Der Golem. Gustav Meyrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Meyrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843804424
Скачать книгу
ich helfen sollte, daß sie mich dazu erwählt hatte.

      »Vergessen Sie, ich bitte Sie von Herzen darum – wenigstens solange wir hier sind –, die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben«, sprach sie gepreßt weiter, »ich weiß auch gar nicht, wie Sie über solche Dinge denken – –«

      »Ich bin ein alter Mann geworden, aber kein einziges Mal in meinem Leben war ich so vermessen, daß ich mich Richter gedünkt hätte über meine Mitmenschen«, war das einzige, was ich hervorbrachte.

      »Ich danke Ihnen, Meister Pernath«, sagte sie warm und schlicht. »Und jetzt hören Sie mich geduldig an, ob Sie mir in meiner Verzweiflung nicht helfen oder wenigstens einen Rat geben können.« – Ich fühlte, wie eine wilde Angst sie packte, und hörte ihre Stimme zittern. – »Damals – – im Atelier – – damals brach die schreckliche Gewißheit über mich herein, daß jener grauenhafte Oger mir mit Vorbedacht nachgespürt hat. – Schon durch Monate war mir aufgefallen, daß, wohin ich auch immer ging – ob allein oder mit meinem Gatten oder mit – – – mit – mit Dr. Savioli –, stets das entsetzliche Verbrechergesicht dieses Trödlers irgendwo in der Nähe auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen. Noch macht sich ja kein Zeichen bemerkbar, was er vorhat, aber um so qualvoller drosselt mich nachts die Angst: Wann wirft er mir die Schlinge um den Hals!

      Anfangs wollte mich Dr. Savioli damit beruhigen, was denn so ein armseliger Trödler wie dieser Aaron Wassertrum überhaupt vermöchte – schlimmsten Falles könnte es sich nur um eine geringfügige Erpressung oder dergleichen handeln, aber jedesmal wurden seine Lippen weiß, wenn der Name Wassertrum fiel. Ich ahne: Dr. Savioli hält mir etwas geheim, um mich zu beruhigen – irgend etwas Furchtbares, was ihn oder mich das Leben kosten kann.

      Und dann erfuhr ich, was er mir sorgsam verheimlichen wollte: daß ihn der Trödler mehrere Male des Nachts in seiner Wohnung besucht hat! – Ich weiß es, ich spüre es in jeder Faser meines Körpers: Es geht etwas vor, das sich langsam um uns zusammenzieht wie die Ringe einer Schlange. – Was hat dieser Mörder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn nicht abschütteln? Nein, nein, ich sehe das nicht länger mit an; ich muß etwas tun. Irgend etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt.«

      Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie ließ mich nicht zu Ende sprechen.

      »Und in den letzten Tagen nahm der Alp, der mich zu erwürgen droht, immer greifbarere Formen an. Dr. Savioli ist plötzlich erkrankt –, ich kann mich nicht mehr mit ihm verständigen – darf ihn nicht besuchen, wenn ich nicht stündlich gewärtigen soll, daß meine Liebe zu ihm entdeckt wird –; er liegt in Delirien, und das einzige, was ich erkunden konnte, ist, daß er sich im Fieber von einem Scheusal verfolgt wähnt, dessen Lippen von einer Hasenscharte gespalten sind: Aaron Wassertrum!

      Ich weiß, wie mutig Dr. Savioli ist; um so entsetzlicher – können Sie sich das vorstellen? – wirkt es auf mich, ihn jetzt gelähmt vor einer Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle Nähe eines grauenhaften Würgengels empfinde, zusammengebrochen zu sehen.

      Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu Dr. Savioli bekenne, alles von mir würfe, wenn ich ihn doch so liebe –: alles, Reichtum, Ehre, Ruf und so weiter, aber –« sie schrie es förmlich heraus, daß es widerhallte von den Chorgalerien, – »ich kann nicht! – Ich hab doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines Mädel! Ich kann doch mein Kind nicht hergeben! – Glauben Sie denn, mein Mann ließe es mir?! Da, da, nehmen Sie das, Meister Pernath« – sie riß im Wahnwitz ein Täschchen auf, das vollgestopft war mit Perlenschnüren und Edelsteinen – »und bringen Sie es dem Verbrecher; – ich weiß, er ist habsüchtig – er soll sich alles holen, was ich besitze, aber mein Kind soll er mir lassen. – Nicht wahr, er wird schweigen? – So reden Sie doch um Jesu Christi willen, sagen Sie nur ein Wort, daß Sie mir helfen wollen!«

      Es gelang mir mit größter Mühe, die Rasende wenigstens so weit zu beruhigen, daß sie sich auf eine Bank niederließ. Ich sprach zu ihr, wie es mir der Augenblick eingab. Wirre, zusammenhanglose Sätze.

      Gedanken jagten dabei in meinem Hirn, so daß ich selbst kaum verstand, was mein Mund redete – Ideen phantastischer Art, die zusammenbrachen, kaum daß sie geboren waren.

      Geistesabwesend haftete mein Blick auf einer bemalten Mönchsstatue in der Wandnische. Ich redete und redete. Allmählich verwandelten sich die Züge der Statue, die Kutte wurde ein fadenscheiniger Überzieher mit hochgeklapptem Kragen, und ein jugendliches Gesicht mit abgezehrten Wangen und hektischen Flecken wuchs daraus empor.

      Ehe ich die Vision verstehen konnte, war der Mönch wieder da. Meine Pulse schlugen zu laut.

      Die unglückliche Frau hatte sich über meine Hand gebeugt und weinte still.

      Ich gab ihr von der Kraft, die in mich eingezogen war in der Stunde, als ich den Brief gelesen hatte, und mich jetzt abermals übermächtig erfüllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas.

      »Ich will Ihnen sagen, warum ich mich gerade an Sie gewendet habe, Meister Pernath«, fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. »Es waren ein paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben – und die ich nie vergessen konnte die vielen Jahre hindurch – –«

      Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut.

      »Sie nahmen Abschied von mir – ich weiß nicht mehr, weshalb und wieso, ich war ja noch ein Kind –, und Sie sagten so freundlich und doch so traurig:

      ›Es wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn Sie je im Leben nicht aus noch ein wissen. Vielleicht gibt mir Gott der Herr, daß ich es dann sein darf, der Ihnen hilft.‹ – Ich habe mich damals abgewendet und rasch meinen Ball in den Springbrunnen fallen lassen, damit Sie meine Tränen nicht sehen sollten. Und dann wollte ich Ihnen das rote Korallenherz schenken, das ich an einem Seidenband um den Hals trug, aber ich schämte mich, weil das gar so lächerlich gewesen wäre.«

      – – –

       Erinnerung

      – Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer wie aus einem vergessenen, fernen Land der Sehnsucht trat vor mich – unvermittelt und schreckhaft: ein kleines Mädchen in weißem Kleid und ringsum die dunkle Wiese eines Schloßparks, von alten Ulmen umsäumt. Deutlich sah ich es wieder vor mir.

      Ich mußte mich verfärbt haben; ich merkte es an der Hast, mit der sie fortfuhr: »Ich weiß ja, daß Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds entsprangen, aber sie waren mir oft ein Trost und – und ich danke Ihnen dafür.«

      Mit aller Kraft biß ich die Zähne zusammen und jagte den heulenden Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurück.

      Ich verstand: Eine gnädige Hand war es gewesen, die die Riegel vor meiner Erinnerung zugeschoben hatte. Klar stand jetzt in meinem Bewußtsein geschrieben, was ein kurzer Schimmer aus alten Tagen herübergetragen: Eine Liebe, die für mein Herz zu stark gewesen, hatte für Jahre mein Denken zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam für meinen wunden Geist geworden.

      Allmählich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins über mich und kühlte die Tränen hinter meinen Augenlidern. Der Hall von Glocken zog ernst und stolz durch den Dom, und ich konnte freudig lächelnd der in die Augen sehen, die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen.

      Wieder hörte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der Hufe.

      Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt.

      Die Laternen staunten mich an mit zwinkernden Augen, und aus geschichteten Bergen von Tannenbäumen raunte es von Flitter und silbernen Nüssen und vom kommenden Christfest.

      Auf dem Rathausplatz an der Mariensäule murmelten bei Kerzenglanz die alten Bettelweiber mit den grauen Kopftüchern der Muttergottes ihren Rosenkranz.

      Vor dem dunklen Eingang zur Judenstadt hockten die Buden des Weihnachtsmarktes. Mitten darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete grell, von schwelenden Fackeln beschienen, die offene Bühne eines Marionettentheaters. Zwakhs Policinell in Purpur und Violett,