Notarzt Dr. Winter Staffel 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Kayser-Darius
Издательство: Bookwire
Серия: Notarzt Dr. Winter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740976835
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an sie zu denken, dann würde er mit seiner Arbeit nie fertig werden.

      Sie war eine reiche und schöne Frau, und verheiratet war sie auch. Warum nur konnte er nicht aufhören, an sie zu denken? Sie war für ihn völlig unerreichbar, und es wurde allerhöchste Zeit, daß er sich das klarmachte. Aber sein Herz spielte nicht mit. Sein Herz wollte träumen! Ende der Woche würden sie sich vermutlich sehen im Reitstall, sie hatte erwähnt, daß sie am Freitag dort sein wollte…

      Und allein, daß sie das getan hatte, brachte ihn nun fast um den Verstand. Warum hatte sie den Tag erwähnt? Sein Herz sagte: ›Weil sie dich sehen will‹, aber sein Verstand wußte, daß das unmöglich war. Er war kein Mann für eine Frau wie sie. Und sie war keine Frau für ein Abenteuer. Sie hatte, seit sie verheiratet war, sicherlich niemals einen anderen auch nur angesehen, während man von ihrem Mann ganz andere Geschichten hörte.

      Aber das ging ihn nichts an. Nie jedenfalls hatte Mareike Sandberg zu erkennen gegeben, daß sie mehr in ihm sah als einen Mann, der zufällig Pferde genauso liebte wie sie.

      Pferde… Er stieß einen lauten Seufzer aus. Eigentlich war er in diesem teueren Club völlig fehl am Platze, er konnte mit den meisten Leuten, die dort verkehrten, überhaupt nichts anfangen. Das war nicht seine Welt. Und wenn er nicht zufällig für den Besitzer des Clubs vor zwei Jahren eine sehr aufwendige Restaurierungsarbeit übernommen hätte – der Mann hatte eine sagenhafte Kunstsammlung in seiner Wohnung –, dann wäre er niemals in diesen Club gelangt. Aber damals war John mit seinem Auftraggeber irgendwann einmal auf die einzige Leidenschaft zu sprechen gekommen, die er außer seiner Arbeit noch hatte, und das waren Pferde.

      Schließlich hatte er die Arbeit abgeschlossen, und der Clubbesitzer war außerordentlich zufrieden gewesen. Mit Recht, fand John noch heute. Er hatte sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, und er war auch gut dafür bezahlt worden. Aber nicht nur das: eines Tages hatte John eine Mitgliedskarte für den teuren Reitclub zugeschickt bekommen, ohne auch nur einen Cent dafür bezahlt zu haben. Sein Auftraggeber hatte also ihr Gespräch über Pferde nicht vergessen.

      Ja, so etwas gab es auch noch, selbst heute, wo doch die Menschen angeblich nur an sich selbst dachten.

      Aber ganz so war es offensichtlich doch nicht. Und wenn er nicht durch diesen Zufall in den teuren Club geraten wäre, hätte er Mareike Sandberg sicherlich niemals kennengelernt. Sie lebten einfach nicht in der gleichen Welt.

      Er konnte sich noch gut an seine Gedanken erinnern, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte sie für eine von diesen schönen, verwöhnten Ehefrauen gehalten, die nichts anderes taten, als mit Freude das Geld ihrer Männer auszugeben.

      Unwillkürlich lächelte er. Das war ein Vorurteil gewesen. Selten hatte er sich so getäuscht wie in diesem Fall, das hatte er schon bald erkannt. Ja, und seitdem spielte sein Herz verrückt, wenn er nur in ihre Nähe kam.

      Er riß seine Gedanken nun mit Gewalt von diesem Thema los und beugte sich energisch über das Bild. Tatsächlich gelang es ihm, fast eine Stunde lang zu arbeiten, ohne daß er ständig Mareikes ein wenig zu vollen Mund vor sich sah.

      Danach gab er es auf. Er würde es heute nicht mehr schaffen, vernünftig zu arbeiten, da konnte er genausogut auch noch ein bißchen reiten gehen. Mareike würde heute sicher nicht kommen, von daher drohte seinem Herzen an diesem Tag also keine Gefahr mehr.

      Ich muß verrückt geworden sein, dachte er, als er in seinem klapprigen alten Auto saß, um zum Club zu fahren. Wie konnte ich mich nur in eine Frau verlieben, die für mich absolut unerreichbar ist? Warum habe ich mir keine ausgesucht, die nur auf mich gewartet hat? Das würde die Dinge verdammt viel einfacher machen!

      *

      »Na, kleine Schwester?« Adrian Winter küßte Esther Berger zur Begrüßung liebevoll auf beide Wangen. Sie erwiderte seine Küsse, und dann legte er seinen Arm um sie, so daß sie fast unter seiner Achselhöhle verschwand. Sie standen vor dem Haus, in dem Esther wohnte. Das Kino, in das sie an diesem Abend gehen wollte, war von hier aus bequem zu Fuß zu erreichen, und so hatte Adrian seine Schwester abgeholt.

      »Ich bin fünf Minuten älter als du, bitte vergiß das nicht!« gab sie ernsthaft zurück.

      »Wie könnte ich?« Er lachte. »Du erinnerst mich doch dauernd daran.«

      »Muß ich ja auch, denn sonst spielst du dich bloß wieder auf!«

      »Käme mir nie in den Sinn!« behauptete er.

      Sie lachte ihn einfach aus. Wenn man die beiden nebeneinander sah, dann hätte man sie nicht unbedingt für Zwillinge gehalten, obwohl die Familienähnlichkeit unverkennbar war: Die gleichen schmalen Gesichter und schlanken Gestalten, der gleiche wache Blick. Und die gleiche Art, beim Lachen das Gesicht zu verziehen oder gelegentlich unwillig die Stirn zu runzeln. Ihre Freunde behaupteten, sie seien einander unglaublich ähnlich, aber sie selbst sahen das nicht so.

      Denn Esther war klein und zierlich, während ihr Bruder sie um fast zwei Köpfe überragte. Und Adrians Augen waren braun, Esthers blau. Außerdem waren sie im Wesen sehr verschieden, fanden sie. Die quirlige, zierliche Esther war eine äußerst temperamentvolle Frau, während ihr Bruder eher ruhig und nachdenklich war. Er überlegte, bevor er handelte, während sie gelegentlich zu spontanen Aktionen neigte, die sie hinterher oft genug heftig bereute. Daß auch sie manchmal nachdenklich war, während mit Adrian das Temperament durchging, sahen sie eher als Ausnahmen an.

      »Was gibt’s Neues?« fragte er. »Von der Charité oder aus der Welt der Reiter? Oder vielleicht in deinem Liebesleben?«

      Sie knuffte ihn leicht in die Seite. »Nix Liebesleben«, antwortete sie. »Eine Traumhochzeit mit an­schließend gescheiterter Ehe reicht mir, das kann ich dir sagen.«

      »Ich rede ja nicht vom Heiraten«, meinte er. »Sondern von diesem Knistern, das sich manchmal zwischen einer Frau und einem Mann einstellt – du weißt schon.«

      Sie blieb stehen und sah ihn mißtrauisch von der Seite an. »Faß dich an deine eigene Nase! Wie sieht’s denn bei dir aus?«

      Unwillkürlich sah er die schönen veilchenfarbenen Augen von Stefanie Wagner vor sich – jener Frau, die er anläßlich eines tragischen Unglücksfalles kennengelernt hatte. Aber obwohl er es versucht hatte, war es ihm seither nicht gelungen, ihr näherzukommen. Irgend etwas kam immer dazwischen, und leider hatte sie auch noch einen Freund.

      Er schob diese Gedanken von sich, als er das Glitzern in den Augen seiner Schwester sah. »Bei mir tut sich in der Hinsicht überhaupt nichts«, erklärte er hastig und zog sie weiter. »Das hätte ich dir doch längst erzählt, Kleine!«

      »Lüg mich nicht an!« sagte sie. »Und vor allem. Sag nicht noch einmal ›Kleine‹ zu mir – oder du kannst was erleben!«

      »Was denn?« Er neckte sie zu gerne.

      »Das wirst du dann schon sehen.«

      Plötzlich wurde er ernst und sagte: »Ach, jetzt fällt mir wieder ein, was ich dir schon längst erzählen wollte, Esther!« Und begeistert berichtete er ihr über die wunderbaren Fresken, die er kürzlich in einer unscheinbaren Kirche entdeckt hatte, und von dem höchst interessanten Gespräch, das er anschließend mit dem Restaurator geführt hatte. »Sehr interessanter Mann und außerordentlich sympathisch.«

      »Klingt gut«, meinte Esther. »Vielleicht können wir ja einmal zusammen ’rausfahren, was denkst du?«

      »Gern«, sagte er. »Ich habe mir sowieso vorgenommen, dieser Kirche gelegentlich wieder einen Besuch abzustatten.«

      »Falls du daran denken solltest, mich mit deinem sympathischen Restaurator zu verkuppeln, dann rate ich dir, vergiß es, Brüderchen. Mir steht im Moment nicht der Sinn nach einem Mann. Ich habe viel zuviel zu tun.«

      »Also erzähl: wie läuft’s in der Charité?«

      »Anstrengend, aber das ist ja nichts Neues. Die Arbeit macht mir Spaß, es ist das Richtige für mich, Adrian. Ich will keinen anderen Beruf haben.«

      »Genau das gleiche habe ich neulich auch gesagt«, stellte er fest.