Vom Imperiengeschäft. Berthold Seliger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Berthold Seliger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783862872305
Скачать книгу
Abzockerei ist nicht nur ärgerlich, sondern sie trägt auch zu einem schlechten Image der Konzertbranche in der Öffentlichkeit bei und richtet zudem einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Schaden an. Den Fans wurden in den genannten Fällen zwischen 21 und mehr als 40 Euro zu viel abgeknöpft. Das entspricht einem oder zwei Tickets für ein gutes Club-Konzert, für das die Fans dann kein Geld mehr übrig haben. CTS Eventim schadet hier also auch den kleineren Bands und den vielen engagierten Clubs, die auf den Besuch von Fans dringend angewiesen sind.

      Die Praxis der überhöhten Zusatzgebühren läßt sich nicht nur bei Rockkonzerten beobachten. Am 11. Mai 2019 gastierte Igor Levit, einer der angesagtesten und interessantesten Pianisten unserer Tage, im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Das Konzert wurde von einem freien Veranstalter, First Classics, organisiert. Auf der Webseite des Konzertveranstalters wurden Eintrittskarten in fünf Kategorien angeboten, von 35 Euro bis 55 Euro. Dazu erhebt der Veranstalter eine Bearbeitungsgebühr von 5 Euro. Bei CTS Eventim kosteten die Tickets der besten Kategorie statt 55 Euro jedoch 64,95 Euro, bei Ticketmaster immerhin noch 62,95 Euro. Für die günstigsten Tickets von 35 Euro zahlte man bei CTS 42,55 Euro und bei Ticketmaster 40,55 Euro, alles zuzüglich der überhöhten Versandgebühren von 4,90 Euro (CTS) beziehungsweise 5,90 Euro (TM). Für »Ticketdirect«, das CTS-eigene »Print at Home«-Ange­bot, verlangt der Monopolist derzeit keine Zusatzgebühr, wohl aber für das »Mobile Ticket« – 2,50 Euro. Man denkt sich eben immer neue Wege aus, um an das Geld der Kunden zu kommen. Der Kauf von zwei Eintrittskarten der besten Kategorie kostete beim Konzertveranstalter 115 Euro, bei CTS Eventim 134,80 Euro (17,22 Prozent mehr) und bei Ticketmaster 131,80 Euro (jeweils inklusive aller Gebühren). Natürlich stellt sich die Frage, warum die Leute ihre Konzertkarten nicht direkt bei den Konzertveranstaltern, sondern bei den Ticket-Gangstern kaufen? Die Antwort ist einfach. Wer im Frühjahr 2019 bei Google »Igor Levit Berlin« eingab, erhielt als Top-Suchergebnis eine bezahlte Anzeige von eventim.de. Mit den relativ geringen Kosten einer bezahlten Anzeige auf Google wurde potenziellen Kund*in­nen die Ticketing-Plattform des deutschen Monopolisten für den Kartenkauf angeboten, um den Eindruck zu erwecken, dies sei die einzige Möglichkeit, an die Karten zu kommen. Auf der ersten Seite der Google-Suche fand sich keine andere Kaufmöglichkeit für die Tickets. Weiter unten erschien dann übrigens nochmal der Verweis auf eventim.de, diesmal mit dem schönen Zusatz: »Igor Levit Tickets – Karten jetzt zu Top-Preisen bestellen«. »Top-Preis« offensichtlich im Sinne von »Höchstpreis«.

      Aber man glaube nicht, daß es nur die Ticketgiganten sind, die abzocken. Auch unabhängige Vorverkaufsstellen langen gerne mal zu. Bei Tickets für die Bands A Perfect Circle und Chain & The Gang wurden 2018 in Berlin in vier verschiedenen Vorverkaufsstellen Zusatzgebühren von 1 Euro bis 4,40 Euro erhoben. Wohlgemerkt zusätzlich zu den zehn Prozent des Ticketpreises, den die Vorverkaufsstellen bereits als Vorverkaufsgebühr erhielten!

      Ein weiteres Geschäftsfeld stellt der sogenannte »Zweitmarkt« dar. Gemeint ist der mittlerweile größtenteils kommerzielle Weiterverkauf von Konzertkarten zu teilweise drastisch erhöhten Preisen. Früher nannte man das einfach »Schwarzmarkt«, wenn fragwürdige Gestalten vor den Konzertsälen oder Stadien Karten für ausverkaufte Veranstaltungen anboten und mit der Differenz zum aufgedruckten Eintrittspreis ihr mehr oder minder kleines Geschäft machten. Aber der eigentliche Schwarzmarkt findet heute im Internet statt. Er ist dort geradezu explodiert und wird von großen Firmen dominiert, die sich auf den Weiterverkauf von Tickets mit einer nennenswerten Gewinnmarge spezialisiert haben. Diese Zweitmarkthändler kaufen beträchtliche Kartenkontingente für Konzerte, Fußballspiele und andere Events auf und bieten sie im großen Stil auf eBay oder einschlägigen Zweitmarktplattformen wie Stubhub, Ticketbande oder Viagogo an. Preisaufschläge von 250 Prozent und mehr sind dabei keine Ausnahme. Je attraktiver das Angebot, desto höher der Aufschlag. Es ist Kapitalismus pur. Nicht der Künstler legt den Wert seiner geistigen, schöpferischen Arbeit fest, sondern eine Plattform, auf der Kunst als handelbare Ware feilgeboten und mit ihr Mehrwert (Profit) gemacht wird. Menschen, die der Ideologie vom sogenannten freien Markt und einer nachfrageorientierten Wirtschaft nachhängen, dürften am Ticketing-Zweitmarkt ihre helle Freude haben.

      Nun haben Musiker und Konzertveranstalter das alte Marxsche Gebrauchswert-Modell teilweise überwunden, indem die Musiker über die reine Bezahlung ihrer »Dienstleistung« hinaus auch an den Gewinnen einer Konzertveranstaltung beteiligt werden. In Club-Konzerten ist eine Gewinnbeteiligung von 70 Prozent nach Break Even, also zuzüglich zur etwaigen Festgage, gang und gäbe, bei Hallenkonzerten sind 80 bis 85 Prozent mittlerweile Standard, bei Stadionkonzerten geht sie bis zu 100 Prozent, und wie oben bereits ausgeführt wurde, bietet Live Nation den Musikern teilweise sogar mehr als 100 Prozent der Einnahmen, um die Musiker zur Zusammenarbeit mit dem Konzern zu gewinnen (um dann mit den Ticketing- und Sponsoring-Einnah­men Profit zu machen).

      Der Eintrittskarten-Zweitmarkt allerdings torpediert die Möglichkeiten der Musiker*innen, tatsächlich mit ihrer Arbeit oder mit ihrer »Dienstleistung« (wie Marx sagen würde) an den Gewinnen an ihrer Darbietung beteiligt zu werden, denn die gesamten Gewinne aus dem über den ursprünglichen Eintrittspreis hinausgehenden Verkaufspreis eines Zweitmarkt-Tickets streichen ja die Wiederverkäufer sowie die Plattformen ein. Weder die Künstler noch die Veranstalter, also diejenigen, die die Konzert-Arbeit leisten und die gewissermaßen die gemeinsamen »Unternehmer« sind, erhalten einen Anteil an diesem zusätzlichen Gewinn. Vielmehr werden sie um diesen Teil möglicher Einnahmen betrogen.

      Natürlich ist der Ticket-Zweitmarkt unfair gegenüber den Konzertbesucher*innen, auch wenn die Fans dort natürlich »freiwillig« die überhöhten Preise für die Eintrittskarten bezahlen. Sie wollen eben unbedingt an dem Event teilnehmen, koste es, was es wolle. Das Hauptmotiv der Ticketkonzerne, sich dem Kampf gegen den Ticket-Zweitmarkt zu verschreiben, dürfte letztlich darin begründet sein, daß derartige Plattformen den Ticket-Großkonzernen massive Probleme bereiten. Die Trennung von Primary und Secondary Ticketing ist ja lediglich eine interne Sicht der Konzertindustrie. Die Fans machen diesen Unterschied nicht, sie kaufen die überteuerten Tickets, wenn sie unbedingt auf ein bestimmtes Konzert gehen wollen, bei Viagogo oder bei Stubhub, und so wurde Stubhub zu einem der größten Ti­ckethändler in den USA, der dem dortigen Marktführer Ti­cketmaster bedrohlich nahegekommen ist. Dies dürfte der Grund sein, warum die größten Tickethändler Ticketmaster und CTS Eventim eigene Zweitmarkt-Plattformen auf den Markt gebracht haben.

      Großveranstalter (auch solche, die zu Konzernen wie CTS Eventim gehören) haben sich mittlerweile zu einer Initiative namens »Face-Value Alliance for Ticketing« (FEAT), also einer »Allianz für den Nennwert beim Ticketing«, zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Lobbyarbeit für gesetzgeberische Initiativen, um Fans und Künstler vor Ticketspekulanten und -betrügern zu schützen. In Großbritannien gibt es eine entsprechende Initiative namens »FanFair Alliance«, und in Frankreich, das in dieser Hinsicht führend in Europa ist, gibt es sogar ein Gesetz gegen Zweitmarkt-Plattformen wie Viagogo. Entsprechende Gesetze auf europäischer Ebene wären wünschenswert, wenn sie sich aber lediglich auf den Zweit­markt beschränken, statt auch die von den Groß­konzernen wie CTS Eventim und Ticketmaster eingeführten, Fan-feindlichen Zusatzgebühren zu berücksichtigen, greift diese Initiative zu kurz. Sie beschränkt sich auf eine oberflächlichen Anbiederung an Fans und Künstler, während die Ti­cketkonzerne weiter ihr legales Unwesen treiben.

      Zu den Maßnahmen der Ticketingkonzerne gegen die Konkurrenten vom Zweitmarkt gehören auch die »Verified Fan«-Vorverkäufe oder die sogenannten »Platin-Tickets«, mit denen ein begrenztes Kontingent von Karten zu nachfrageorientierten Preisen erst dann angeboten wird, wenn die Konzerte »ausverkauft« sind. Das Ziel ist, die letzte Eintrittskarte möglichst erst am Konzerttag zu verkaufen, um den gewerblichen Weiterkauf von Tickets mit drastischen Aufschlägen einzudämmen und, natürlich, den gesamten Erlös bei den Künstler*innen und ihren Partnern, den Konzernen, zu belassen. Derartige Platin-Tickets sind keineswegs VIP-Tickets, auch wenn die Fans das oft annehmen. Es handelt sich lediglich um die angeblich besten Plätze zum Zeitpunkt des Kartenkaufs.

      Die einfachste und vernünftigste Art und Weise, dem Ti­cket-Zweitmarkt den Hahn zuzudrehen, wäre ein Modell, das längst zur Verfügung steht, aber hierzulande viel zu selten genutzt wird: das papierlose Ticket. Dieses befindet sich auf dem Smartphone und wird beim Einlaß zum Konzert gescannt,