Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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Schlägen auf die Tische, die Frauen hatten den Schooß voll Näharbeit und erübrigten nur hie und da einen kurzen Blick für ihre Umgebung oder für die Straße, eine blonde schwache Frau auf dem benachbarten Balkon gähnte immerfort, verdrehte dabei die Augen und hob immer vor den Mund ein Wäschestück, das sie gerade flickte, selbst auf den kleinsten Balkonen verstanden es die Kinder einander zu jagen, was den Eltern sehr lästig fiel. Im Innern vieler Zimmer waren Grammophone aufgestellt und bliesen Gesang oder Orchestralmusik hervor, man kümmerte sich nicht besonders um diese Musik, nur hie und da gab der Familienvater einen Wink und irgendjemand eilte ins Zimmer hinein, um eine neue Platte einzulegen. An manchen Fenstern sah man vollständig bewegungslose Liebespaare, an einem Fenster Karl gegenüber stand ein solches Paar aufrecht, der junge Mann hatte seinen Arm um das Mädchen gelegt und drückte mit der Hand ihre Brust.

      „Kennst Du jemanden von den Leuten hier nebenan?“ fragte Karl Robinson, der nun auch aufgestanden war und weil es ihn fröstelte außer der Bettdecke auch noch die Decke Bruneldas um sich gewickelt hielt.

      „Fast niemanden. Das ist ja eben das Schlimme an meiner Stellung“, sagte Robinson und zog Karl näher zu sich, um ihm ins Ohr flüstern zu können, „sonst hätte ich mich augenblicklich nicht gerade zu beklagen. Die Brunelda hat ja wegen des Delamarche alles was sie hatte verkauft und ist mit allen ihren Reichtümern hierher in diese Vorstadtwohnung gezogen, damit sie sich ihm ganz widmen kann und damit sie niemand stört, übrigens war das auch der Wunsch des Delamarche.“

      „Und die Dienerschaft hat sie entlassen?“ fragte Karl.

      „Ganz richtig“, sagte Robinson. „Wo sollte man auch die Dienerschaft hier unterbringen? Diese Diener sind ja sehr anspruchsvolle Herren. Einmal hat Delamarche bei der Brunelda einen solchen Diener einfach mit Ohrfeigen aus dem Zimmer getrieben, da ist eine nach der andern geflogen, bis der Mann draußen war. Natürlich haben die andern Diener sich mit ihm vereinigt und vor der Tür Lärm gemacht, da ist Delamarche herausgekommen (ich war damals nicht Diener, sondern Hausfreund, aber doch war ich mit den Dienern beisammen) und hat gefragt: ‚Was wollt ihr?‘ Der älteste Diener, ein gewisser Isidor, hat daraufhin gesagt: ‚Sie haben mit uns nichts zu reden, unsere Herrin ist die gnädige Frau.‘ Wie Du wahrscheinlich merkst haben sie Brunelda sehr verehrt. Aber Brunelda ist ohne sich um sie zu kümmern, zu Delamarche gelaufen, sie war damals doch noch nicht so schwer wie jetzt, hat ihn vor allen umarmt, geküßt und ‚liebster Delamarche‘ genannt. ‚Und schick doch schon diese Affen weg‘, hat sie endlich gesagt. Affen – das sollten die Diener sein, stell Dir die Gesichter vor, die sie da machten. Dann hat die Brunelda die Hand des Delamarche zu ihrer Geldtasche hingezogen die sie am Gürtel trug, Delamarche hat hineingegriffen und also angefangen die Diener auszuzahlen, die Brunelda hat sich nur dadurch an der Auszahlung beteiligt, daß sie mit der offenen Geldtasche im Gürtel dabei gestanden ist. Delamarche mußte oft hineingreifen, denn er verteilte das Geld, ohne zu zählen und ohne die Forderungen zu prüfen. Schließlich sagte er: Da Ihr also mit mir nicht reden wollt, sage ich Euch nur im Namen Bruneldas ‚Packt Euch, aber sofort.‘ So sind sie entlassen worden, es gab dann noch einige Processe, Delamarche mußte sogar einmal zum Gericht, aber davon weiß ich nichts genaueres. Nur gleich nach dem Abschied der Diener hat Delamarche zur Brunelda gesagt: ‚Jetzt hast Du also keine Dienerschaft?‘ Sie hat gesagt: ‚Aber da ist ja Robinson.‘ Daraufhin hat Delamarche gesagt und hat mir dabei einen Schlag auf die Achsel gegeben: ‚Also gut, Du wirst unser Diener sein.‘ Und Brunelda hat mir dann auf die Wange geklopft, wenn sich die Gelegenheit findet, Roßmann, laß Dir auch einmal von ihr auf die Wangen klopfen, Du wirst staunen, wie schön das ist.“

      „Du bist also der Diener des Delamarche geworden?“ sagte Karl zusammenfassend.

      Robinson hörte das Bedauern aus der Frage heraus und antwortete: „Ich bin Diener, aber das bemerken nur wenige Leute. Du siehst, Du selbst wußtest es nicht, trotzdem Du doch schon ein Weilchen bei uns bist. Du hast ja gesehn, wie ich in der Nacht bei Euch im Hotel angezogen war. Das Feinste vom Feinen hatte ich an, gehn Diener so angezogen? Nur ist eben die Sache die, daß ich nicht oft weggehn darf, ich muß immer bei der Hand sein, in der Wirtschaft ist eben immer etwas zu tun. Eine Person ist eben zu wenig für die viele Arbeit. Wie Du vielleicht bemerkt hast, haben wir sehr viele Sachen im Zimmer herumstehn, was wir eben bei dem großen Auszug nicht verkaufen konnten, haben wir mitgenommen. Natürlich hätte man es wegschenken können, aber Brunelda schenkt nichts weg. Denk Dir nur, welche Arbeit es gegeben hat, diese Sachen die Treppe heraufzutragen.“

      „Robinson, Du hast das alles heraufgetragen?“ rief Karl.

      „Wer denn sonst?“ sagte Robinson. „Es war noch ein Hilfsarbeiter da, ein faules Luder, ich habe die meiste Arbeit allein machen müssen. Brunelda ist unten beim Wagen gestanden, Delamarche hat oben angeordnet, wohin die Sachen zu legen sind, und ich bin immerfort hin und hergelaufen. Es hat zwei Tage gedauert, sehr lange, nicht wahr? aber Du weißt ja gar nicht wie viel Sachen hier im Zimmer sind, alle Kästen sind voll und hinter den Kästen ist alles vollgestopft bis zur Decke hinauf. Wenn man ein paar Leute für den Transport aufgenommen hätte, wäre ja alles bald fertig gewesen, aber Brunelda wollte es niemandem außer mir anvertrauen. Das war ja sehr schön, aber ich habe damals meine Gesundheit für mein ganzes Leben verdorben und was habe ich denn sonst gehabt, als meine Gesundheit. Wenn ich mich nur ein wenig anstrenge sticht es mich hier und hier und hier. Glaubst Du, diese Jungen im Hotel, diese Grasfrösche – was sind sie denn sonst? – hätten mich jemals besiegen können, wenn ich gesund wäre. Aber was mir auch fehlen sollte, dem Delamarche und der Brunelda sage ich kein Wort, ich werde arbeiten, solange es gehn wird und bis es nicht mehr gehn wird, werde ich mich hinlegen und sterben und dann erst, zu spät, werden sie sehn, daß ich krank gewesen bin und trotzdem immerfort und immerfort weitergearbeitet und mich in ihren Diensten zu Tode gearbeitet habe. Ach Roßmann“, sagte er schließlich und trocknete die Augen an Karls Hemdärmel. Nach einem Weilchen sagte er: „Ist Dir denn nicht kalt, Du stehst da so im Hemd.“

      „Geh Robinson“, sagte Karl, „immerfort weinst Du. Ich glaube nicht, daß Du so krank bist. Du siehst ganz gesund aus, aber weil Du immerfort da auf dem Balkon liegst, hast Du Dir so verschiedenes ausgedacht. Du hast vielleicht manchmal einen Stich in der Brust, das habe ich auch, das hat jeder. Wenn alle Menschen wegen jeder Kleinigkeit so weinen wollten, wie Du, müßten da die Leute auf allen Balkonen weinen.“

      „Ich weiß es besser“, sagte Robinson und wischte nun die Augen mit dem Zipfel seiner Decke. „Der Student der nebenan bei der Vermieterin wohnt die auch für uns kochte, hat mir letzthin als ich das Eßgeschirr zurückbrachte gesagt: ‚Hören Sie einmal Robinson, sind Sie nicht krank?‘ Mir ist verboten mit den Leuten zu reden und so habe ich nur das Geschirr hingelegt und wollte weggehn. Da ist er zu mir gegangen und hat gesagt: ‚Hören Sie Mann, treiben Sie die Sache nicht zum Äußersten, Sie sind krank.‘ ‚Ja also ich bitte, was soll ich denn machen‘, habe ich gefragt. ‚Das ist Ihre Sache‘, hat er gesagt und hat sich umgedreht. Die andern dort bei Tisch haben gelacht, wir haben ja hier überall Feinde und so bin ich lieber weggegangen.“

      „Also Leuten, die Dich zum Narren halten, glaubst Du, und Leuten, die es mit Dir gut meinen, glaubst Du nicht.“

      „Aber ich muß doch wissen, wie mir ist“, fuhr Robinson auf, kehrte aber gleich wieder zum Weinen zurück.

      „Du weißt eben nicht, was Dir fehlt, Du solltest irgend eine ordentliche Arbeit für Dich suchen, statt hier den Diener des Delamarche zu machen. Denn soweit ich nach Deinen Erzählungen und nach dem, was ich selbst gesehen habe, urteilen kann, ist das hier kein Dienst, sondern eine Sklaverei. Das kann kein Mensch ertragen, das glaube ich Dir. Du aber denkst, weil Du der Freund des Delamarche bist, darfst Du ihn nicht verlassen. Das ist falsch, wenn er nicht einsieht, was für ein elendes Leben Du führst, so hast Du ihm gegenüber nicht die geringsten Verpflichtungen mehr.“

      „Du glaubst also wirklich, Roßmann, daß ich mich wieder erholen werde, wenn ich das Dienen hier aufgebe.“

      „Gewiß“, sagte Karl.

      „Gewiß?“ fragte nochmals Robinson.

      „Ganz gewiß“, sagte Karl lächelnd.

      „Dann könnte