Der Solfatarakrater oberhalb der Bucht von Pozzuoli
Im letzten Drittel des 20. Jh. hatten bradiseismische Erdbewegungen (→ Link) das historische Zentrum zerstört und unbewohnbar gemacht. Zwar sind die Restaurierungsarbeiten inzwischen abgeschlossen, die Gebäude jedoch gleichen unbeseelten Kulissen − die Rückeroberung durch die Bewohner lässt noch auf sich warten. Geführte Touren durch die Gebäudekeller geben − wie bei San Lorenzo Maggiore in der Altstadt von Neapel − Einblicke in die Bausubstanz in vorchristlicher Zeit.
Zwischen Hafen und Rione Terra liegt das kompakt strukturierte Geschäftszentrum mit seinen verkehrsberuhigten Gassen rund um die gastliche Piazza della Repubblica. Jede Menge Geschäfte und Straßencafés sind auf kurzen Wegen erreichbar und v. a. am Abend erstaunlich belebt. Jenseits des Rione Terra säumt die Küstenlinie Richtung Neapel der gepflegte Lungomare Pertini und lädt zum entspannten Bummel ein.
Die übrigen Attraktionen, allen voran das Amphitheater und der Solfatara-Krater, liegen außerhalb des Zentrums und sind zu Fuß oder mit Bus bzw. Vorortbahn erreichbar. Ähnliches gilt auch für den Lago d’Averno und den Monte Nuovo zwischen Pozzuoli und Baia. Letztgenannte Ziele lohnen auch deshalb einen Abstecher, weil sie sich mit kürzeren oder längeren Spaziergängen verbinden lassen − eine der wenigen Optionen an der ausufernd besiedelten Küste.
Geschichte
Griechische Flüchtlinge aus Samos waren im 5. Jh. v. Chr. die ersten historisch verbürgten Siedler auf dem fast uneinnehmbar wirkenden Altstadthügel. 194 v. Chr. wurde die Griechenstadt namens Dikaiarcheia („Gerechte Regierung“) zur römischen Kolonie Puteoli („Kleiner Brunnen“). Griechen wie Römer lockte der natürlich geschützte Hafen, über den in der Folge das für Rom bestimmte Getreide umgeschlagen wurde. Die Nähe zu Capua und zur Via Appia trugen ebenfalls dazu bei, dass Pozzuoli zum bedeutendsten römischen Stützpunkt am Golf von Neapel aufstieg. Angeblich ließ der Kaiser Caligula 39 n. Chr. eine Schiffsbrücke bis in die Nachbarstadt Baia errichten und ritt, geschmückt mit dem Panzer Alexanders des Großen, zu Pferd „über das Wasser“ − er wollte somit den Folgen einer unheilvollen Prophezeiung entgehen. Bereits früh etablierten sich in Pozzuoli eine jüdische und christliche Gemeinde, und keinesfalls zufällig machte 60 n. Chr. Apostel Paulus auf dem Weg nach Rom in der Hafenstadt Station. Nach dem Zerfall des Römischen Reichs konnte die Stadt nicht mehr an ihre ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen. Im 15. Jh. zerstörten Erdbeben die Bausubstanz auf dem Altstadthügel. Mitte des 16. Jh. wurde nach Dekret des Vizekönigs von Neapel die Rione Terra mit Residenzen für den kirchlichen und weltlichen Adel runderneuert. Die frühneuzeitlichen Paläste wurden jedoch allesamt Opfer der bradiseismischen Katastrophe in den 1980er-Jahren − seitdem ist der Altstadthügel unbewohnt.
Der römische Marktplatz von Pozzuoli
Sehenswertes
Macellum (Serapis-Tempel): Die einige Meter unterhalb des Straßenniveaus in der Nähe des Hafens gelegene archäologische Stätte kann selbst nicht betreten werden, ist jedoch von drei Seiten aus gut einsehbar. Es handelt sich um die Überreste eines römischen Marktplatzes aus dem 1./2. Jh. n. Chr. Die kreisförmige Empore mit den Säulenresten wurde lange Zeit etwas vorschnell als Serapis-Tempel (Tempio di Serapide) bezeichnet, da man hier 1750 eine Statue des ägyptisch-hellenistischen Gottes fand. Vulkanologen dienten die antiken Säulen als präziser metrischer Index zur Messung bradiseismischer Hebungs- und Senkungsbewegungen (→ Link).
Rione Terra: Der wuchtige Altstadthügel ist seit dem 5. Jh. v. Chr. besiedelt und beherbergt zahlreiche Relikte aus zurückliegenden Epochen. Als Geologen 1970 bradiseismische Erdbewegungen ankündigten, wurde die zum damaligen Zeitpunkt ziemlich verwahrloste Altstadt zwangsevakuiert und seit den 1990er-Jahren in mühseliger Detailarbeit wieder hergestellt. Zum Zeitpunkt der letzten Recherche 2019 präsentierte sich der Rione Terra zwar zur Gänze wiederhergestellt, aber noch menschenleer. Zukünftig soll hier ein Touristenquartier mit Gästehäusern und Restaurants entstehen. Sehenswert ist auch die Kathedrale aus der Zeit der spanischen Herrschaft (→ unten). Zu empfehlen sind darüber hinaus geführte Rundgänge durch die Kellergeschosse. Sie enthüllen beträchtliche Überreste aus römischer Zeit: Fundamente von Handwerksbetrieben und Geschäften sowie den Verlauf der Straßen in der Antike. Dieses „Pompeji unter Tage“ wurde bei Aufräumarbeiten in den 1990er-Jahren wiederentdeckt und für die Nachwelt konserviert.
♦ Zugang: Am besten vom Infobüro (→ Link) aus zu Fuß über den gepflasterten Viadukt.
♦ Information/Führungen: Sa/So 9−17 Uhr, Führungen auf Englisch um 9 und 15 Uhr. Dauer: 1 Std. 5 €, erm. 2,50 €. Eine Reservierung (telefonisch, im Internet oder am gleichen Tag im Infopoint am Eingang zum Rione Terra) wird empfohlen. Tel. 081-19936286, www.rioneterrapozzuoli.com.
Anfiteatro Flavio: Abenteuerspielplatz der Antike
Kathedrale: Die Basilika auf der Spitze des Altstadthügels wurde ebenfalls ein Opfer des Bradisismus (→ Link) und war deshalb ein halbes Jahrhundert lang nicht zugänglich. Erst 2014 öffnete sie ihre Tore wieder für Gottesdienste und Besucher. Heute präsentiert sich die Hauptkirche des Rione Terra stilistisch kunterbunt: Moderne Bauelemente mit viel Stahl und Glas kontrastieren mit Marmor, Stuck und Deckenfresken aus barocker Zeit. Hinzu kommen die Reste des römischen Augustustempels, in der Hauptsache Säulen, die in den beiden Seitenwänden als tragende Stützen mit eingearbeitet sind. 1946 wurde das alte Dach der Barockkirche bei einem Brand schwer beschädigt und wurde komplett ersetzt. Das Museo Diocesano nebenan präsentiert die Kirchenschätze.
♦ Kirche: Sa 9.30−13 und 15−19.30 Uhr, So 9.30−13 und 15−18.30 Uhr. Im Aug. So geschlossen, in der Karwoche Sa/So ebenfalls zu.
♦ Museum: Sa 9−13 und 15−19 Uhr, So 10−13 Uhr. 5 €, erm. 3 €.
Anfiteatro Flavio: Die größere von ursprünglich einmal zwei Arenen in der römischen Hafenstadt Puteoli fasste etwa 20.000 Zuschauer. Der elliptische Bau ist in der Mitte ca. 75 m lang und bis zu 43 m breit. Aus Platzgründen − die gab es offensichtlich bereits in der Antike − lag dieses Vergnügungszentrum nicht im Stadtzentrum, wie es von der Logistik her eigentlich geboten gewesen wäre, sondern außerhalb auf der Anhöhe. Der Bau aus dem 1. Jh. n. Chr. wurde in wesentlichen Teilen in der Mitte des 19. Jh. freigelegt, wobei die Ausgrabungsarbeiten erst kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Abschluss kamen. Am interessantesten sind die unterirdischen Gänge, die komplett begehbar sind. Überall liegen Säulenreste und Kapitelle herum − ein Abenteuerspielplatz für Altertumsinteressierte!
♦ Tägl. außer Di 9 Uhr bis 1 Std. vor Sonnenuntergang. 4 €, erm. 2 €. Kombiticket mit Museum und Ausgrabungsstätte Baia und Cuma (gültig an 2 aufeinanderfolgenden Tagen) 8 €, erm. 4 €. Via Terracciano 75 (5 Min. zu Fuß von der Metrohaltestelle in Richtung Stadtzentrum), www.pafleg.it.
Pech und Schwefel