Wir steuerten jetzt nordwestlich am Rande des Eises entlang. Vögel verschiedener Art, die wir beobachteten, deuteten auf Landnähe. Ein Zug Schnepfen oder Stelzvögel begegnete uns, folgte uns eine Zeit lang und flog dann nach Süden davon. Sicherlich kamen die Vögel von einem Land im Norden. Wir sahen nichts. Hartnäckig lagerte der Nebel über dem Eis. Am nächsten Tag war es klarer, doch immer noch kein Land in Sicht. Wir standen jetzt eine gute Strecke nördlich von der Stelle, auf die Baron von Toll auf der Karte die Südküste von Sannikoff-Land verlegt hat. Wahrscheinlich ist jenes Land also nur eine kleine Insel und jedenfalls kann es sich nicht weit nach Norden ausdehnen.
Am 21. September hatten wir dichten Nebel. Wir segelten nordwärts bis zum oberen Ende einer Bai im Eis, kamen nicht weiter und beschlossen, hier klares Wetter abzuwarten. Nach meiner Berechnung waren wir jetzt auf etwa 78°30’ n.Br. Im Laufe des Tages loteten wir mehrmals, erreichten aber mit 400 Meter Leine den Grund nicht!
Heute entdecke ich, dass Wanzen an Bord sind. Sehr angenehm! Wir müssen den Kampf gegen sie aufnehmen.
Freitag, 22. September. Wieder heller Sonnenschein und glänzend weißes Eis voraus. Zuerst lagen wir im Nebel still, weil wir keinen Weg sahen; jetzt ist es klar, aber wir sind nicht klüger geworden. Es sieht aus, als ob wir uns an der nördlichen Grenze des offenen Wassers befinden. Nach Westen scheint das Eis sich wieder südwärts auszudehnen. Nach Norden ist es fest und weiß und zeigt nur hier und dort kleine, offene Rinnen oder einen Teich und der Himmel ist überall am Horizont bläulich weiß.
Wir sind von Osten her gekommen, haben dort aber nur wenig gesehen; da wir nichts Besseres zu tun haben, werden wir einen Ausflug nach jener Richtung machen und Öffnungen im Eise suchen. Wenn wir viel Zeit hätten, würde ich gern ostwärts bis nach der Sannikoff-Insel gehen oder noch lieber den ganzen Weg nach Bennet-Land zurücklegen, um dort die Eisverhältnisse zu prüfen. Dazu ist es aber jetzt zu spät. Das Meer wird bald zufrieren und wir würden Gefahr laufen an einer ungünstigen Stelle einzufrieren.
Früher hielten es arktische Forscher für nötig, sich in der Nähe einer Küste zu halten. Gerade das aber wollte ich vermeiden. Ich wollte vielmehr in die Drift des Eises gelangen, und was ich am meisten fürchtete, war die Fesselung der »Fram« durch Land. Geschah dies, so würden wir weit schlechter fahren, als wenn wir uns dort, wo wir waren, dem Eis überließen, vor allem, da unser Ausflug nach Osten bewiesen hatte, dass wir bald wieder südwärts gedrängt werden würden, wenn wir der Eiskante in jener Richtung folgten. Wir machten daher vorläufig das Schiff an einem großen Eisblock fest und bereiteten uns vor, den Kessel zu reinigen und Kohlen zu trimmen.
Wir liegen in offenem Wasser mit nur wenigen großen Schollen hier und dort, aber ich habe das Gefühl, als ob dies unser Winterhafen sein wird.
Heute großer Wanzenkrieg. Wir richten den dicken Dampfschlauch auf Matratzen, Sofakissen und alles, was unserer Meinung nach die Feinde beherbergen könnte. Alle Kleidungsstücke werden in ein Fass getan, das mit Ausnahme der Stelle, an der der Schlauch hineingeleitet ist, fest verschlossen wird. Dann wird Volldampf angesetzt. Im Innern zischt und pfeift es, ein wenig Dampf dringt durch die Fugen und unserer Meinung nach muss es recht hübsch heiß für die Tiere sein. Aber plötzlich explodiert das Fass und der Dampf entweicht. Noch hoffe ich, dass es ein großes Abschlachten war. Es sind schreckliche Feinde.
Sonnabend, 23. September. Wir liegen noch an derselben Stelle vertäut und trimmen Kohlen. Ein unangenehmer Gegensatz – alles an Bord, auch die Menschen und die Hunde, ist schwarz und schmutzig, und rundherum erglänzt alles weiß im schönsten Sonnenschein. Viel Eis treibt herein.
Sonntag, 24. September. Noch immer beim Kohlentrimmen. Morgens Nebel. Im Laufe des Tages klart es auf. Wir entdecken dabei, dass wir auf allen Seiten von ziemlich dickem Eis dicht umlagert sind. Zwischen den Schollen liegt Schlammeis, das fester und fester wird. Von der Tonne aus erkennen wir mit dem Fernrohr noch das Meer jenseits des Eises im Süden. Ich glaube, »man« will uns einschließen! Nun, wir müssen selbst das Eis willkommen heißen.
Eine tote Gegend hier; nirgends ein Anzeichen von Leben außer einer einzigen Robbe (Phoca foetida) im Wasser; auf der Scholle neben uns sieht man eine alte Fährte von einem Eisbären. Wieder loten wir, kommen aber nicht bis zum Grund: Merkwürdig, dass das Meer hier so tief ist!
Man kann sich kaum eine schmutzigere Arbeit denken als Kohlentrimmen. Bedauerlich, dass ein so nützlicher Stoff wie die Steinkohle so schwarz sein muss! Wir tun weiter nichts, als die Kohlen aus dem Raum hissen und die Bunker damit auffüllen. Jeder Mann an Bord muss dabei helfen und alles ist voll Schmutz.
Die einen stehen auf dem Kohlenhaufen im Raum und füllen die Eimer und die andern hissen sie auf. Jacobsen eignet sich für das Hissen besonders gut; mit seinen kräftigen Armen zieht er Eimer auf Eimer herauf, als ob es Zündholzschachteln wären. Die Übrigen gehen mit den Eimern zwischen der großen Luke und dem Halbdeck hin und her und schütten die Kohlen in die Bunker und unten steht Amundsen, schwarz wie ein Neger, und verstaut sie. Selbstverständlich fliegt der Kohlenstaub über das ganze Deck; die Hunde verkriechen sich, schwarz und zerzaust, in die Ecken. Einiges Vergnügen schafft uns der gräuliche Anblick unserer Gesichter mit der dunklen Farbe, den schwarzen Streifen an den unwahrscheinlichsten Stellen und den durch den Schmutz hindurchschimmernden Augen und weißen Zähnen. Wer mit seiner Hand zufällig die weißen Wände in der Kajüte berührt, hinterlässt einen schwarzen, fünffingrigen Abdruck. Die Türen sind im Überfluss damit gesegnet. Die Sitzkissen auf den Sofas werden mit der unteren Seite nach oben gedreht, weil sie sonst dauernde Spuren eines anderen Körperteils tragen würden, und das Tischtuch – nun, glücklicherweise besitzen wir ein solches Ding nicht.
Kurz, das Kohlentrimmen ist das schmutzigste, jämmerlichste Geschäft, das man sich in dieser hellen und reinen Umgebung denken kann. Ein Gutes ist dabei, dass man reichlich frisches Wasser hat, sich zu waschen; man findet es in jeder Aushöhlung auf den Schollen und so hoffen wir, mit der Zeit doch wieder sauber zu werden; wir hoffen ferner, dass dies unser letztes Kohlentrimmen ist.
Montag, 25. September. Fester und immer fester eingefroren! Prächtiges, stilles Wetter; in der letzten Nacht 25°C Kälte. Jetzt kommt der Winter.
DIE WINTERNACHT
Es sah wirklich aus, als ob wir jetzt endgültig eingefroren waren, und ich erwartete nicht, dass die »Fram« eher aus dem Eis wieder herauskam, als bis wir auf der anderen Seite des Pols waren und uns dem Atlantischen Ozean näherten. Der Herbst war schon ziemlich weit vorgeschritten, die Sonne stand von Tag zu Tag niedriger am Himmel und die Temperatur fiel stetig.
Die lange Winternacht kam heran – die gefürchtete Nacht. Uns blieb nichts zu tun übrig, als uns auf sie vorzubereiten, und so verwandelten wir das Schiff, so gut wir konnten, in ein behagliches Winterquartier. Gleichzeitig trafen wir alle Maßregeln, uns gegen die Kälte, das Treibeis und sonstige Naturkräfte zu sichern, denen wir, wie uns prophezeit war, unterliegen müssten.
Wir holten das Steuerruder in die Höhe, um zu verhindern, dass es durch die Eispressungen zermalmt würde. Das Gleiche wollten wir auch mit der Schraube tun, allein da sie mit ihrer eisernen Umkleidung sicher das Achterende des Schiffs und besonders den Ruderpfosten verstärkte, so ließen wir sie an ihrer Stelle.
Auch mit der Maschine hatten wir viel Arbeit; jeder einzelne Teil wurde herausgenommen, geölt und für den Winter weggelegt; Schieber, Kolben und Wellen wurden untersucht und gründlich gereinigt. Amundsen sorgte für die Maschine, als ob sie sein eigenes Kind wäre; spät und früh war er unten und wir pflegten ihn zu necken, nur um ihn sagen zu hören: »Ihr könnt meinetwegen reden, aber es gibt keine zweite solche Maschine