Die Säbelschwadron. Simon Raven. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simon Raven
Издательство: Bookwire
Серия: Almosen fürs Vergessen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961600427
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       Titelseite

       Impressum

       Teil 1

       Teil 2

       Teil 3

       Teil 4

       Teil 5

       Teil 6

       Teil 7

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      Simon Raven

      Die Säbelschwadron

      Roman

      Aus dem Englischen übersetzt

      von Sabine Franke

      Elfenbein

      Die Originalausgabe erschien 1966 unter dem Titel

      »The Sabre Squadron« bei Anthony Blond, London.

      Band 3 des Romanzyklus »Almosen fürs Vergessen«

      Copyright © Simon Raven, 1998

      First published as part of »Alms for Oblivion«:

      Volume I by Vintage, an imprint of Vintage.

      Vintage is part of the Penguin Random House

      group of companies.

      Die Übersetzung dieses Bandes

      wurde mit freundlicher Unterstützung der

      Brougier-Seisser-Cleve-Werhahn-Stiftung

      ermöglicht.

      © 2020 Elfenbein Verlag, Berlin

      Einbandgestaltung: Oda Ruthe

      Alle Rechte vorbehalten

      ISBN 978-3-96160-042-7 (E-Book)

      ISBN 978-3-96160-012-0 (Druckausgabe)

      Teil I

      Il Penseroso

      Kaffee bitte. Schwarz«, sagte Daniel Mond.

       Der Kellner verbeugte sich und schlurfte über die Ter­ras­se davon. Etwas weiter den Hügel hinab ertönte aus den von den Briten belegten Kasernen vernebelt der Ruf eines Signalhorns. Oben auf dem Bergrücken erstreckte sich der som­­merlich grüne Wald mit seinen raschelnden Blättern und duftenden Kiefern, der sich zu Daniels Rechten ins Tal hinabzog bis zu der Parkanlage, von der die Stadt auf dieser Seite umrahmt wurde. Dort waren die Vororte, hübsch nacheinander aufgereiht, und dahinter schließlich Göttingen, wie ein Pastiche einer mittelalterlichen Stadt aus dem achtzehnten Jahrhundert, wohlgeordnet, freundlich und doch unverkennbar gotisch, mit den drei im Dunst der Mittagshitze flimmern­den Türmen. Ein ansehnlicher Ort, dachte Daniel, als er von der Terrasse auf dem Hügel hinabsah – unaufgeregt, kultiviert und gesittet.

      Der Kellner schlurfte wieder herbei, über die Terrasse, stellte den Kaffee ab und blickte Daniel für einen kurzen Moment mit diesem Ausdruck an, verhuscht, schuldbewusst, aggressiv, ein Ausdruck, wie er ihn im Laufe der vergangenen drei Monate auf so vielen Gesichtern gesehen hatte und der bei ihm, selbst hier, einen leichten, eisigen Schauder in der Magengrube hervorrief. Komm schon, dachte er, zum tausendsten Mal sich selbst zur Ruhe gemahnend: Wir leben mittlerweile im Jahr 1952, es ist über sieben Jahre her, dass mit all dem Schluss war, sie werden es bald vergessen, sie werden es vergessen müssen. Ein kurzer Blick durfte ihm einen Nachmittag wie diesen nicht verderben. In wenigen Minuten würde er aufbrechen, über die Wiese und den Berg hinabgehen, auf die Mauer um die merkwürdig elegant wirkenden Kasernenbauten treffen, die die Nazis 1935 errichtet hatten (natürlich kein Anlass mehr zur Sorge), er würde ihr ein Stück folgen, um dann rechts in den kühlen Wald zu biegen; in einer halben Stunde würde er in Göttingen zurück sein, würde der Gänseliesel in ihrer klei­nen Laube Guten Tag sagen und dann die enge Straße hin­­abgehen, vorbei an der Spelunke, in der die Deutschen Skat spielten, zu seiner Unterkunft in dem Wohnhaus mit der schiefen weißen Front. Er würde sich der dort wartenden Arbeit widmen; würde die mit grazilen mathematischen Zeichen bedeckten Ma­nuskriptseiten nach den Erkenntnissen durchforsten, denen er auf der Spur war und die sich ihm doch gewiss in Bälde offenbaren mussten, Formeln wie seine eigenen, rein, präzise und asketisch, und doch springlebendig, weil sie den Stoff ent­hielten, aus dem sich Bezauberndes, ja gar Fantastisches spinnen ließ, voller Mysterien, die über sich hinausdeuteten. Später dann, viel später, wenn er erschöpft und somit innerlich für einige Stunden zur Ruhe gebracht wäre, würde er seine Blät­ter zu einem Stoß ordnen, ihnen laut Gute Nacht sagen und hinaustreten in die freundlichen Gassen, um irgendwo zu Abend zu essen.

      Ein prächtiger Nachmittag im ausgehenden Juli, ein Spaziergang gemächlich den Berg hinab in eine friedliche und anheimelnde kleine Stadt, vor ihm mehrere Stunden einer ihm geistesverwandten, ihn gänzlich absorbierenden Forschungsarbeit – nein, keine Aussicht, die sich einfach zunichtemachen ließ vom scheelen Blick eines alternden Kellners, der noch erbittert grollte angesichts der wohlverdienten Schande, die sein Land auf sich gebracht hatte. Und doch rief ihm dieser Blick so vieles in Erinnerung, das er lieber vergessen wollte. Er erinnerte ihn daran, dass er heute Abend, wie letzthin immer, alleine essen würde; dass nun schon seit Wochen irgendetwas – er konnte nicht genau sagen, was –, irgendetwas Tückisches, irgendetwas Trügerisches aus den Zeichen und Zeichenabfolgen sprach, zu denen er in Kürze zurückkehren würde; dass zudem auch sonst irgendetwas nicht stimmte, irgendetwas, zu dem sein Alleinsein gehörte und die Bedrohlichkeit, die diese Zeichen ausstrahlten, und das doch darüber hinausging, irgendetwas, das ihn, während er hier wohlig und gut gesättigt auf der sonnigen Terrasse über Göttingen saß, unvermittelt zu umfangen schien wie ein Luftzug, der einem Grab entströmte.

      Damals im Januar, kurz nachdem Dirange, sein wissenschaftlicher Mentor und Betreuer, zum ersten Mal angeregt hatte, dass er doch einige Monate in Göttingen verbringen solle, hatte Daniel die Angelegenheit mit Robert Constable, dem leitenden Tutor des Colleges, besprochen.

      »Warum Göttingen?«, hatte Constable gesagt.

      »Dirange meint, dass dort Material liegt, das mich voranbringen wird. Unveröffentlichte Abhandlungen, einige Manuskripte …«

      »Ich dachte, es wäre Physik, wofür Göttingen bekannt ist. Max Planck, zum Beispiel, Atomtheorie und so weiter. Und ich verstehe es doch richtig, dass Ihre Forschungsarbeit das Reinste der reinen Mathematik zum Gegenstand hat.«

      »Physiker entwickeln häufig neue Methoden, die für uns von Interesse sind. Genauso wie … bedauerlicherweise … unsere Formeln häufig für sie von Nutzen sind.«

      »Bedauerlicherweise?«, sagte Constable, der, von Hause aus Ökonom, etwas gegen die Allüren von Vertretern der »unangewandten« Wissenschaften hatte.

      Daniel zuckte jammervoll die Schultern. Wenn er etwas hasste, war es die Richtung, die das Gespräch jetzt nehmen würde, die rechthaberische Betonung des Nutzens, den die Wissenschaften erbracht hätten, und die herablassende Ermahnung, dass, so »wertvoll« die reine Mathematik an sich auch sei, er sich doch nicht zu gut sein dürfe, zu praktischen Anwendungen beizutragen. Doch hatte er sich das selbst eingebrockt, mit einem achtlosen Wort, und nun musste er es, wie ihm scheinen wollte zum millionsten Mal, über sich ergehen lassen.

      »Ich meine damit«, sagte er vorsichtig zu dem brüskierten Tutor, »dass Physiker