Drummond wandte diese Definition auch in Bezug auf Adam und den Sündenfall an. Gott hatte zu Adam gesagt, dass er an dem Tag, da er ungehorsam wäre, sterben müsse. Starb er denn wirklich? Nach Spencers Definition starb er geistlich: Während er das natürliche Leben behielt, verlor er doch seinen nahen Umgang mit Gott. Diese Verbindung konnte er nur auf dem Wege des Opfers zurückgewinnen, nur dadurch, dass ein anderes Leben an seiner Stelle geopfert wurde.
Als Rees dies las, war sein erster Gedanke: „Habe ich Umgang mit Gott?“ Konnte er sagen, dass der Heiland für ihn ebenso wirklich sei wie beispielsweise seine Mutter? Kannte er Gott als eine tägliche Gegenwart in seinem Leben oder dachte er nur während der Gebetstreffen an ihn? Und wenn er jetzt sterben würde, würde er dann mit einer anderen Umwelt in Verbindung treten? Er fühlte sich seinen Eltern nahe verbunden. Die Entfernung beeinträchtigte seine Gemeinschaft mit ihnen nicht. Mit Gott aber hatte er solche Gemeinschaft nicht. Wieder erinnerte er sich an die Worte, die sein Cousin mehrmals zu ihm gesagt hatte: „Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh. 3,3).
„Jetzt verstand ich das auf einmal“, sagte Rees. „Und ich glaubte an den Heiland, aber ich wusste zugleich, dass ich noch nicht wiedergeboren war. Was meine Beziehung zu dem geistlichen Reich betraf, in dem der Heiland lebte, war ich ein toter Mensch. Ich war außerhalb seines Reiches; mein anständiges Leben und meine ganze Religion konnten mir dort keinen Eintritt verschaffen. Ich war vielleicht kein Trinker oder Dieb, aber trotzdem war ich außerhalb des Reiches, weil ich keine lebendige Verbindung mit Gott hatte.“
Seine religiöse Selbstzufriedenheit war erschüttert. Zwar hatte er keine große Sündenerkenntnis, aber er wusste jetzt, dass eine Kluft zwischen ihm und Gott bestand. Eine tiefe Sorge um sein ewiges Heil beschäftigte ihn von nun an viel mehr als die Sorge um die Dinge dieser Welt.
Kapitel 3
Die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn
Die Hand Gottes streckte sich immer mehr nach Rees aus. Worüber Rees bisher nur nachgedacht hatte, das sollte ihm nun bald in Wirklichkeit begegnen. Er erkrankte plötzlich an Typhus, der zwar auch heute noch eine gefährliche Krankheit darstellt, damals aber sehr oft zum Tod führte. Er war also nun gezwungen, dem Tod ins Angesicht zu sehen. Dass er sich in diesen schweren Stunden fern von der Heimat in einem einsamen Zimmer befand, war eine besondere Fügung Gottes. Rees sagte später: „Zum ersten Mal im Leben fühlte ich so etwas wie Furcht in mir. Nie zuvor hatte ich eine solche qualvolle Angst erlebt wie damals, als ich meinte, unmittelbar vor dem Abscheiden aus dieser Welt zu stehen und in ein mir unbekanntes Reich hinübergehen zu müssen. Dank Gottes weiser Führung waren meine Eltern nicht bei mir, um diese Angst von mir zu nehmen. Ich danke Gott, dass mich kein menschliches Mitgefühl blind für die Ewigkeit machte. Man kann wohl in der Masse leben, Gott und der Ewigkeit aber steht jeder für sich allein gegenüber.“
Er schrie zu Gott, ihn doch nicht sterben zu lassen. Die Freude, die er am Geldverdienen und Reisen gehabt hatte, war vergessen. Jetzt flehte er Gott an, ihm ewiges Leben zu schenken: „Wenn du mich von dieser Krankheit heilst, will ich dir mein Leben geben!“
Dieses Gebet schloss ein Versprechen ein. Darum kümmerte sich Gott, bevor er das Gebet erhörte. Noch während des Gebets empfing Rees die innere Gewissheit, dass er nicht sterben würde. Von diesem Augenblick an erholte er sich zusehends, war aber nun ein anderer Mensch. „Als ich vor der Möglichkeit stand, alles zu verlieren, kam ich zum ersten Mal mit dem wirklichen Leben in Berührung“, sagte er. „Ich hatte erlebt, wie die Welt mit ihren Verlockungen ihr Bestes gab, damit ich auf ewig verloren ging. Jetzt aber wusste ich, dass ich mein ganzes Sein Gott schuldete, der mich gerettet hatte.“ Von dieser Zeit an dachte er nie mehr leichtfertig an die Ewigkeit, denn er hatte die Wirklichkeit der Hölle – die ewige Trennung von Gott – vor sich gesehen.
Die Tiefe dieses Erlebnisses ließ ihn, als er wieder gesund war, seine Lage mit ganz neuem Ernst betrachten. Auch wenn er vom Tod bewahrt worden war, so war er nicht von der Todesangst befreit worden. Zwar hatte er schon immer an die Menschwerdung Christi, an die Versöhnung durch sein Blut und an seine Auferstehung geglaubt. Dies waren sogar die kostbarsten Wahrheiten in seinem Leben. Warum aber waren sie keine Realität für ihn? Wenn Jesus doch den Tod besiegt hatte, warum hatte er dann noch Furcht vor dem Tod? Wer ihn später von diesem Abschnitt seines Lebens sprechen hörte, wird nie vergessen, wie er als Antwort auf diese Frage ausrief: „Ich entdeckte damals, dass ich nur an einen historischen Christus glaubte, aber keinen persönlichen Retter hatte, der mir das ewige Leben schenken konnte.“
Fünf Monate lang forschte er nun täglich nach dem Weg zu Gott. Wie er sagte, hätte er gerne sein ganzes Geld dafür hergegeben und wäre bereitwillig von einem Ende des Landes zum anderen gezogen, wenn er nur einen einzigen Menschen hätte finden können, der ihm den Weg zum ewigen Leben zeigen konnte. Schließlich ging er zu dem einzigen, von dem er dies annahm. Er fuhr die hundert Meilen nach New Castle wieder zurück, um seinen Cousin danach zu befragen. Doch obwohl dieser den Weg für sich selbst gefunden hatte, schien er nicht in der Lage, ihn Rees zu erklären.
„Ich hatte oft Predigten über Golgatha gehört, aber erst an diesem Abend habe ich Golgatha wirklich erkannt.“
In dieser Zeit siedelte er nach Connellsville in Pennsylvania über. Hier endlich kam der Himmel, der ihm auf der Spur war, zum Ziel. Rees erkannte später: „Es schien, als wäre meine Dunkelheit nur der Schatten seiner Hand gewesen, die sich liebevoll nach mir ausstreckte.“ Nach Gottes wunderbarer Führung war das ruhelose Hin und Her dann nur ein Abschnitt auf dem Weg, und schließlich erreichte der Himmel sein Ziel mit ihm.
Rees war noch nicht lange an seinem neuen Wohnort, als er erfuhr, dass ein bekehrter Jude, Maurice Reuben aus Pittsburgh, in die Stadt gekommen sei, um zu evangelisieren. Am ersten Abend, als Rees ihn hörte, sprach der Evangelist über seine eigene Bekehrung. Er schilderte, wie der Heilige Geist ihm Golgatha offenbart hatte. „Ich hatte oft Predigten über Golgatha gehört und glaubte auch daran“, sagte Rees, „aber erst an diesem Abend habe ich Golgatha wirklich erkannt.“ Damit war er zu demselben Punkt zurückgeführt worden, der ihn damals bei dem Zeugnis seines Cousins so sehr getroffen hatte.
Maurice Reuben erzählte, dass er einer wohlhabenden Familie entstamme und dass ihm alles, was die Welt bieten konnte, zur Verfügung gestanden habe. Das Geldverdienen war die Hauptsache seines Lebens gewesen. Er war Direktor der Firma Salomon & Reuben, eines der größten Warenhäuser Pittsburghs. Aber das Leben eines seiner Kunden machte einen so tiefen Eindruck auf ihn, dass er eines Tages zu ihm sagte: „Sie müssen schon als glücklicher Mensch auf die Welt gekommen sein.“ – „Ja“, antwortete der Kunde, „bei meiner zweiten Geburt. Ich nahm Jesus Christus als meinen Erlöser an, und dadurch wurde ich zum zweiten Mal geboren: nämlich aus Gott. Vor dieser zweiten Geburt war ich nicht glücklicher als Sie!“ Reuben war von diesem Zeugnis so bewegt, dass er ein Neues Testament kaufte. Beim Lesen beeindruckte ihn dann besonders die Tatsache, dass alle, die Jesus nachfolgten, Juden waren: Johannes der Täufer, der auf Jesus als das Lamm Gottes hinwies; Petrus, Jakobus und Johannes, die führenden Jünger; und zu einem Juden hatte der Erlöser gesagt: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Dann kam er zu der Geschichte vom reichen Jüngling. Es war ein dramatisches Zusammentreffen: Ein junger Jude des zwanzigsten Jahrhunderts, voll religiöser Unruhe, las von der Begegnung Jesu mit einem reichen Juden des ersten Jahrhunderts! Reuben sah die Begebenheit so: Jesus hatte zu dem reichen Jüngling gesagt, er solle all seine Habe verkaufen, um das ewige Leben zu erhalten. Wie konnte er, Reuben, dann die Gabe des ewigen Lebens bekommen, ohne die gleiche Bedingung zu erfüllen? Dies war für ihn der kritische Punkt. Wenn er Jesus nachfolgen wollte, musste er bereit sein, alles aufzugeben. Er konnte nicht mehr zurück, dafür war es zu spät. Er hatte es erkannt und er musste folgen. Als Reuben diese Worte aussprach, stimmte Rees im Herzen zu. Auch für ihn war es zu spät, auch er konnte nicht mehr zurück.
Reuben setzte sich mit dieser Forderung gründlich auseinander und überschlug