DIE GRENZEN DER DIGITALISIERUNG SIND DIE CHANCEN DES SERVICE
Zu den von der Digitalisierung besonders betroffenen Bereichen gehört nach Meinung der Forscher paradoxerweise ausgerechnet die Service-Industrie oder das, was allgemein als „Dienstleistungssektor“ bezeichnet wird. Einige Studien sehen hier längerfristig eine Digitalisierungsquote von über 50 Prozent der Arbeitsplätze. Ob man sich diesen Spekulationen an diesem Punkt anschließen möchte oder nicht, ist eine Glaubensfrage. So oder so lautet auch hier die Antwort: Service. Nicht aus Romantik oder aus Verzweiflung schreibe ich das, sondern aus Überzeugung:
Denn sie beziehen sich immer auf das Was, auf das Produkt oder die Dienstleistung an sich. Das Potenzial der menschlichen Begegnung, des Bedürfnisses des Menschen nach sozialem Kontakt ist dagegen unbegrenzt. Denn hier geht es um das Wie, und das Wie kennt keine Grenzen. Das Wie erlaubt einem Unternehmen, sich immer wieder neu zu erfinden und es immer wieder anders zu machen als der Mitbewerber. Und noch etwas kann Service, das keine andere Digitalisie-rungsstrategie kann: Service ist das Spielfeld der Exzellenz.
Mit Service können sich Unternehmen nicht nur abgrenzen, sondern auch nach oben absetzen. Momentan liegt der Schwerpunkt aller Debatten einseitig auf der Digitalisierung als eierlegender Wollmilchsau. Doch Digitalisierung hat in Bezug auf die Kundenorientierung einen entscheidenden Nachteil: Sie beruht letztlich immer auf Algorithmen. Und bei Algorithmen geht es immer darum, eine Regel aus Normwerten abzuleiten. Algorithmen wollen immer gleichmachen. Für das, was bei jeder Kundenbegegnung wirklich zählt – Neugier, Emotion, Kreativität, Empathie und vor allem Herzlichkeit –, gibt es nun einmal keine App. Algorithmen sind vernagelt.
Genau das, was Unternehmen heute nicht sein dürfen. Und deshalb ist eine unreflektierte Digitalisierungseuphorie kein Allheil- und schon gar kein Wundermittel, sondern eine Gefahr. Digitalisierung ist gut und richtig, aber nicht ohne Service. Wer A sagt, muss auch B sagen – oder für immer schweigen.
Digitalisierungslemminge sind vom Aussterben bedroht.
In manchen Unternehmensbereichen und für manche Einsatzzwecke ist die Digitalisierung ein Segen. Die Digitalisierung kann uns sogar helfen, den Service an bestimmten Schnittstellen noch individueller zu gestalten. Dazu später mehr. Eins kann man ohne jede Kaffeesatzleserei schon heute vorhersagen: Der Service der Zukunft wird eine Mischform aus digitalen und analogen Lösungen sein. Die digitalen Optionen stehen jedem offen. Jeder kann sie auf die gleiche Weise bedienen – und kopieren. Die analogen Optionen nicht. Ihr Konkurrent kann Ihre Digitalstrategie kopieren – Normen und Standards verbreiten sich schnell. Ihre Mitarbeiter, deren Haltung und ihre Interaktion mit Menschen klonen kann er nicht. Und was zu Ihnen und Ihrer Marke passt, wird nie und nimmer genauso gut zu seiner Marke passen. Service hat den großen Vorteil, enorm individuell zu sein. Nicht nur im Sinne der Kundenorientierung, sondern auch in der Ausführung. Denn, und jetzt kommt noch ein Satz, der sinngebend für dieses Buch ist:
Und als solche in Zeiten der digitalen Standards wertvoller als je zuvor. Denn sie, und nur sie, machen jenen Service jenseits der Norm.
DIE MAGIE DES EINZELFALLS
Und genau das ist das Thema dieses Buches: Service, der mehr erfüllt als seinen Zweck. Es geht mir um Service, der sein volles Potenzial ausschöpft und seine volle emotionale Wirkung erzielt: für das Unternehmen, für die Menschen, die ihn gestalten, und für die Kunden. Von welcher Seite ein Teller angereicht wird und nach welchem Standard Kunden am Telefon begrüßt werden, ist nicht Gegenstand dieses Buches. Die Standards werden anderswo hervorragend beschrieben und variieren von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen. Hier dreht sich alles um die Magie des Einzelfalls. Um die Individualität jeder einzelnen Interaktion, in der die universelle Macht der Kundenbegeisterung steckt. Um flexible, anwendbare Strategien und praktische Lösungsideen.
Nicht um die Regel, sondern um die Haltung. Nicht um die Technik, sondern um die Idee. Nicht um die Weisungsbefugnis, sondern um die Gestaltungsmacht der Führung. Nicht um die Stellenbeschreibung als Mitarbeiter, sondern um ihre Rolle als Menschen und nicht um die Pflicht, sondern um die Freiheit, den Kunden zu begeistern.
Nicht um graue Theorie oder spekulative Kopfgeburten soll es gehen, sondern um den Service, den wir täglich machen. Sie und ich. Analog und digital. Von Menschen, mit Menschen, für Menschen. Vom Verkäufer, der Staubsauger verkauft und mit Amazon im Wettbewerb steht, über den Rezeptionisten, der Gäste betreut und dabei gegen Roboter antritt bis hin zum produzierenden Unternehmer, der mit physischen Produkten allein seinen Umsatz nicht mehr halten kann, und dem Automobilbauer, der sein Geschäftsmodell über den Haufen werfen und zum Dienstleister werden muss. Es geht um die Realität im Service, wie sie heute ist, auf dem Weg zum Service, wie er morgen sein wird. Nicht übermorgen, aber auch nicht vorgestern – heute und morgen. Nicht mehr und nicht weniger.
SERVICE-WÜSTEN-BEGRÜNER
Wie jede Kunst verfolgt Service das Ziel, Menschen zu begeistern – oder sollte es tun. Und tut es viel zu oft eben nicht. Das ist ein Ansatz, mit dem wir jenseits aller Zukunftsmusik hier und heute schon sehr viel verändern und für unsere Zukunftsfähigkeit tun können. Diese Baustelle ist groß genug, tatsächlich, immer noch. Denn:
Das klingt unfreiwillig komisch und ist es auch. Schlechter Service ist noch immer nicht die Ausnahme. Und weil Service immer wichtiger für das Überleben von Unternehmen wird, ist das ein gewaltiges Problem – aber auch eine gewaltige Chance.
Service könnte in so vielen Unternehmen heute schon so viel mehr zum Erfolg beitragen, wenn das Thema ernster genommen würde. Hier spreche ich besonders die Führungsetagen an, aber auch die Mitarbeiter und Führungskräfte auf allen Ebenen mit ihren täglichen Möglichkeiten.
Was lassen wir für Chancen liegen! Es ist beängstigend. Jeder Kunde, der auch nur einmal hervorragenden Service erlebt hat und einigermaßen reflektiert durch die Welt spaziert, muss immer wieder verständnislos den Kopf schütteln darüber, wie blöd wir uns oft anstellen. Und ich sage ausdrücklich: wir! Auch ich finde immer wieder Ecken und Winkel und manchmal großflächige Schluchten in meinen Unternehmen, die nur so danach schreien, mit einer sinnvollen Service-Lösung geschlossen zu werden. Weil ich sie zuvor einfach nicht gesehen habe oder weil es diesen konkreten Bedarf vor Kurzem einfach noch nicht gab.
Manchmal sind es aufregende, hochtrabende Geniestreiche, die die Kundenerfahrung von Grund auf verändern. Doch viel öfter sind es die Kleinigkeiten, die einen großen Unterschied machen. Ihnen kommen wir auf die Spur, indem wir den Kunden frei nach Martin Luther quasi aufs Maul schauen – also wirklich hinsehen, hinhören, hinspüren. Wenn wir das tun, zapfen wir einen unerschöpflichen Quell von Ideen und Optimierungsmöglichkeiten an: der aufgeblasene, viel zu komplizierte, ressourcenverschwendende Prozess, aus dem endlich die Luft rausgelassen wird. Der kleine Gewinn an Schnelligkeit an der entscheidenden Stelle, der für den eiligen Kunden eine Wohltat ist. Die vorausschauende Aufmerksamkeit einer Service-Mitarbeiterin, die sich daran erinnert, dass dieser Kunde immer zuerst einen Cappuccino trinkt, und ihn gleich bei der Begrüßung bereithält. Der kleine Funken Menschlichkeit in einer durchgetakteten,