Zanderblut. Wolfgang Wiesmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wiesmann
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissarin Fey Amber
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672627
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Keine Leiche, keine Zeugen, keine Waffe, nur ein vages Motiv und eine Handvoll Indizien. Das war zu dürftig, um damit Entscheidungen zu begründen.

      Unabhängig voneinander hatten Pörschke und Haverkamp die gleiche Idee. Es lag auf der Hand, die Unschlüssigkeit der Polizei auszunutzen und selber tätig zu werden. Ein Abpumpen der Teiche hätte katastrophale Folgen für Fauna und Flora gehabt. Die pensionierten Senioren der beiden Vereine trafen sich in der Nacht zu Dienstag an ihren Teichen. Auch für die nächste Nacht war eine solche Aktion geplant. Dort wurde dann bis in die Morgenstunden nach Karpfen gefischt. Man wollte Fey Amber vor vollendete Tatsachen stellen. Der Entschluss fiel nicht vom Himmel, es hatte eine heiße Debatte gegeben. Bei den Halternern sorgte Michalzek mit einer passionierten Rede über Ehre und Vereinstreue für den Durchbruch. Haverkamp hatte zwar die Idee gehabt, aber Michalzek heimste den Applaus ein. In Dülmen musste Mani Kempinski eine Schlappe vor versammelter Mannschaft hinnehmen. Er hatte sich für den Gehorsam gegenüber der Polizei ausgesprochen und wurde wegen seiner arschkriecherischen Haltung von Pörschke niedergemacht. Der plötzliche Patriotismus in beiden Vereinen kam aber auch daher, dass man sich brüstete, in einem Mordfall Indizien mit dem Angelhaken ans Tageslicht befördert zu haben. Jeder stachelte den anderen an und alle waren sich einig, dass sie lediglich der Gerechtigkeit ein wenig unter die Arme griffen. Mani Kempinski wurde zum Ketzer gestempelt und unter der Hand als Memme bezeichnet. Er sah sich an den Rand gedrängt und kündigte an, Pörschke unter vier Augen zur Rede stellen zu wollen.

      Am frühen Dienstagmorgen erhielt Fey Amber zunächst einen Anruf von Pörschke, der die ganze Nacht hindurch seine Köder gebadet hatte. Seine Stimme brodelte, denn er war Kettenraucher und seine Bronchien nahmen ihm übel, dass er nicht geschlafen hatte. Pörschke triumphierte.

      „Hier wartet eine Überraschung auf Sie. Heute und gestern wurden 67 Karpfen von uns gefangen. Nur zwei davon trugen eine Markierung: ein Ohrring und ein Fingerring. Sind wohl doch nicht so viele Beweisstücke in unserem Gewässer unterwegs. Vielleicht hilft Ihnen der Ring weiter, darin befindet sich eine Gravur.“

      Fey wollte aufbrausen, sah aber sofort ein, dass es im Nachhinein keinen Sinn machte, mit rechtlichen Schritten gegen das eigenmächtige Verhalten der Männer vorzugehen. Sie würden es Zivilcourage nennen und von der Bevölkerung bewundert werden. Feys Chef Carstensen war in Sachen Öffentlichkeit ein Duckmäuser, posierte gern als erfolgreicher Dezernatsleiter vor der Kamera. In dieser frühen Phase musste sie Kritik an ihren Entscheidungen vermeiden. Es gab immer noch keine ausreichenden Beweise für einen Mord. Sie ließ Pörschke wissen, dass jemand die Beweisstücke abholen werde und das Angelverbot aufgehoben sei. Fey dachte sofort daran, dass die Halterner genauso wie die Dülmener gehandelt haben würden. Sie rief dort beim Angelverein an und verlangte nach Haverkamp. Als fühlte er sich ertappt, versuchte er mit Ausflüchten die Sache zu verharmlosen. Fey fand, dass er übertrieben nervös klang. Sein Wortfluss stockte, als hätte er Luftnot und seine Erklärungen schwankten ins Unsachliche.

      „Sagen Sie mir doch einfach, dass Sie gegen die Auflage der Polizei verstoßen haben“, fuhr Fey ihn an. Sie hörte, wie Haverkamp tief durchatmete.

      „Wissen Sie, wir wollten nur helfen. Ein paar Freiwillige haben sich geopfert und waren erfolgreich. Es wurde ein Karpfen mit einem schwarzen Nylonband gefangen. Man könnte sagen, ein Trauerflor. Vielleicht möchten Sie ja doch, dass wir weitermachen.“

      „Machen Sie, und kein Wort an die Presse! Sollte ich aus der Zeitung erfahren, dass die mehr wissen als ich, ist der Teufel los. Ich schicke eine Streife vorbei. Halten Sie das Nylonband bereit.“

      Haverkamps Stimme hatte sich gefestigt.

      „Wir stehen geschlossen hinter Ihnen.“

      „Das stell ich mir jetzt besser nicht vor“, entglitt es ihr.

      Peter Beckmann, Vollblutwirt der Kajüte, stieg missmutig auf sein Fahrrad und radelte los. Sein Arzt hatte ihm die Pistole auf die Brust gesetzt. Mit zwei Herzinfarkten und einer fortschreitenden Leberzirrhose stünde er bereits mit neun Zehen im Grab. Doch Beckmann hielt an seinem Lebensstil fest. Er war wie seine Kajüte aus altem Holz geschnitzt. Dass allerdings auch seine Lunge nicht mehr mitmachte, hatte er seinem Arzt verschwiegen. Normalerweise ging er seine tägliche Runde um die Stever zu Fuß, aber in der letzten Zeit reichte dafür die Puste nicht mehr, sodass er widerwillig aufs Fahrrad umgesattelt war.

      An der Steverbrücke am Heimingshof rastete er und schaute nach, ob sich unter der Brücke Barsche oder Schwärme von Rotaugen tummelten. Die Sache mit der Videoschaltung, von der Haverkamp gesprochen hatte, ließ ihm keine Ruhe. Das wäre ein echter Gag, eine Liveschaltung zum Vereinsteich. In der Kajüte sitzen und sich gemütlich bei einem Bierchen ansehen, wie einer der Vereinsmitglieder einen Zander fängt. Das wär’s doch! Es würde nie langweilig. Am Teich war immer was los. Warum nicht, dachte Beckmann, er hatte nichts zu verlieren. Nicht groß fragen, sonst würde Haverkamp mit so einem Scheiß wie Persönlichkeitsrechten und dem ganzen Tinnef kommen. Es musste einfach getan werden. Hatten sich die vom Verein dran gewöhnt, krähte kein Hahn mehr nach dem Schutz von persönlicher Freiheit. So ’n Quatsch überhaupt, Google sah längst alles und ihm ging es doch nur darum, Anglern und Gästen nette Szenen aus der Heimat vorzuführen.

      Beckmann lupfte sich behäbig auf den Sattel seines Rades und fuhr an den Wochenendhäusern vorbei, die entlang des Steverufers standen. Etliche davon waren die meiste Zeit unbewohnt, was man auch daran sehen konnte, dass sich das Laub vom Vorjahr auf Wegen und in Eingängen wie bei Schneeverwehungen auftürmte. Die Häuser im Greinenkamp grenzten mit ihrer Rückseite an die Stever und vorne heraus konnten die Bewohner direkt über kleine Pfade in die Wälder der Borkenberge gelangen. Beckmann kannte die Häuser seit seiner Kindheit. Einige hatten ihren eigenwilligen Charakter bewahrt. Ihr nostalgischer Charme erinnerte ihn an eine längst vergessene Zeit, in der noch aus den Trümmern des Krieges Material für den Bau gewonnen wurde, andere motzten ihre alte Fassade mit einem schnittigen Porsche in der Einfahrt auf.

      Er näherte sich einem Haus, das im Barackenstil der Nachkriegszeit gebaut war. Das langsame Radeln erlaubte es ihm, eine Beobachtung zu machen, der er aber wegen seiner Begeisterung für seine Videoidee keine nachhaltige Bedeutung schenkte. Die Rollläden vor den Fenstern dieses Hauses waren für gewöhnlich dicht verschlossen, wie eine hölzerne Wand. Doch heute sah er an einem Fenster dünne Schlitze. Er drehte sich noch mal um, bemerkte aber kein anderes Zeichen menschlicher Präsenz. Er setzte seinen Weg fort bis zum Alten Garten.

      Ähnlich wie die Kajüte am Stausee war auch der Alte Garten nichts weiter als ein in die Jahre gekommenes Ausflugslokal mit angrenzendem Paddelbootlager. Das Lokal stand unweit der Steverbrücke, kaum zwei Kilometer entfernt von der Kajüte. Dort konnte man im Sommer auch geräucherte Fische bekommen, die vor den Augen der Käufer frisch aus dem Ofen serviert wurden. Spaziergänger, die eine Runde um den Hullerner Stausee gemacht hatten, tranken dort gerne ein Bier und es gab Eis für die Kinder. Einzig störend war der Motorradlärm, der von der beliebtesten Motorradstrecke rund um Haltern in verlässlichem Sekundentakt zu den Gästen des Alten Gartens dröhnte. Die Motorradjunkies hatten die sogenannte Panzerstraße zu ihrem Eldorado erklärt. Die für militärische Zwecke gebaute Straße, die aus Beton gegossen war, hatte ihren ursprünglichen Zweck verloren. Längst waren die britischen Truppen, die im Linard Wald bei Sythen stationiert waren, abgezogen.

      Beckmann überquerte die Straße und erinnerte sich lebhaft an die Convoys der britischen Besatzungsmacht. Als Junge hatte er die Panzer bestaunt und den Soldaten zugewunken. Bekam er einen Gruß zurück, schwang er sich auf sein Rad und trampelte hinter dem Panzer her. Noch heute klang das Schlagen der Ketten auf dem Beton in seinen Ohren. Er wünschte sich die alten Zeiten zurück, warf einen sentimentalen Blick die Schneise entlang, die die Straße durch den Wald zog, und machte sich behäbig auf den Heimweg.

      Am Dienstagmittag lagen neue Fakten auf Feys Schreibtisch. Charly hatte am Turnschuh Zellmaterial für eine DNA-Analyse gefunden. Der dritte Ohrring passte zu dem bereits geborgenen Rubin und im Fingerring