Als Perry Rhodan sich gerade zurückziehen wollte, entdeckte ihn der Emotionaut.
»Perry!«, rief der Junge. »Warte!« Er fasste Raye an der Hand, und sie liefen Rhodan hinterher. »Ich verstehe deine Besorgnis. Nicht Einzelschicksale zählen, sondern die Freiheit und das Glück an sich. Wir haben uns eben verabschiedet. Raye hat ihre Pflichten zu erfüllen, und ich die meinen. Aber ganz egal, was geschieht, wir werden einander wiedersehen, das wissen wir beide.«
Sein Arm lag um Rayes Taille, und als er sie erneut an sich zog und seine Lippen sanft ihre Wange berührten, schimmerte es feucht in den Augen der Tefroderin.
»Die Sterne leuchten auch am Tag, nur musst du sie mit dem Herzen sehen, nicht mit den Augen«, sagte die junge Ärztin betont. »Das ist wohl eine der schönsten Textzeilen Lasky Batys. Schon jetzt ist es ein geflügeltes Wort meiner Heimat. Selbst wenn Andromeda im Chaos versinkt, unsere Wege werden sich ein weiteres Mal kreuzen. Weil wir es so wollen.«
Kapitel 6
Bordzeit Spürkreuzer JOURNEE, 21. März 1312 NGZ
Die Entfernung war nahezu unbedeutend. 2915 Lichtjahre bis zu Chemtenz, ein Katzensprung für ein modernes Überlicht-Triebwerk.
Im Rumpf der JOURNEE klaffte eine Lücke. In der nun leeren Modulbucht war während des Fluges von der Milchstraße nach Andromeda das neue Grigoroff-Zusatztriebwerk verankert gewesen. Es hatte dem Kugelraumer eine erstaunliche Geschwindigkeit verliehen: 200 Millionen Mal schneller als das Licht. Doch beim Flug durch die rätselhafte Zeitbarriere war das Zusatztriebwerk irreparabel beschädigt worden.
Der Metagrav erlaubte dem Kreuzer immer noch einen Überlichtfaktor von bis zu 90 Millionen. Das bedeutete für den Flug von Ka-Tygo nach Chemtenz eine Zeit von 17,02 Minuten, Beschleunigungs- und Bremsmanöver nicht einberechnet. Auch das war ein Wert, den längst nicht jedes Raumschiff erreichte.
»Rücksturz in zwei Minuten«, verkündete die Kommandantin. »Alarmzustand bis zur Landung auf Chemtenz.«
Archivdaten des Kraltmock-Systems wurden eingeblendet. Zehn Planeten umliefen die gelbe Sonne im der Milchstraße zugewandten Außenbereich des Andromedanebels. Chemtenz, die dritte Welt, hatte einen Äquatorialdurchmesser von knapp über 12.000 Kilometern, wies mittlere Temperaturen von beachtlichen 31 Grad Celsius auf und verfügte demzufolge über ein von subtropischer Vegetation geprägtes Klima. Diese Welt war ein Paradies mit hoher Luftfeuchtigkeit, überwältigend schönen und naturbelassenen Stränden ... und ein Symbol des Friedens für ganz Andromeda.
Die Hyperraum-Etappe der JOURNEE endete zwischen den Umlaufbahnen der beiden äußeren Planeten. Rhodan rechnete mit Scanimpulsen, die den Spürkreuzer trafen, mit Hyperfunksprüchen, die ihn zur Identifizierung aufforderten. Doch beides blieb aus. Der Einflug in ein unbesiedeltes Sonnensystem wäre kaum anders gewesen.
»Sich tot zu stellen, um nicht aufzufallen, scheint derzeit die am häufigsten praktizierte Methode in Andromeda«, bemerkte Vorua Zaruk hinter dem Waffenleitstand.
Der Hyperphysiker Bi Natham Sariocc wandte sich der umweltangepassten Epsalerin zu. Scheinbar gedankenverloren hatte er die Arme vor der Brust verschränkt, und sein Gesicht blieb so ausdruckslos wie zuvor. »Es ist Buddhas Anliegen, den Menschen die Augen zu öffnen und ihnen die Wahrheit zu zeigen.«
»Was meinst du, Bi Natham?«, fragte die Epsalerin plump.
»Er spricht davon, dass wir zu spät gekommen sein könnten«, antwortete Perry Rhodan.
Die Anspannung wurde fast körperlich spürbar. Chemtenz war die letzte Hoffnung auf einen Kontakt zur Milchstraße, zwar nur vage und gegen alle Vernunft, aber immerhin eine Aussicht. Falls Chemtenz nicht mehr existierte, lief die Invasion gezielter ab, als alle bislang angenommen hatten.
Mit Höchstwerten drang die JOURNEE tiefer ins Kraltmock-System ein. Natürlich spürte Zim November unter der SERT-Haube die Bedrohung. Falls Kastuns im Ortungsschutz lauerten, musste der Spürkreuzer innerhalb kürzester Frist in den Überlichtflug gehen können.
»Keine Energieortung«, meldete Cita Aringa. »Weder im interplanetaren Raum noch auf einem der Planeten.«
Die JOURNEE erreichte halbe Lichtgeschwindigkeit und beschleunigte weiter.
Träge tropften die Sekunden dahin. Jede einzelne nährte die Gewissheit, dass die Botschaftswelt den Invasoren zum Opfer gefallen war. Die Fremden überzogen Andromeda mit einem Netz aus Leid und Tod.
Nach zehn Minuten war Perry Rhodan sich seiner Sache sicher und aktivierte den Hyperkom.
»Terranischer Spürkreuzer JOURNEE ruft Chemtenz. Botschafter Ivanauskas, hier spricht Perry Rhodan. Warum reagiert niemand auf unseren Einflug?«
Keine Antwort.
»Perry Rhodan ruft Chemtenz! Meldet euch!«
»Nichts«, stellte Aringa fest. »Nicht einmal ein lausiges Echo kommt zurück.«
Eine kurze Überlichtetappe brachte den Spürkreuzer näher ans Ziel. Es gab kaum noch Zweifel daran, dass die Invasoren das Kraltmock-System heimgesucht hatten. Die absolute Stille auf den Hyperfrequenzen war unheimlich.
»Perry«, meldete sich Tess Qumisha überraschend, »es gibt Anzeichen für eine Raumschlacht während der letzten Tage. Ich habe die Normalortungen mit speziellen Parametern abgefragt und finde deutliche Schwankungen in der Partikelverteilung. Zudem existiert ein hyperenergetischer Nachhall.«
Rhodan runzelte die Stirn, was die Hyperphysikerin zu einer weiteren Erklärung veranlasste. Tess wirkte müde und abgespannt, ein Eindruck, der indes vielleicht auch nur ihrem verwischten Augen-Make-up zuzuschreiben war.
»Die Intervallkanonen erzeugen gebündelte Hyperfelder, die mit ihrer mechanischen Wirkung jedes bekannte Material zertrümmern. Im Ziel fokussiert sich die Bündelung und erzeugt einen fünfdimensionalen, kinetischen Effekt.«
»Als würde jemand einen Stein in einen Teich werfen«, warf Rhodan ein.
Tess Qumisha zog die Brauen hoch. »Laienhaft ausgedrückt«, bestätigte sie. »Die dichtere Materieverteilung im solaren Bereich gegenüber dem interstellaren Raum ermöglicht es, den Effekt über längere Zeit hinweg anzumessen.«
»Dass Kastuns die Botschaftswelt attackiert haben, erkennen wir auch ohne hochwissenschaftliche Nachweise«, seufzte die Kommandantin. »Ich fürchte, wir werden nicht mehr viel vorfinden ...«
»Wracks!«, platzte die Plophoserin an der Ortung heraus. »Sie tauchen soeben aus dem Ortungsschatten des vierten Planeten auf. Stark elliptische Umlaufbahn, Entfernung knapp zweihunderttausend Kilometer. In spätestens vier Tagen werden die Trümmer in die Atmosphäre eintreten und verglühen.«
»Spezifikation!«, verlangte Rhodan.
»Die größten Brocken liegen im Bereich von zehn Kubikmetern. Das kann so ziemlich alles gewesen sein.«
Innerhalb weniger Minuten wurden die Ortungsergebnisse detailliert. Dichte und Struktur der Wrackteile entsprachen den im terranischen Raumschiffsbau verwendeten Materialien. Der Trümmerschwarm zeigte zwei markante Zentren, die Überreste größerer Raumschiffe. Die Hochrechnung ergab, dass beide Raumer einen Durchmesser von mindestens 150 Metern gehabt hatten.
»Auf Chemtenz waren zumeist drei Zweihundert-Meter-Kreuzer stationiert«, bemerkte die Kommandantin.
»Von denen also möglicherweise einer entkommen konnte«, folgerte Perry Rhodan. »Ich vermute, die Besatzung hat Kurs auf die Milchstraße genommen.«
Coa Sebastian nickte bedächtig. »Inzwischen wurden sie wohl um ihre Hoffnungen betrogen.«
»Gibt es Anzeichen für Überlebende?«
»Keine.«
Der Terranische Resident