Biggi und die Bergerhof-Heidi saßen daraufhin alleine in der alten Gaststube. Eine ganze Weile sagte keine ein Wort. Bis Biggi sich räusperte. Sie hatte ihre Zigarette inzwischen ausgeraucht und eine neue angezündet.
»Ist… ist es so deutlich zu spüren, daß bei Rainer und mir was nicht stimmt?« fragte sie dann.
Heidi nickte. »Ja, sehr deutlich.«
Biggi stand auf und ging in der alten Gaststube auf und ab, bis sie vor Heidi stehenblieb und nickte.
»Ja«, sagte sie, »es stimmt in der Tat einiges nicht. Es kriselt schon länger, obwohl ich es nicht wahrhaben will.«
»Nicht wahrhaben wollen hilft nichts«, erwiderte Heidi. »Im Gegenteil, es verschleppt das, was man modern Krisenmanagement nennt.«
Biggi ging zu einem der Fenster und sah hinaus. Eine Weile stand sie still da, schließlich kam sie zurück zum Tisch und setzte sich wieder, wobei sie Heidi ansah.
»Wie wär’s mit einem Schnaps?« fragte sie dann. »Ich glaub’, es ist der Moment gekommen, wo ich mir mal was losreden sollt’. Und das geht besser, wenn ich einen Schnaps getrunken habe.«
Heidi stand auf, und als sie zurückkam, brachte sie einen hausgebrannten Obstler.
»Du trinkst nicht mit?« Biggi sah Heidi enttäuscht an.
Die schüttelte den Kopf. »Ich sollte einen klaren Kopf behalten, auch um dir gescheit zuhören zu können.«
Biggi zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst.« Dann trank sie den Schnaps, verzog ihr Gesicht und atmete tief durch. »Ich hab’ mir letzten Winter einen Seitensprung erlaubt«, sagte sie dann rasch, »und Rainer ist dahintergekommen. Er hat nie einen Ton deswegen gesagt, ihn hat nur eine unendliche Traurigkeit befallen. Du hast ihn ja heute abend erlebt. So ist er seitdem.«
Heidi sah Biggi betroffen an. »Oje, das ist natürlich eine Sache, die weniger schön ist.«
»Das sag’ ich ja«, erwiderte Biggi, »wie kann ein Mann wie er sich nur so hängen lassen?«
»Mal langsam«, murmelte Heidi, »das hab’ ich nicht gemeint, als ich sagte, daß dies eine weniger schöne Sache sei.«
»Was denn…?«
»Biggi…!« Heidi sah die hübsche Lehrerin aufmerksam an. »Ist dir nicht klar, wie sehr du Rainer verletzt hast, indem du was mit einem anderen Mann hattest? Du kannst doch nicht verlangen, daß er danach zur Tagesordnung übergeht.«
Biggi winkte ab. »Ach, das mit dem anderen war nichts, das hatte keine Bedeutung.«
»Das ist Unsinn«, erwiderte Heidi, »wenn es keine Bedeutung für dich gehabt hätte, hätte es nicht stattgefunden. Und selbst wenn es im Nachhinein für dich keine Bedeutung hatte, so hat es doch Bedeutung für Rainer.«
Biggi zündete sich schon wieder eine Zigarette an. Dann bat sie Heidi um einen weiteren Obstler.
»Mir ist danach«, sagte sie, »irgendwie bekomme ich alles nicht so geregelt, wie ich es gerne möchte.«
Heidi brachte den Obstler, und Biggi trank ihn rasch aus, wobei sie wieder das Gesicht verzog.
»Hast du mit Rainer darüber geredet?« fragte Heidi.
Biggi lachte kurz auf. »Wie käm’ ich dazu?«
»Rainers Seele ist verletzt«, sagte Heidi, »das sieht man ihm auf große Entfernung an. Alles an ihm ist anders als voriges Jahr. Ich glaube nicht, daß die Angelegenheit sich von alleine regelt. Du wirst mit ihm reden müssen. Wenn du nicht mit ihm geredet hast, weiß er doch nicht mal, daß es keine Bedeutung für dich hatte.«
Biggi erhob sich wieder und ging erneut in der alten Gaststube auf und ab. Sie wirkte wie ein Tier in einem Käfig.
»Vor allem wie du Rainer behandelst«, sagte Heidi, »das kommt nicht gut bei ihm an. Zu seiner seelischen Verletzung zeigst du deine Mißachtung überdeutlich. Ich weiß, warum es sich bei dir so zeigt. Du hast ein schlechtes Gewissen, und die Psychologie sagt, daß es einen Weg in die Offensive sucht.«
Plötzlich rannen Tränen über Biggis Gesicht.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, schluchzte sie. »Rainer ist die Liebe meines Lebens. Er ist ein toller Typ. Doch plötzlich fühlte ich mich total eingebunden bei ihm. Ich meinte, keine Luft mehr zu bekommen.«
»Und du meintest, die bekommst du, indem du dich auf einen Seitensprung einläßt?« Heidi schüttelte den Kopf. »Das macht dich nicht frei, ganz im Gegenteil, es macht dich unfrei. Du siehst doch, was bei dir und Rainer herausgekommen ist.«
Da begann Biggi endgültig zu weinen. Tränen über Tränen rannen ihr übers Gesicht. Bis sie plötzlich aufstand, tief durchatmete und sagte, sie gehe jetzt ins Bett.
»Hast du irgendwo ein Zimmer leerstehen?« fragte sie. »Ich kann heute nicht neben Rainer liegen…!«
*
»Grüß dich, Großvater…!«
Mizzi Kramer küßte ihren Großvater auf beide Wangen. »Jetzt bin ich wieder mal für längere Zeit da, wenn’s recht ist.«
Mizzi war zweiundzwanzig Jahre alt, zierlich, wunderschön und sie hatte das, was man einen natürlichen Charme nennt. Wenn sie lächelte, strahlte das auf ihre Umgebung ab, und Menschen, denen es nicht besonders gut ging, vergaßen ihre Sorgen, wenn Mizzi in der Nähe war.
Mizzi hatte nach dem Abitur eine Hotelfachschule besucht und nachdem sie diese abgeschlossen hatte, war sie bei Clemens Haubner in Mittenwald, der dort ein weithin bekanntes Feinschmeckerlokal, die »Werdenfelser Stuben« betrieb.
»Grüß dich, mein Madel«, erwiderte Ambros Kramer, »es ist schön, daß du ein paar Tage bleibst. Hat der Haubner-Clemens dir wieder aufgetragen, einige Gerichte bei uns auszuprobieren?«
Mizzi nickte. »So ist es. Wir haben sie zweimal durchgekocht und einige Dinge, die wir besprochen haben, sollten noch verfeinert, beziehungsweise geändert werden.«
»Und das soll wieder bei uns stattfinden…!« Ambros Kramer grinste. »Wir sind inzwischen also so was wie eine Filiale der ›Werdenfelser Stuben‹.«
Mizzi lachte. »Wenn du so willst, ja.«
»Dann müssen wir uns nur rechtzeitig um die Zutaten bemühen«, sagte ihr Großvater, »das war ja letztens ein bissel schwierig.«
»Der Clemens hat mir eigentlich alles mitgegeben«, erwiderte Mizzi, »und Salate und Gemüse hab’ ich eben von einem erstklassigen Lieferanten aus Kempten mitgebracht.«
»Dann brauchen wir nichts zu holen?« Ambros Kramer sah seine Enkelin fragend an.
Die nickte. »Ich muß die Sachen jetzt aber erst mal ins Kühlhaus geben. Wein hast du wie immer gescheiten da?«
Ambros Kramer nickte. »Ja, aber ich propagier’ inzwischen verschiedene Wasser.«
»Wie bitte?«
»Ich biet’ den Gästen verschiedene Wasser an«, antwortete Ambros. »Inzwischen sitzen s’ da und lassen sich das Wasser auf der Zunge zergehen. Ich find’ das toll.«
»Da schau her«, erwiderte Mizzi, »interessant.«
»Was soll’s denn heut’ abend geben?« fragte ihr Großvater. »Oder ist das wieder eine Überraschung?«
»Eine Überraschung ist es schon«, antwortete Mizzi. »Aber es wird was vom Lamm und was von Enten geben. Wir bieten auch ein Rehgericht an.«
»Da müssen wir uns aber sputen…!«
Mizzi sah auf die Uhr. »Gar net mal. Der Clemens sagt immer, daß man viel zuviel querdenkt. Das einfache Kochen sei noch