Die Natürlichkeit und Liebenswürdigkeit ihres Wesens, eine hervorstechende Mitgift ihres badischen Elternhauses, prägte ihre Ausstrahlung privat wie professionell, wobei Letzteres allerdings, um zum hochgesteckten Ziel zu gelangen, ihr unerbittliche Strenge abverlangte, die sie sich ohne Drill oder Verbissenheit auferlegte. Ihre Gunst und Popularität hat sie sich künstlerisch nie mit Kompromissbereitschaft oder unlauteren Mitteln erkauft. Zu Gute kommt ihr ein phänomenales Konzentrationsvermögen, mit dem sie selbst in Hektik oder in kniffligsten Momenten auf dem Podium durch Souveränität, Ruhe und Gelassenheit besticht. Voilà. Vom kalten Perfektionismus hält sie indessen nichts. Karajan hatte recht, als er meinte, zu ihr, die selbst nie die üblichen Schulen besucht hat, »könnten die meisten in die Schule gehen«.
Genie, meinte schon Goethe, ist Fleiß. Wie die Demut, die Anne-Sophie Mutter von Jugend auf als erstes Gebot verinnerlichte, blieb sie auch im Antrieb zur Sache besessen und konsequent. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Schon damals sagte sie mir: »Mein Ideal ist mein Ideal geblieben ... Abstriche und Kompromisse darf es bei mir nicht geben. Nach einem guten Konzert arbeite ich am nächsten Tag noch mehr daran, meinem Ideal näher zu kommen.«
Der Geigerin mangelt es nicht an opulenten Tugenden: So verblüffend wie ihre optische Schönheit, ist ihr Charisma, ihre unbeugsame Willensstärke, ihr Hang zur Perfektion. Nichts klingt in ihrem Spiel angestrengt, verspannt, überzogen, eher souverän über abenteuerliche manuelle Schwierigkeiten hinwegtäuschend, eindringlich, berauschend, kurzum betörend. Eben darin ist ihre verblüffende Einzigartigkeit begründet.
Wie leicht ihr schon damals auch das zeitgenössische Idiom von der Hand ging, demonstrierte sie nicht allein am packenden Zugriff der spröden, ungeigerischen Essenzen von Strawinskys Violinkonzert in D, an den für sie komponierten Stücken von Norbert Moret (En rêve) oder Sofia Gubaidulina (Offertorium), oder solchen von Wolfgang Rihm, sondern nachdrücklich an Werken des mit ihr befreundeten polnischen Altmeisters Witold Lutosławski. An dessen erfolgreiche Erstaufführung von Chain 2 – ein Dialog für Solovioline und Orchester – in Basel, denke ich heute noch sehr nachhaltig und mit größtem Vergnügen zurück. Paul Sacher, der Dirigent des Konzerts, hatte anschließend Künstler und Gäste zu sich nach Hause eingeladen, wo es mit deliziösen kulinarischen Genüssen und interessanten Gesprächen bis in den frühen Morgen hoch herging: rüstig wie eh und je der so hochbetagte wie reich begüterte Gastgeber, allen voran jedoch das unschlagbar witzige, so muntere wie skurrile Allroundgenie Jean Tinguely, das wie Anne-Sophie Mutter zuvor im Konzert unaufhaltsam, brillant und gestenreich auf hohe Touren geriet.
Respektvoll, ohne Pomp und Anbiederung, eher in nobler Distanz kamen wir uns über die Jahre hinweg auch persönlich nahe: in Köln, bei Fernsehauftritten und anderen Anlässen; in Salzburg, auf dem Mönchsberg, im Burgturm des Pressechefs der Salzburger Festspiele Dr. Hans Widrich; überdies im Goldenen Hirschen mit Krystian Zimerman, Eliette von Karajan und dem Anne-Sophie begleitenden künftigen Ehemann, Dr. Detlef Wunderlich, den sie nach der Geburt zweier Töchter allzu früh verlor; schließlich bei weiteren Begegnungen mit ihrem zweiten, inzwischen wieder geschiedenen Ehepartner André Previn in Dresden und vor allem in München, wo sie zu Hause ist.
Inzwischen war sie längst zur jüngsten Professorin der Londoner Royal Academy of Music avanciert. Gleich bemühte sie sich dort zunächst um die schnelle Änderung des viel zu späten Eintrittsalters. Aus eigener Erfahrung wusste sie: »Wer höhere Karriereziele anstrebt, für den ist mit achtzehn Jahren der Zug abgefahren.« Wenn technisch nicht bereits im frühen Alter ein Automatisierungsprozess einsetze, fügte sie hinzu, dass man sozusagen auf den Knopf drücken und die Dinge perfekt ablaufen lassen könne, habe man später keine Chance mehr.
Als Wunderkind auserwählt, hat Anne-Sophie Mutter behutsam, gefestigt, zielbewusst, selbstkritisch, von Allüren und krankhaftem Ehrgeiz frei ihre Traumkarriere angetreten. Noch fast pubertär, war sie als »Botschafterin ohne Diplomatenpass«, wie Baden-Württembergs kunstbeflissener Ministerpräsident Lothar Späth sie einst voller Stolz pries, bereits zu hohen Ehren aufgestiegen. Alles, was die Göttin der tönenden Zunft an edlen Gaben bereithält, hat sie generös auf diese Persönlichkeit ausgebreitet. Voller Staunen liegt ihr die Musikwelt seit Anbeginn zu Füßen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.