzt. Und außerdem (!) ist es jetzt im Sauerland erst Viertel nach fünf morgens. Ach, du lieber Himmel. Schnell drücke ich die rote Taste und lege das Handy kopfschüttelnd weg. Immer noch drei Balken.

      Am Strand kann ich Steffi entdecken. Sie ist offensichtlich auf ihrem braunen Paradies-Frottee eingeschlafen, und Max sitzt mit dem Game Boy im dunklen Schatten einer hohen Mauer, die den Bereich des Paradise-Hotelstrandes gegen das unsichere Gelände abgrenzt, auf dem einige echte Eingeborenenhütten mit echten Eingeborenen stehen, die man vom Hotelstrand lieber nicht sehen soll. Alles hat seine Ordnung und Pädder ist mit dem neuem Bier zurück.

      Ich trinke eigentlich nie Bier und schon gar nicht um Viertel vor zwölf vormittags, sondern meistens roten Wein, aber den auch erst, wenn es draußen schon dunkel ist. Aber heute trinke ich halt im Hellen mal Bier für sechzig Baht. Es ist ja schließlich ein besonderer Tag. Der erste richtige Urlaubstag, und da ist alles möglich.

      Pädder, also Peter heißt er ja sicher, erzählt mir, dass seine Frau diese „schäbbige Baracke hia“ gebucht hätte. Und er sich „eing’klich auch wat Bässeres laist’n“ könnte: „Abba man muss de Kohle ja nich zum Fenster rausschmeißen. Immer schön au’m Teppich bleiben, woll!“

      Aber jetzt wäre er nun mal hier und es würde ihm sogar irgendwie gefallen. Hauptsache mal Urlaub. Er wäre ganz zufrieden. Außerdem wäre er hier, um sich mit dem