Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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es auch nur vielleicht in einer elenden Spelunke sein wird.“

      Karl sah ein, daß er eigentlich seinen Posten schon verloren hatte, denn der Oberkellner hatte es bereits ausgesprochen, der Oberportier als fertige Tatsache wiederholt und wegen eines Liftjungen dürfte wohl die Bestätigung der Entlassung seitens der Hoteldirektion nicht nötig sein. Es war allerdings schneller gegangen, als er gedacht hatte, denn schließlich hatte er doch zwei Monate gedient so gut er konnte und gewiß besser als mancher andere Junge. Aber auf solche Dinge wird eben im entscheidenden Augenblick offenbar in keinem Weltteil, weder in Europa noch in Amerika Rücksicht genommen, sondern es wird so entschieden, wie einem in der ersten Wut das Urteil aus dem Munde fährt. Vielleicht wäre es jetzt am besten gewesen, wenn er sich gleich verabschiedet hätte und weggegangen wäre, die Oberköchin und Therese schliefen vielleicht noch, er hätte sich, um ihnen die Enttäuschung und Trauer über sein Benehmen wenigstens beim persönlichen Abschied zu ersparen, brieflich verabschieden können, hätte rasch seinen Koffer packen und in der Stille fortgehn können. Blieb er aber auch nur einen Tag noch – und er hätte allerdings ein wenig Schlaf gebraucht – so erwartete ihn nichts anderes, als Aufbauschung seiner Sache zum Skandal, Vorwürfe von allen Seiten, der unerträgliche Anblick der Tränen Thereses und vielleicht gar der Oberköchin und möglicherweise zuguterletzt auch noch eine Bestrafung. Andererseits aber beirrte es ihn, daß er hier zwei Feinden gegenüberstand und daß an jedem Wort, das er aussprechen würde, wenn nicht der eine, so der andere etwas aussetzen und zum Schlechten deuten würde. Deshalb schwieg er und genoß vorläufig die Ruhe, die im Zimmer herrschte, denn der Oberkellner las noch immer die Zeitung und der Oberportier ordnete sein über den Tisch hin verstreutes Verzeichnis nach den Seitenzahlen, was ihm bei seiner offenbaren Kurzsichtigkeit große Schwierigkeiten machte.

      Endlich legte der Oberkellner die Zeitung gähnend hin, vergewisserte sich durch einen Blick auf Karl daß dieser noch anwesend sei und drehte die Glocke des Tischtelephons an. Er rief mehrere Male Halloh, aber niemand meldete sich. „Es meldet sich niemand“, sagte er zum Oberportier. Dieser, der das Telephonieren wie es Karl schien, mit besonderem Interesse beobachtete, sagte: „Es ist ja schon dreiviertel sechs. Sie ist gewiß schon wach. Läuten Sie nur stärker.“ In diesem Augenblick kam, ohne weitere Aufforderung das telephonische Gegenzeichen. „Hier Oberkellner Isbary“, sagte der Oberkellner. „Guten Morgen Frau Oberköchin. Ich habe Sie doch nicht am Ende geweckt. Das tut mir sehr leid. Ja, ja, dreiviertel sechs ist schon. Aber das tut mir aufrichtig leid, daß ich Sie erschreckt habe. Sie sollten während des Schlafens das Telephon abstellen. Nein, nein tatsächlich, es gibt für mich keine Entschuldigung, besonders bei der Geringfügigkeit der Sache wegen deren ich Sie sprechen will. Aber natürlich habe ich Zeit, bitte sehr, ich bleibe beim Telephon wenn es Ihnen recht ist.“ „Sie muß im Nachthemd zum Telephon gelaufen sein“, sagte der Oberkellner lächelnd zum Oberportier, der die ganze Zeit über mit gespanntem Gesichtsausdruck zum Telephonkasten sich gebückt gehalten hatte. „Ich habe sie wirklich geweckt, sie wird nämlich sonst von dem kleinen Mädel, das bei ihr auf der Schreibmaschine schreibt, geweckt und die muß es heute ausnahmsweise versäumt haben. Es tut mir leid, daß ich sie aufgeschreckt habe, sie ist so wie so nervös.“ „Warum spricht sie nicht weiter?“ „Sie ist nachschauen gegangen, was mit dem Mädel los ist“, antwortete der Oberkellner schon mit der Muschel am Ohr, denn es läutete wieder. „Sie wird sich schon finden“, redete er weiter ins Telephon hinein. „Sie dürfen sich nicht von allem so erschrecken lassen, Sie brauchen wirklich eine gründliche Erholung. Ja also meine kleine Anfrage. Es ist da ein Liftjunge, namens“ – er drehte sich fragend nach Karl um, der, da er genau aufpaßte gleich mit seinem Namen aushelfen konnte – „also namens Karl Roßmann, wenn ich mich recht erinnere, so haben Sie sich für ihn ein wenig interessiert; leider hat er Ihre Freundlichkeit schlecht belohnt, er hat ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen, hat mir dadurch schwere jetzt noch gar nicht übersehbare Unannehmlichkeiten verursacht und ich habe ihn daher soeben entlassen. Ich hoffe Sie nehmen die Sache nicht tragisch. Wie meinen Sie? Entlassen, ja entlassen. Aber ich sagte Ihnen doch, daß er seinen Posten verlassen hat. Nein da kann ich Ihnen wirklich nicht nachgeben liebe Frau Oberköchin. Es handelt sich um meine Autorität, da steht viel auf dem Spiel, so ein Junge verdirbt mir die ganze Bande. Gerade bei den Liftjungen muß man teuflisch aufpassen. Nein, nein, in diesem Falle kann ich Ihnen den Gefallen nicht tun, so sehr ich es mir immer angelegen sein lasse Ihnen gefällig zu sein. Und wenn ich ihn schon trotz allem hier ließe, zu keinem andern Zweck als um meine Galle in Tätigkeit zu erhalten, Ihretwegen, ja Ihretwegen Frau Oberköchin kann er nicht hierbleiben. Sie nehmen einen Anteil an ihm, den er durchaus nicht verdient und da ich nicht nur ihn kenne, sondern auch Sie, weiß ich, daß das zu den schwersten Enttäuschungen für Sie führen müßte, die ich Ihnen um jeden Preis ersparen will. Ich sage das ganz offen, trotzdem der verstockte Junge paar Schritte vor mir steht. Er wird entlassen, nein nein Frau Oberköchin, er wird vollständig entlassen, nein nein er wird zu keiner andern Arbeit versetzt, er ist vollständig unbrauchbar. Übrigens laufen ja auch sonst Beschwerden gegen ihn ein. Der Oberportier z. B. ja also was denn, Feodor, ja beklagt sich über die Unhöflichkeit und Frechheit dieses Jungen. Wie, das soll nicht genügen? Ja liebe Frau Oberköchin Sie verläugnen wegen dieses Jungen Ihren Charakter. Nein so dürfen Sie mir nicht zusetzen.“

      In diesem Augenblick beugte sich der Portier zum Ohr des Oberkellners und flüsterte etwas. Der Oberkellner sah ihn zuerst erstaunt an und redete dann so rasch in das Telephon, daß Karl ihn anfangs nicht ganz genau verstand und auf den Fußspitzen zwei Schritte nähertrat.

      „Liebe Frau Oberköchin“, hieß es, „aufrichtig gesagt, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie eine so schlechte Menschenkennerin sind. Eben erfahre ich etwas über Ihren Engelsjungen, was Ihre Meinung über ihn gründlich ändern wird und es tut mir fast leid, daß gerade ich es Ihnen sagen muß. Dieser feine Junge also, den Sie ein Muster von Anstand nennen, läßt keine dienstfreie Nacht vergehn, ohne in die Stadt zu laufen, aus der er erst am Morgen wiederkommt. Ja ja Frau Oberköchin das ist durch Zeugen bewiesen, durch einwandfreie Zeugen, ja. Können Sie mir nun vielleicht sagen, wo er das Geld zu diesen Lustbarkeiten hernimmt? Wie er die Aufmerksamkeit für seinen Dienst behalten soll? Und wollen Sie vielleicht auch noch, daß ich Ihnen beschreiben soll, was er in der Stadt treibt? Diesen Jungen loszuwerden, will ich mich aber ganz besonders beeilen. Und Sie bitte nehmen das als Mahnung, wie vorsichtig man gegen hergelaufene Burschen sein soll.“

      „Aber Herr Oberkellner“, rief nun Karl, förmlich erleichtert durch den großen Irrtum, der hier unterlaufen schien, und der vielleicht am ehesten dazu führen konnte, daß sich alles noch unerwartet besserte, „da liegt bestimmt eine Verwechslung vor. Ich glaube, der Herr Oberportier hat Ihnen gesagt, daß ich jede Nacht weggehe. Das ist aber durchaus nicht richtig, ich bin vielmehr jede Nacht im Schlafsaal, das können alle Jungen bestätigen. Wenn ich nicht schlafe lerne ich kaufmännische Korrespondenz, aber aus dem Schlafsaal rühre ich mich keine Nacht. Das ist ja leicht zu beweisen. Der Herr Oberportier verwechselt mich offenbar mit jemand anderm und jetzt verstehe ich auch, warum er glaubt daß ich ihn nicht grüße.“

      „Wirst Du sofort schweigen“, schrie der Oberportier und schüttelte die Faust, wo andere einen Finger bewegt hätten, „ich soll Dich mit jemand andern verwechseln. Ja dann kann ich nicht mehr Oberportier sein, wenn ich die Leute verwechsle. Hören Sie nur, Herr Isbary, dann kann ich nicht mehr Oberportier sein, nun ja, wenn ich die Leute verwechsle. In meinen dreißig Dienstjahren ist mir allerdings noch keine Verwechslung passiert, wie mir hunderte von Herren Oberkellnern, die wir seit jener Zeit hatten, bestätigen müssen, aber bei Dir miserabler Junge soll ich mit den Verwechslungen angefangen haben. Bei Dir, mit Deiner auffallenden glatten Fratze. Was gibt es da zu verwechseln, Du könntest jede Nacht hinter meinem Rücken in die Stadt gelaufen sein und ich bestätige bloß nach Deinem Gesicht, daß Du ein ausgegohrener Lump bist.“

      „Laß Feodor!“ sagte der Oberkellner, dessen telephonisches Gespräch mit der Oberköchin plötzlich abgebrochen worden zu sein schien. „Die Sache ist ja ganz einfach. Auf seine Unterhaltungen in der Nacht kommt es ja in erster Reihe gar nicht an. Er möchte ja vielleicht vor seinem Abschied noch irgend eine große Untersuchung über seine Nachtbeschäftigung verursachen wollen. Ich kann mir schon vorstellen daß ihm das gefallen würde. Es würden womöglich alle vierzig Liftjungen heraufcitiert und als Zeugen einvernommen, die würden ihn natürlich