„Wie heißt der Besitzer doch gleich?“, fragte Horst Bachmann.
„Lichtner. Albert Lichtner.“
„Ach ja. Frag ihn doch mal, ob er uns die Hütte nicht verkaufen möchte.“
Claus schüttelte den Kopf. „Aussichtslos. Er gibt sie nicht her. Sie ist so etwas wie ein Denkmal für ihn. Erinnert ihn an seine verstorbene Frau. Er wird sie niemals hergeben, wird sie behalten, solange er lebt.“
„Schade. Wenn es da so schön gemütlich ist, wäre es nicht schlecht gewesen, wenn die Hütte uns gehört hätte.“
„Wir können sie jederzeit benutzen“, sagte Claus.
„Ja, aber wenn sie uns gehören würde, wäre mir das lieber. Dann brauchtet ihr Herrn Lichtner nicht erst immer um die Schlüssel zu bitten, wenn ihr Lust habt, in die Berge zu fahren.“
„Das finde ich nicht schlimm.“
Sie schwiegen eine Weile, und Horst Bachmann sah seinen Schwiegersohn immer wieder prüfend an. Claus Praetorius wusste, welche Frage den Bankier beschäftigte. Bachmann hätte zu gern gewusst, ob in den Bergen alles „glatt gegangen“ war. Dem Banker war der sehnlichste Wunsch seiner Töchter bekannt.
Solange Petra und ihr Mann die Nächte in seinem Haus verbrachten, befanden sie sich irgendwie in seinem Einflussbereich, und Claus würde es nicht wagen, schwach zu werden und dem beharrlichen Drängen seiner Frau nachzugeben.
Aber wenn sie außer Haus schliefen, wurde Horst Bachmann stets unruhig, denn je mehr Kilometer sie von daheim entfernt waren, desto dünner wurde der Einfluss, den Bachmann auf seinen Schwiegersohn hatte.
Wenn Petra ihren Mann ganz für sich allein hatte, konnte sie ihn besser präparieren, und das konnte zur Folge haben, dass es ihr eines Nachts gelang, seinen Widerstand zu brechen. Sie war ja so schrecklich unvernünftig!
„Mein Junge“, sagte Horst Bachmann schließlich mit leiser, belegter Stimme, „es ist dort in den Bergen doch hoffentlich nichts geschehen, dessentwegen ich mir große Sorgen machen müsste?“
„Nein, Papa“, antwortete Claus und schaute seinem Schwiegervater dabei offen und ehrlich in die Augen.
Der Bankier atmete erleichterte auf. „Bist ein guter Junge. Ich bin sehr froh, dass ich mich auf dich verlassen kann. Komm, trink aus. Es wird langsam auch für uns Zeit, zu Bett zu gehen.“
10
Marie-Luise Flanitzer, die jüngere Helferin Dr. Kaysers, war zwar verheiratet, aber kinderlos. Die sehr feminine junge Frau stellte ein echtes Gegenstück zu ihrer Kollegin Gudrun Giesecke dar.
„Also, ick weeß nich’, Chef“, beschwerte sich die korpulente Sprechstundenhilfe bei Dr. Kayser über ihre Kollegin. „Irjendwie steht die jute Marie-Luise heute völlig neben sich. Herr Wejener soll de Schulter bestrahlt kriejen, sie will ihm dat Kreuz bestrahlen. Frau Sawatzkis Verband soll erneuert werden, sie will se strecken. Frau Kalvoda is’ wejen ’ner jalvanischen Behandlung da, sie will ihr ’n Blutdruck messen. Det Mädchen is total von die Rolle, und wenn ick wat sage, heult se jleich los. Können Sie nich’ mal mit ihr – so unter vier Aujen – palavern?“
„Natürlich“, sagte Sven Kayser. „Wo ist sie denn?“
„Nebenan.“ Gudrun Giesecke zeigte auf die Verbindungstür.
„Ist sie allein?“
„Im Momente ja.“
Dr. Kayser stand auf und suchte den benachbarten Raum auf. Als er die Tür schloss, zuckte die junge Frau unwillkürlich zusammen, so, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. Sie senkte den Blick und wollte an Sven vorbeieilen, um den nächsten Patienten hereinzurufen, doch der Grünwalder Arzt sagte: „Einen Augenblick, Marie-Luise.“
Sie blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. „Ja, Chef?“
„Ist Ihnen nicht gut, Marie-Luise?“
„Wieso?“ Sie sah ihn kurz an, schaute aber gleich wieder weg.
„Haben Sie Kummer?“
Zorn blitzte in Marie-Luises Augen. „Hat Schwester Gudrun sich über mich beschwert?“
„Sie macht sich Sorgen um Sie.“
„Das braucht sie nicht. Mit mir ist alles in Ordnung“, behauptete Marie-Luise,
„Sie waren bisher stets eine sehr zuverlässige Kraft, und plötzlich machen Sie an einem Tag mehr Fehler als all die Jahre, die Sie schon bei mir sind. Da stimmt doch irgend etwas nicht“, sagte Sven Kayser.
Da platzte es aus der jungen Arzthelferin heraus: „Es ist wegen meinem Mann, Herr Doktor. Er – ist da in so gewisse Kreise geraten ... Sie fahren von Fußballmatch zu Fußballmatch ... Karlsruhe, Hannover, Kiel, Rostock, Leipzig, Dresden! Jedes Wochenende sind sie woanders. Freitags geht es weg, und Sonntagabend kommen sie grölend und mit schwerer Schlagseite nach Hause. Und wenn ich meinen Mann bitte, diese – Ausflüge doch ein wenig einzuschränken und nicht so viel zu trinken, brüllt er mich an, ich hätte kein Recht, ihn einzusperren und dürfe ihm dieses harmlose Vergnügen nicht verbieten. Er hat sich völlig verändert, und das macht mir Angst.“
„Möchten Sie, dass ich mal mit ihm rede?“, fragte Sven Kayser. „Wenn durch seine Schuld der Praxisbetrieb nicht mehr richtig läuft, handle ich im Sinne unserer Patienten, wenn ich ihn mir vornehme.“
„Ich hätte nichts dagegen“, antwortete Marie-Luise Flanitzer, „aber es ist nicht möglich, mit ihm zu reden.“
„Wieso nicht?“
„Er ist vom letzten Wochenendtrip noch nicht nach Hause gekommen.“
„Es ist Montag“, wandte Sven Kayser ein.
„Mein Mann wird festgehalten.“
„Wo?“, fragte Dr. Kayser überrascht.
„In Hamburg.“
„Von wem?
„Von der Polizei“, antwortete Schwester Marie-Luise mit dünner Stimme. Sie schämte sich für ihren Mann.
„Hat er etwas angestellt?“, fragte Sven.
„Er sagt Nein. Ich habe kurz mit ihm telefoniert. Er hat mich heute morgen angerufen.“
„Warum hält man ihn fest, wenn er nichts angestellt hat?“, fragte der Grünwalder Arzt.
„Der Sachverhalt ist noch nicht restlos geklärt. Irgend jemand hat im Stadion einigen Schaden angerichtet, und die Schuldigen sind noch nicht gefunden.“
„Wann wird Ihr Mann voraussichtlich heimkommen?“, wollte Sven wissen.
„In ein paar Stunden – wenn er Glück hat.“
„Gehen Sie nach Hause, Marie-Luise“, sagte Sven Kayser. „Das wird am Besten sein.“
Die Arzthelferin sah ihn erschrocken an. „Aber – aber ich kann doch nicht ... Ich werde hier doch gebraucht ...“