Obwohl sich die direkten Auslöser für Euroskeptizismus und die Handelnden im Laufe der Zeit verändert und sich auch die Verhältnisse verschoben haben, bleiben die Argumente und Gründe vergleichbar, es ändern sich lediglich die Bezugspunkte und aktuelle Entwicklungen fließen in die Betrachtungsweisen ein.
2.2 Das (ideologische) Spektrum der politischen Rechten
In den letzten Jahrzehnten fand eine Vielzahl von Begriffen Einzug in den öffentlichen Diskurs, wenn es darum ging, Parteien, Personen oder Haltungen am politischen rechten Rand zu beschreiben. Bezeichnungen wie ‚Rechtsextremismus‘, ‚rechtsradikal‘, ‚Neonazis‘, ‚rechtspopulistisch‘, ‚neofaschistisch‘, ‚die Neue Rechte‘ oder schlichtweg ‚rechts‘ – um nur einige zu nennen – beschreiben zwar allesamt rechte Positionen, sind dennoch aufgrund unterschiedlicher rechter Ausprägungen klar voneinander abzutrennen. Aus diesem Grund ist es zunächst wichtig, das Verständnis der Begriffe (Rechts-)Radikalismus, (Rechts-)Extremismus und (Rechts-)Populismus zu klären und diese voneinander abzugrenzen. Unumstritten ist hierbei die Relevanz der jeweiligen Ausprägung der Ideologie (vgl. Mudde 2000: 16f.; Jaschke 2006: 46; Stöss 2010: 26f.).
Vor allem der Terminus ‚rechtsradikal‘ wird sowohl in der wissenschaftlichen Fachliteratur als auch im journalistischen Diskurs oftmals verwendet, um sämtliche Positionen rechts der Mitte zu bezeichnen ohne diese genauer zu spezifizieren.6 Tatsächlich wurde der Radikalismusbegriff im deutschen Sprachraum noch bis in die 1970er Jahre synonym zu Links- und Rechtsextremismus verwendet (vgl. Jaschke 2006: 17). Erst mit dem Verfassungsschutzbericht von 1973, in dem der Begriff ‚radikal‘ durch ‚extremistisch‘ ersetzt wurde, wurde – zumindest auf amtlicher Ebene – eindeutig geklärt, dass „radikale Kritik nicht mit Verfassungsfeindlichkeit gleichzusetzen ist“ (Maihofer 1974: 8960), während der Extremismus mit verfassungsfeindlichen Maßnahmen versuche, seine Ziele durchzusetzen. Diese juristische Abgrenzung der Begriffe voneinander gilt bspw. auch heute noch auf politischer Ebene in Deutschland. In der wissenschaftlichen Diskussion herrscht jedoch weiterhin Unklarheit über die Verwendung des Begriffs. Zaslove (2004: 66) definiert rechtsradikale Parteien als
„parties that accept the general constitutional parameters of liberal democracy, but challenge the limits of liberal democracies and the existing constitutional order with their transgressive critique of the socio-economic and socio-cultural norms and discourse of the post-war compromise, of the welfare-state, and of the post-war ‘traditional’ political parties.”
Insofern grenzt er sie von rechtsextremen Parteien ab, die er als „unconstitutional“ einstuft, während radikale Parteien lediglich „oppose[d to] the principles of the constitution“ seien (Zaslove 2004: 66). Dies entspricht ebenfalls der Unterscheidung zwischen verfassungsfeindlich (rechtsradikal) und verfassungswidrig (rechtsextrem) im Deutschen. Minkenberg und Perrineau (2007: 30) hingegen bezeichnen radikale rechte Parteien als eine Ansammlung nationalistischer, autoritärer, xenophober und extremistischer Positionen, die sich durch populistischen Ultranationalismus als gemeinsames Merkmal auszeichnen. Den ultranationalistischen Kern im rechtsradikalen Denken begründet Minkenberg (2011: 113) damit, dass „in der Konstruktion nationaler Zusammengehörigkeit spezifische ethnische, kulturelle oder religiöse Ausgrenzungskriterien verschärft, zu kollektiven Homogenitätsvorstellungen verdichtet und mit autoritären Politikmodellen verknüpft werden“. Es fällt auf, dass Minkenberg und Perrineau (2007) anders als Zaslove (2004) den Extremismus nicht vom Radikalismus abgrenzen, sondern Ersteren vielmehr als Teil der radikalen Einstellung verstehen.
Der Begriff des Extremismus hat eine lange Tradition, die sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen lässt. In seiner ersten Staatsformenlehre bezeichnete Aristoteles die Extreme als wichtige Bestandteile des politischen Systems, die sowohl zueinander als auch zur Mitte gegensätzliche Positionen darstellten (vgl. Backes 2006: 41). In diesem Sinne stellte er unter Berücksichtigung des Gemeinwohls drei gute (Monarchie, Aristokratie und Politie) und drei schlechte Staatsformen (Tyrannis, Oligarchie und Demokratie) vor. Die Demokratie sah er jedoch zunächst als verfehlte Staatsform, da sie nicht das Wohl der Allgemeinheit, sondern das Wohl des herrschenden Volkes – nach seiner Auffassung die freien Armen – vertrete und somit dem Eigennutz der Bevölkerung diene. Daher bevorzugte er die Politie, da diese weder die Reichen noch die Armen – also die beiden Extreme – bevorteile, sondern auf dem Wohl der mittleren Schichten aufbaue (vgl. Backes 2006: 233; Schmidt 2010: 30; Jesse 2018: 29). Erst mit der Französischen Revolution, im Laufe derer sich die Rechts-Links-Unterscheidung in Anlehnung an die Sitzordnung im Parlament etablierte, bekamen die beiden Extreme erstmals eine spezifische Zuordnung am rechten bzw. linken Rand des Systems und wurden mit konkreten politischen Einstellungen verknüpft (Backes 2006: 234). So zeichneten sich die Delegierten auf der linken Seite des Spektrums durch ihre egalitäre Position und die Befürwortung sozialer Reformen aus, während auf der rechten Seite die Vertreter der Aristokratie und des Konservatismus saßen (Lipset 1972: 449). Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs erhielt der Begriff des Extremismus erst nach 1917, als sowohl auf rechter als auch auf linker Seite von Extremismus gesprochen wurde (ebd. 450). Im Gegensatz zum ebenfalls um diese Zeit aufkommenden Totalitarismusbegriff, der sich auf das faschistische Regime Italiens unter Mussolini bezog (vgl. Petersen 1996: 20), beschrieb der Extremismus zunächst vornehmlich linke Bewegungen (Jesse 2018: 31). So wurden v. a. in Frankreich und Großbritannien die Ansichten des russischen Kommunismus als systemfeindlich bezeichnet und mit dem Extremismus gleichgesetzt, während rechte Ideologien als Faschismus bezeichnet wurden.
Einen anderen Ansatz wählte der amerikanische Soziologe Seymour M. Lipset. Er erklärte, dass sich der Extremismus nicht nur auf Grundlage der Sitzordnung in nationalen Parlamenten zeigen lässt, sondern auch anhand der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Demnach ergänzte er das bekannte Rechts-Links-Spektrum um den Faktor ‚Mitte‘ und stellte die These auf, der Linksextremismus käme aus der Unterschicht, der Faschismus aus der Mittelschicht und der Rechtsextremismus aus der Oberschicht (Lipset 1972: 449). Seine Argumentation stützt Lipset (1972: 458f.) in erster Linie auf den Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die ihre Wählerschaft vor allem aus den zusammenbrechenden Parteien der Mitte gewann, was im Endeffekt zum Ende der Weimarer Republik führte und den Aufstieg Hitlers ermöglichte. Die These, dass die NSDAP ihren Aufstieg dem Mittelstand verdankte, wurde bereits gegen Ende der Weimarer Republik von verschiedenen Soziologen vertreten. Ein Beispiel hierfür ist Theodor Geiger, der in seinem 1930 erschienenen Aufsatz „Panik im Mittelstand“ auf die Anfälligkeit des Mittelstandes für die nationalsozialistischen Ideologien und die Propaganda der NSDAP eingeht (vgl. Geiger 1930). Da sich dieser Ansatz jedoch eher auf aktuelle politische Entwicklungen bezieht und lediglich temporäre WählerInnenfluktuationen betrachtet und sich daher weniger mit tatsächlichen Ideologien auseinandersetzt, ist die Theorie des ‚Extremismus der Mitte‘ zumindest zur Klärung und Eingrenzung des Extremismusbegriffs auf politikwissenschaftlicher Ebene ungeeignet. Im Zusammenhang mit populistischen Strategien zum Stimmengewinn kann dieser Ansatz jedoch ohne Weiteres zu Rate gezogen werden. Hierauf wird an einem späteren Punkt in diesem Kapitel nochmals näher eingegangen.
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