Magantilliken wollte den See umrunden, als er auf eine Bewegung aufmerksam wurde.
»Wer bist du?«, schrie der hochgewachsene Vargane.
Im gleichen Augenblick blitzte es drüben grell auf. Magantilliken ließ sich fallen. Keine Sekunde zu früh, denn ein Schwall heißer Luft nahm ihm für wenige Augenblicke den Atem. Hinter ihm zerschmolz der Ufersand zu einer glasigen Masse.
Der Fremde wollte mich töten, durchzuckte es den Henker. Aber warum?
Magantilliken kroch nach rechts unter eine weit ausladende Luftwurzel. Als er sicher war, dass ihn die Schatten deckten, wagte er einen Blick zum anderen Ufer hinüber.
Der Fremde stand hinter einem Pflanzenvorhang. Er war nur als Schemen zu erkennen. In der lässig herabhängenden Rechten hielt er einen Strahler. Einen Stabstrahler, durchfuhr es Magantilliken siedendheiß. Der Fremde ist also ein Vargane wie ich.
Hätte Magantilliken in diesem Augenblick die Erinnerung an sich und seine Vergangenheit besessen, so wäre er sofort in die Rolle des gnadenlosen Jägers geschlüpft. Als varganischer Henker durfte er keinen anderen Varganen in diesem Universum zurücklassen.
So aber rang Magantilliken mit sich selbst. Sollte er weiter in der Defensive bleiben, oder sollte er den Fremden angreifen?
Es herrschte atemlose Stille.
Magantilliken entschloss sich dazu, den Fremden anzugreifen. Er langte nach seinem Strahler. Er kam jedoch nicht zum Schuss. Drüben bewegten sich die Blätter, dann knackte das Unterholz.
Er wechselt den Standort, dachte Magantilliken. Langsam streckte er den Arm mitsamt dem Stabstrahler aus, stützte ihn mit der Linken ab und wollte den Auslöser drücken, als ihm eine fremde Hand die Waffe aus der Schussposition riss.
Magantilliken wirbelte herum. In seinen Augen stand Zorn, dann aber entspannte er sich.
Vor ihm stand eine wunderschöne Frau. Sie starrte ihn lächelnd an und sagte leise:
»Du darfst ihn nicht töten. Das würde Unglück bringen.«
Sie hatte in einwandfreiem Varganisch zu ihm gesprochen.
Er fühlte eine schreckliche Leere in sich. Davon konnte ihn auch nicht die Anwesenheit jener bezaubernden Varganin ablenken.
Ihre Augen blickten ihn groß und traurig an.
»Begleite mich!«
»Wohin sollen wir gehen? Ich habe keine Ahnung, wo ich mich befinde. Verrate mir endlich, wo wir sind!«
Sie lächelte ihm beruhigend zu.
»Das ist unsere Welt. Sie gehört dir. Du wirst sie mit mir teilen.«
Magantilliken wollte aufbrausen. Das erklärte ihm überhaupt nichts. Aber er hielt es für taktisch unklug, sie jetzt schon zu verärgern. Noch war er auf ihre Hilfe angewiesen.
Außerdem war da noch der unheimliche Gegner, der womöglich im Wald auf eine günstige Gelegenheit wartete, um ihn zu eliminieren. Warum hatte ihn die Frau überhaupt daran gehindert, den Fremden zu erschießen?
»Ich darf keine Gewaltakte zulassen«, erklärte sie ihm. »Das würde nicht nur dein Leben gefährden, sondern diese Welt in Gefahr bringen. Ich muss über beides wachen – über dich und über diese Welt.«
»Wie heißt du?«, fragte Magantilliken und schaute sie dabei durchdringend an.
»Dialogpartner.«
»Dialogpartner?«
Magantilliken glaubte in diesem Augenblick, diesen merkwürdigen Begriff schon einmal gehört zu haben. Aber wann und wo, das konnte er sich beim besten Willen nicht sagen.
Sein »Dialogpartner« war nach varganischen Maßstäben die perfekte Schönheit. Er ertappte sich dabei, wie er sie begierig anstarrte. Sie trug die goldenen Haare schulterlang. Bis auf ein Armbandinstrument war sie unbekleidet. Ihre Haut schimmerte in einem satten Bronzeton.
»Ich werde dich in unserer Welt umherführen. Als dein Dialogpartner bin ich dazu verpflichtet, dir alles zu zeigen.«
Sie ging voraus und umrundete das Seeufer.
Magantilliken wollte unbedingt wissen, ob außer ihm und der Frau noch andere Varganen in der Nähe waren. Der Fremde konnte jederzeit wieder auftauchen und ihn angreifen.
Sein Dialogpartner winkte ihm zu.
»Komm doch! Hier ist genügend Platz für uns.«
»Wirklich?«, rief Magantilliken der hübschen Frau provozierend zu. »Und wo steckt der Fremde, der mich vorhin erledigen wollte?«
Sie machte eine beruhigende Geste. »Du hast nichts zu befürchten.«
Damit gab sich Magantilliken nicht zufrieden.
»Wie heißt der Kerl? Seinen Namen ... aber schnell!«
»Du hast nichts zu befürchten«, wiederholte die Frau. »Du kannst mir vertrauen. Dir droht keine Gefahr mehr, wenn du alles tust, was ich dir rate.«
Magantilliken wollte sich dem »Dialogpartner« nicht ausliefern.
»Hat er dich geschickt?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Nein ... du darfst nicht misstrauisch sein. Wenn ich eure Auseinandersetzung verhindern will, tue ich es zum Wohl dieser Welt.«
Vor ihnen öffnete sich eine breite Schneise. Die Bäume standen dicht an dicht. Ihr Blätterdach ließ keinen Lichtstrahl durch. Sie schritten im düsteren Halbdunkel einem unbekannten Ziel entgegen.
Die Varganin hatte Magantillikens Hand ergriffen. Sachte lenkte sie seine Schritte in eine andere Richtung. Er merkte es zu spät. Unwillig machte er sich frei und schrie sie an:
»Was fällt dir ein? Willst du mir diese Welt zeigen, oder willst du mich in eine Falle locken?«
Als er den Pflanzenvorhang mit beiden Händen beiseite schob, stellte sie sich ihm in den Weg. Ihre Augen blitzten. Sie drängte ihn zurück. Er hatte gerade einen Blick auf die angrenzende Lichtung werfen können. Was er dort erblickte, ließ ihn nach der Waffe greifen.
Auf einem sechseckigen Metallgebilde ruhte ein Körper.
Der Fremde, kam es ihm in den Sinn.
»Folge mir! Du darfst nicht zu ihm gehen.«
Die Konturen des Fremden erinnerten ihn an jemanden. Aber auch hier versagte ihm sein Erinnerungsvermögen den Dienst.
»Er schläft! Sein Körper wurde mit einem Umhang bedeckt ... wie bei einem Toten.«
Sie zerrte ihn von der Lichtung weg.
»Dreh dich nicht um! Schnell, komm sofort mit mir!«
Er schüttelte unwillig mit dem Kopf.
»Nein. Du sagst mir sofort, wer dort liegt.«
Sie drängte ihn weiter von der Lichtung ab. Sie wollte ihn mit aller Kraft daran hindern, den Fremden zum Kampf zu fordern.
»Er wird dich töten! Er ist der Kämpfer, der dich vernichten wird.«
Magantilliken zog seinen Stabstrahler.
»Nein, das darfst du nicht tun!«
Ihre Stimme war schrill geworden. Sie stellte sich zwischen ihn und die finstere Lichtung. Sie streckte beide Arme aus, um ihn gewaltsam am Vordringen zu hindern. Es machte ihr anscheinend auch nichts aus, dass Magantilliken den Strahler schussbereit in der Rechten hielt.
»Aus dem Weg!«
Er stieß sie beiseite und wunderte sich, mit welcher Standfestigkeit sie seinen Stoß parierte.
Er wollte gerade den Rand der düsteren Lichtung überschreiten, als