»Ich lasse dir jede Wahl«, antwortete Karram. »Vor allem aber die der Vernunft. Dein Weg ist falsch, Dakk. Du musst ihn aufgeben und umkehren.«
Raidoke lächelte schwach. »Wenn die Informationen, die wir auf Canos gewonnen haben, richtig sind, liegt hinter diesem Schott eine komplett ausgerüstete funktionsfähige Raumschiffswerft. Also genau das, was wir im Moment am dringendsten brauchen. Und ich werde dieses Schott öffnen und die Werft für die Schohaaken in Besitz nehmen.«
Karram ließ den Blick über die Ruinenstadt gleiten, in der sie sich getroffen hatten. Von manchen Gebäuden waren nur eine oder zwei Außenwände erhalten geblieben, von anderen einige wenige Stahlträger. Stein wie Metall war geschwärzt, fast verkohlt, von der gleichen Farbe wie die fettigen, rußigen Wolken, die den Himmel bedeckten. Das Schott selbst war riesig, nahm fast ein Viertel des Berghangs ein, an dessen Fuß die Stadt errichtet worden war.
Mit einer Bewegung der Zunge aktivierte Karram die Ortungssysteme seines leichten Einsatzanzugs. Sie durchdrangen die geschlossene Wolkendecke und bestätigten, was er bereits wusste: Hunderte von Raumschiffen standen über Foberkjor, dieser versengten, geschundenen Welt. Dakk Raidoke und er hatten sich hier zu einer Friedenskonferenz getroffen, aber jeder einzelne Schohaake an Bord dieser Walzen wusste, was geschehen würde, falls sie scheiterte.
Dann würden die Waffen sprechen.
»Du willst diese Werft für dich in Besitz nehmen, Dakk«, sagte er. »Du willst in ihr Schlachtschiffe bauen, die du dann gegen unsere Brüder einsetzen wirst.«
»Gegen unsere Brüder?« Raidoke schüttelte den Kopf. »Wir ziehen nicht gegen unsere Brüder zu Felde. Wir kämpfen nicht gegen Schohaaken. Aber wir müssen herausfinden, was es mit dieser geheimnisvollen Anlage auf sich hat. Um unser Volk vor dem Schicksal zu bewahren, das sich so deutlich abzeichnet, dass nur ein Narr es nicht sehen würde. Ein Narr wie du.«
»ARCHETIM hat keinen Unterschied gemacht zwischen Schohaaken und anderen Bewohnern Phariske-Erigons. Für ARCHETIM waren alle gleich. ARCHETIM hat die Schmetterblüter geschickt, um uns allen den Frieden zu bringen.«
»ARCHETIM ist nicht mehr, Karram. ARCHETIM wird nie wieder Schmetterblüter ausschicken. Wir haben versucht, nach ARCHETIMS Tod Phariske-Erigon in ein Reich der Schohaaken zu überführen. In ein Reich des Friedens, wie er es für uns alle vorgesehen hat. Doch die Völker von Phariske-Erigon scheinen nur auf ARCHETIMS Ende gewartet zu haben. Wir haben versucht, unsere Galaxis in ARCHETIMS Sinn zu verwalten. Wir treten für den Frieden in unserer großen Heimat ein, doch wenn Neid und Missgunst die anderen Völker von Phariske-Erigon dazu treiben, ohne Grund gegen uns vorzugehen, müssen wir uns unserer Haut wehren. Ohne uns wird Phariske-Erigon ins Chaos stürzen, und das Blutvergießen wird kein Ende nehmen.«
Karram lachte leise auf. »Was maßen wir uns an? Wir waren stets ein Volk unter vielen, haben uns aber nie als Herren von Phariske-Erigon gesehen.«
»Wir waren ARCHETIMS erwähltes Volk«, widersprach Raidoke. »Wir hatten eine privilegierte Position, weil wir im Sinne ARCHETIMS gewirkt haben. Doch nun ist das Reich der Schohaaken in Bedrängnis geraten. Die Völker, die unter ARCHETIM in Frieden gelebt haben, lehnen sich gegen uns auf. Als hätten sie vergessen, was ARCHETIM für sie getan, was er ihnen geschenkt hat. Als neideten sie uns, dass es auf ARCHETIMS Geheiß wir waren, die den Frieden aufrechterhalten haben. Und wenn wir nichts unternehmen, werden sie sich früher oder später selbst zerfleischen. Und nicht nur die Völker, die mit uns unter ARCHETIM in Frieden gelebt haben. Seit seinem Tod treten immer wieder neue Spezies auf die kosmische Bühne, entwickeln die überlichtschnelle Raumfahrt, bilden Koalitionen gegen die alteingesessene Ordnung, vergrößern das Chaos, das uns sowieso schon hinwegzuspülen droht.«
Plötzlich klang Raidokes Stimme beschlagen, unglaublich traurig. »Als hätte die Evolution nur darauf gewartet, dass ARCHETIM abtritt, um umwälzende Veränderungen vorzunehmen und alles umzustoßen, was seit Jahrtausenden seine Richtigkeit und Ordnung gehabt hat.«
Verzweifelt lauschte Karram auf Meldungen seiner Anzugsysteme, doch sie blieben aus. Noch hatten sie keine Lücke in Raidokes Panzerung gefunden.
»Vielleicht hat es so seine Richtigkeit«, sagte er. »Vielleicht muss es so sein. Vielleicht muss eine neue Ordnung die alte ersetzen.«
Sein Gegenüber schüttelte traurig den Kopf. »Und du sprichst von Frieden, Karram? Falls es so kommen sollte, wird Phariske-Erigon in einem Meer von Blut ertrinken. In wenigen Jahrtausenden wird dann niemand mehr von den Schohaaken wissen und auch nicht von ARCHETIM. Wir müssen den Frieden durchsetzen, wie ARCHETIM ihn durchgesetzt hat.«
»Wir müssen den Frieden mit Überzeugungskraft, logischen Argumenten und Vernunft durchsetzen«, erwiderte Karram, »aber nicht mit Waffengewalt.«
»Oder mit Schmetterblütern?«
Karram schwieg. Und noch immer kam keine Meldung der Anzugsysteme.
»Wir Schohaaken sind schwach geworden«, fuhr Raidoke fort. »Wir haben keine Kraft mehr und auch keine Überzeugungskraft. Unseren logischen Argumenten setzt man den Gebrauch von Waffen entgegen, und die Vernunft ist rar geworden in Phariske-Erigon. Vielleicht ist es das, was ARCHETIM uns hinterlassen hat: die Fähigkeit, vernünftig für den Frieden einzutreten. Und meine Vernunft sagt mir, wenn wir dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten, bevor es zu spät ist, wird sie uns in jenem Meer von Blut davonspülen.«
»Du sprichst allen anderen Spezies unserer Großen Heimat jegliche Vernunft ab«, sagte Karram.
»Ja«, gestand Raidoke traurig ein.
»Du siehst uns nicht mehr als Erste unter Gleichen, sondern als Macht, die den Frieden mit Gewalt durchsetzen will.«
»Ja«, sagte Raidoke.
»Du maßt dir an, über das Schicksal von Phariske-Erigon bestimmen zu wollen.«
»Ja.«
Verdammt, dachte Karram, es ist sinnlos. Er lässt sich nicht vom Weg der Gewalt abbringen. Und wenn es mir nicht gelingt, seine Schwachstelle zu finden und ein Zeichen zu setzen, werden die Schohaaken in zwei Generationen die Herren von Phariske-Erigon sein und alle anderen Völker unterdrücken und zwingen, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Hat ARCHETIM das gewollt?
»Du wirst dieses Schott nicht öffnen und die Werft nicht betreten«, sagte er.
»Diese Werft war schon einmal Anlass für einen fürchterlichen Krieg«, sagte Raidoke beschwörend. »Hier auf Foberkjor haben Schohaaken gegen aufstrebende Völker von Phariske-Erigon gekämpft. Diese Werft war der Grund dafür, dass wir Schohaaken gegen die Rebellen, wie wir sie nennen, gnadenlos vorgegangen sind und zum ersten Mal seit Jahrtausenden Phariske-Erigon mit einem schrecklichen Krieg überzogen haben. Foberkjor wurde dabei gnadenlos verwüstet. Sieh dir den Planeten doch an! Soll er nicht Mahnung für die Zukunft sein?«
»Eine stolze Zivilisation wurde vernichtet, nur damit wir bei den aufstrebenden Rassen ein Exempel statuieren konnten. Foberkjor war ein wichtiger Stützpunkt des SYSTEMS ...«
»Das SYSTEM existiert nicht mehr. Genauso wenig wie ARCHETIM. Auch wenn die Pilger, die ihn bei seinem Sonnengrab besuchen, etwas anderes behaupten. Wir müssen uns an die neuen Zeiten, Gegebenheiten und Zwänge anpassen. Ich reiche dir die Hand in Freundschaft. Ich bitte dich, nimm sie an und bestimme mit mir das zukünftige Schicksal der Schohaaken und unserer Großen Heimat. Unsere Ressourcen sind verbraucht. Wir benötigen diese Werft, um neue Schiffe bauen zu können. Schiffe, die die anderen Völker von Phariske-Erigon davon abhalten werden, über die Schohaaken herzufallen und sie zur Bedeutungslosigkeit zu reduzieren. Denn sobald niemand mehr auf uns hört, werden wir untergehen.«
»Du wirst diese Werft nicht betreten«, sagte Karram. »Du wirst hier keine Raumschiffe für deinen Krieg bauen. Mamor Ir'kham ist den wenigen, die noch von ihm wissen, Lehre genug! Wir wollen keinen zweiten Dunklen Feldherrn haben!«
»Dein Entschluss ist unumstößlich?«
Karram suchte verzweifelt