Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Marcel Köppli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marcel Köppli
Издательство: Bookwire
Серия: Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783290177393
Скачать книгу
patriarchalischen Gesellschaftsmodell orientierten und deshalb die grundlegenden Veränderungen der Industrialisierung unberücksichtigt blieben. Ob die jüngste Phase und insbesondere Sturms Forschung tatsächlich wesentlich neue und nachvollziehbare Aspekte in die Diskussion eingebracht hat, soll schliesslich am Ende der Untersuchung diskutiert werden.12

      Die vorliegende Arbeit schliesst in mancherlei Hinsicht an die Forschungstradition an, die unter dem Begriff «sozialer Protestantismus» zusammengefasst wird. Dabei umschreibt der soziale Protestantismus «die Vielzahl derjenigen Initiativen des neuzeitlichen Protestantismus, welche die seit den Prozessen der Industrialisierung und Demokratisierung erforderliche Neuorientierung der sozialen Gestaltung sowohl theoretisch wie auch praktisch in Angriff genommen haben. Waren es im 19. Jahrhundert zunächst Einzelne und freie Verbände, die sich dieser Aufgabe gestellt haben, wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts [des 20. Jahrhunderts] die Bedeutung und Berechtigung dieses Arbeitsfeldes von der verfassten Kirche anerkannt und schliesslich auch unterstützt.»13 In diesem Sinn soll in dieser Untersuchung danach gefragt werden, |16| wie der SABBK und die assoziierten Unternehmer theoretisch und praktisch auf die Industrialisierung und teilweise auch auf die Demokratisierung reagiert haben und welche Lösungsansätze sie propagierten und umzusetzen versuchten. Im Zentrum steht insbesondere die Frage nach den sozialpolitischen Haltungen der involvierten Unternehmer.

      Der Aufbau der Arbeit spiegelt die Ziele der Untersuchung wieder, indem nämlich eine historische Rekonstruktion der Entstehung des SABBK und eine sozialpolitische Charakterisierung der involvierten Unternehmer angestrebt und diese mit der Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus und der Inneren Mission mit der sozialen Frage in Verbindung gebracht wird.

      Das vorliegende 1. Kapitel bot nach einer Zusammenfassung vorerst einen Überblick über die Ziele der Untersuchung und die These. Daran schloss eine Einführung in den Forschungsstand an, worin insbesondere auch die verschiedenen Phasen der Erforschung des sozialen Protestantismus genannt wurden. Des Weiteren wurde die Forschungstradition und die Methode sowie der Aufbau der Arbeit vorgestellt und schliesslich werden die benutzten Quellen diskutiert.

      Im folgenden 2. Kapitel wird die Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus mit der sozialen Frage im 19. Jahrhundert dargestellt.

      Das 3. Kapitel gibt einen Überblick über die Forschungsergebnisse, die bereits zum Thema «christliche Unternehmer» existieren. Es beinhaltet ebenfalls die Diskussion der möglichen Gründe, die zur intensivierten Erforschung des Verhältnisses von Religion und Wirtschaft, insbesondere auch der Analyse christlicher Unternehmer, geführt haben. Ferner wird erörtert, welche Definitionen christlicher Unternehmer in der Forschung gegeben worden sind.

      Hieran anschliessend schildert das 4. Kapitel, welche Impulse zur Aus­einandersetzung mit der sozialen Frage von der Inneren Mission kamen. Es zeigt, wie protestantische Unternehmer innerhalb der Inneren Mission zusammenfanden, um die soziale Frage gemeinsam zu analysieren und Lösungsstrategien zu deren Überwindung zu entwickeln. Auch die zentrale Rolle, die der Basler Karl Sarasin am Kongress für Innere Mission in Stuttgart (1869) sowie später auch an der Bonner Konferenz und im SABBK spielte, soll näher ausgeführt werden. Zudem wird jedes einzelne Mitglied des SABBK kurz porträtiert, |17| indem insbesondere seine Haltung zur sozialen Frage beleuchtet wird. Es soll aufgezeigt werden, welche sozialpolitischen Haltungen die Unternehmer des SABBK vertraten und die Frage beantwortet werden, ob über die gängige Auseinandersetzung der Inneren Mission mit der sozialen Frage hinausgehende Konzepte propagiert wurden.

      Das 5. Kapitel wendet sich dem Porträt des Basler Unternehmers und Politikers Karl Sarasin zu, wobei seine Haltung gegenüber der sozialen Frage besonders ausführlich thematisiert und insbesondere nach seinem gelebten Patriarchalismus und nach seinem Konzept der «Christianisierung der Industrie» gefragt wird. Sarasin wird darin vor dem Hintergrund des «Frommen Basel» gezeichnet und seine sozialdiakonischen und betriebspatriarchalen Initiativen werden ausführlich diskutiert. Um Sarasins praktischen Umgang mit der sozialen Frage zu illustrieren, wird beispielhaft diskutiert, wie er in seiner Fabrik sowie in Politik, Gesellschaft und Kirche konkret auf die soziale Frage reagierte.

      Das 6. Kapitel porträtiert mit Johann Caspar Brunner und Henri DuPasquier zwei weitere protestantische Unternehmer und Mitglieder des SABBK sowie ihre Auseinandersetzung mit der sozialen Frage und der Sozialpolitik. Dazu wird insbesondere nach Gemeinsamkeiten der beiden Unternehmer mit Sarasin und Unterschiede zu ihm gefragt. Zusätzlich stellt das Kapitel mit dem Nationalökonomen Victor Böhmert das zweitwichtigste Mitglied des SABBK und einen zentralen und originellen Vertreter des sozialen Kulturprotestantismus vor. Anhand des Vergleichs von Sarasin mit diesen drei Persönlichkeiten soll gleichzeitig die Frage beantwortet werden, wieso sich der SABBK kurze Zeit nach seiner Gründung bereits wieder auflöste.

      Im 7. Kapitel sollen die Resultate und Erkenntnisse in einer Schlussbetrachtung reflektiert und in den grösseren Zusammenhang gestellt werden. Dabei wird die Bedeutung der Ergebnisse für den Forschungsstand aufgezeigt, die Ausgangsthese diskutiert und nach dem Forschungsdesiderat gefragt. Zuletzt sollen schliesslich Anschlussmöglichkeiten an die Ergebnisse aufgezeigt werden.

      Im Anhang wird eine Quelle ediert, die Aufschluss über die Auseinandersetzung des «Frommen Basel», insbesondere von Sarasin, mit der sozialen Frage gibt. In der Forschung wird regelmässig auf diesen Text verwiesen, ediert wurde er bislang jedoch nicht. Eine Hinführung zu diesem Text findet sich im 5. Kapitel, speziell unter Abschnitt «5.6.2 Der erste Basler Klassenkampf, das Basler Fabrikgesetz (1869) und eine Konferenz im christlichen Vereinshaus zur sozialen Frage». |18|

      Wie das Literaturverzeichnis und die Liste der Archive mit den Quellen zeigen, wurde für die Untersuchung sehr unterschiedliches Quellenmaterial miteinbezogen. Der Centralausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche verstand sich lediglich als Initiator, nicht aber als Träger der Bonner Konferenz und des SABBK.14 Deshalb ist in den «Fliegenden Blättern», dem offiziellen Publikationsorgan der Inneren Mission, nur die erste Phase der Bewegung beschrieben. Da sich der SABBK nicht in einem Verein organisierte, sondern einen losen Zusammenschluss darstellte, konnte beim Nachzeichnen der Bewegung nicht auf offizielle Sitzungsprotokolle zurückgegriffen werden. Zur Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung des SABBK wurden deshalb neben ungedruckten Archivalien in verschiedenen Archiven (ADW, StABS und AdRH) Veröffentlichungen wie die Zeitschrift Concordia, die «Schweizerische Zeitschrift für Gemeinnützigkeit» sowie die Korrespondenz der Mitglieder des SABBK herangezogen. Auch die Hinführung zum Thema der sozialen Frage im 2. Kapitel, insbesondere die Darstellung der Haltung des schweizerischen Protestantismus zur sozialen Frage, basiert auf Primärquellen, wie beispielsweise auf den veröffentlichten Synodeprotokollen der Zürcher Kirche, den publizierten Reden der schweizerischen Predigergesellschaft oder auf Zeitschriftartikeln aus den Publikationsorganen der verschiedenen theologischen Richtungen. Die Überzeugungen der SABBK-Mitglieder sind gut zugänglich, da diese ihre Meinungen in Publikationen kundtaten oder in diversen Zeitschriften veröffentlichten. Um die sozialpolitische Bedeutung der jeweiligen Mitglieder präzis beschreiben zu können, wurde zusätzliches Archivmaterial (aus den Archiven ABM, StAAG, BAR und UBBS) herbeigezogen.

      Da die Primärquellen aus verschiedenen Bibliotheken und Archiven stammen und deshalb teilweise nicht einfach zugänglich sind, habe ich mich bemüht, viele Zitate in der Arbeit abzudrucken, damit der Leser die Quellen zumindest ausschnittweise zur Verfügung hat und so meiner Argumentation besser folgen kann. Die Quellentexte habe ich dabei wenn möglich immer in ihrer ursprünglichen Schreibweise stehenlassen und das «[sic!]» um der besseren Lesbarkeit Willen bewusst nur selten eingesetzt. Zentrale Zitate der Sekundärliteratur sollen jeweils ebenfalls helfen, meine Argumentation und Einschätzung nachvollziehbar und transparent zu machen.

       |19|

      2. Die soziale Frage im 19. Jahrhundert

      In der vorliegenden