Eine häufige Aussage von Mentees in den ersten Feedback-Telefonaten ist: »Ich habe so ein Glück gehabt mit dem Matching! Wir passen optimal zueinander!« An dieser Stelle geben wir gerne noch einmal den Hinweis, dass das Matching nicht nach dem Zufallsprinzip stattgefunden hat, wir weder gewürfelt noch mit Dartpfeilen geworfen, sondern nach einer Vielzahl von Kriterien die jeweiligen Tandems zusammengestellt haben. Und häufig bekommen wir dann so tolle Aussagen wie die einer Mentee der Bremer Senatsverwaltung:9 »Nach fast einem Jahr Mentoring und vielen Gesprächen mit meinen Mit-Mentees habe ich den Eindruck, dass die Mentorin beziehungsweise der Mentor nicht allein der Schlüssel zum Erfolg ist, sondern tatsächlich das Kriterium für den Erfolg darstellt.«
Um dieses Potenzial entfalten zu können, braucht es eine(n) MentorIn, der/die zur Mentee »passt« – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Interessant ist aber die Frage, was mit »passen« überhaupt gemeint ist. Hierzu einige Gedanken einer von uns betreuten Mentee:
• Als Role-Model ist ein(e) MentorIn nur mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen geeignet: Ein »Über«-Vater oder eine »Über«-Mutter erscheint unglaubwürdig in der persönlichen Perfektion oder sorgt für den Eindruck der eigenen Unzulänglichkeit. Zudem: Wer möchte schon gerne bemutternd behandelt werden, wenn er selbst Interesse an einer Führungsaufgabe hat?
• Hilfreich scheint jemand zu sein, den/die ich als open-minded beschreiben möchte, also jemand, der/die tatsächlich an einem Austausch interessiert ist, der/die sich noch an eigene Erfahrungen zu Beginn seiner/ihrer Leitungsaufgaben erinnert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich hieraus oft eine diskurshafte Betrachtung von Situationen ergibt, die zu einem individuellen Lösungsvorschlag führen kann.
• Ich suche mir dann und wann »partielle Vorbilder«, das heißt Menschen, bei denen ich bestimmte Eigenschaften schätze und als nachahmenswert ansehe. Bei einer Leitungsaufgabe habe ich auch Bilder vor Augen. Mit meiner Mentorin habe ich jemanden kennengelernt, der für den Bereich der Leitungsaufgaben als »partielles Vorbild« geeignet ist. Zum Beispiel besitzt sie die Fähigkeit, die eigenen Leistungen zu hinterfragen und von mehreren Seiten zu beleuchten. Für mich ist dies eine sehr wertvolle Eigenschaft, für eine Führungsaufgabe scheint sie mir erstrebenswert zu sein.
Gesetz der Sympathie:
Wahrnehmungsfehler in der Personalentwicklung
Menschen nehmen selektiv wahr. Das, was gut zu den eigenen Erwartungen und Erfahrungen passt, wird eher registriert als etwas, was nicht in das gewohnte Bild passt. Das »Gesetz der Sympathie« besagt zum Beispiel, dass das Vertrauen in Personen größer ist, wenn sie uns sympathisch sind. Gleiches gilt für die angenommene Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Ohne jede faktische Begründung werden hier positive Eigenschaften vorausgesetzt. Bei diesem Gefühl handelt es sich um etwas, das nicht bewusst steuerbar ist, sich also außerhalb der rationalen Wahrnehmung befindet. Aus diesem Grund ist eine gezielte Änderung des Gefühls nur sehr bedingt möglich. Die Gründe für eine empfundene Sympathie (oder auch Antipathie) entziehen sich dem Bewusstsein und lassen sich nur eingeschränkt nachvollziehen.
Das menschliche Gehirn wäre schlichtweg überfordert, wenn bei jedem Eindruck, bei jedem persönlichen Kontakt das ganze »Programm« ablaufen müsste: Freund oder Feind? Fliehen oder Bleiben? Ganz abgesehen von den »Details« wie: Mann oder Frau? Bekannt oder unbekannt? Alt oder jung? Gepflegt oder ungepflegt? Diese Liste lässt sich fast beliebig fortsetzen. Bevor man in der Lage wäre, auch nur einen Menschen in dieser Ausführlichkeit zu erfassen, wäre viel zu viel Zeit vergangen. Das Gehirn hat sich hierfür etwas sehr Pragmatisches einfallen lassen: Es clustert, steckt alle Informationen, die es aufgenommen hat, in gemeinsame »Erfahrungsschubladen«. Dies ermöglicht einen Alltag, in dem nicht jeden Tag aufs Neue jeder noch so flüchtige Kontakt bewusst abgescannt werden muss. Der positive Effekt dieser Einordnung in verschiedene Kategorien ist, leichter mit der Komplexität von Eindrücken und Begegnungen umgehen zu können. Ein negativer Aspekt ist, dass diese unreflektierten Bewertungen über Stereotype zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen führen.
Auch dies ist prinzipiell gut nachvollziehbar: Stereotype Gruppen können zum Beispiel Frauen, Männer, Menschen mit Migrationshintergrund, Rentner oder Jugendliche sein. Diese Stereotype gelten also zunächst nur der Zuordnung bestimmter Personen zu einer Gruppe. Interessant wird es dann, wenn dieser Gruppe feste Eigenschaften zugewiesen werden, beispielweise:
• Frauen interessieren sich nicht für Technik.
• Männer sind grobmotorisch.
• Menschen mit Migrationshintergrund bleiben lieber für sich.
• Rentner gehen immer einkaufen, wenn Berufstätige an den Kassen stehen.
• Jugendliche sind respektlos Älteren gegenüber und nur mit ihrem Handy beschäftigt.
Diese Eigenschaften können richtig oder falsch, begründet oder unbegründet, positiv oder negativ sein. Sie helfen im Alltag, die Fülle von Informationen, mit denen jeder konfrontiert ist, zu bewältigen. Einzelne Personen werden als Mitglieder dieser Gruppe mit den dazugehörigen Eigenschaften wahrgenommen, nicht als Individuum.
Diesen Stereotypen folgend, entstehen unbewusst Vorurteile: Wenn Frauen sich nicht für Technik interessieren, sind sie auch für Berufe, in denen zum Beispiel technisches Verständnis nötig wäre, ungeeignet. Gleiches gilt für Männer, die den Stereotypen folgend etwa für Aufgaben, in denen Feinmotorik unabdingbar ist, nicht geeignet wären. Solche Vorurteile führen dazu, dass gleiches oder ähnliches Verhalten von Männern und Frauen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird. Was bei einem Mann als durchsetzungsstark und hartnäckig gilt, erscheint bei Frauen schnell als penetrant oder nervig. Und während eine Frau als sensibel gilt, wenn sie über ihre Gefühle spricht oder diese zeigt, wird ein Mann schnell zu einem nicht belastbaren Softie.10 Selbst wenn diesen Bewertungen häufig ein Fünkchen Wahrheit zugrunde liegt, können sie den individuellen Eigenarten eines Menschen nicht wirklich gerecht werden.
Im Extremfall kommt es so zu einer (mittelbaren) Diskriminierung bestimmter Gruppen, zum Beispiel dadurch, dass Frauen bei der Besetzung technischer Berufe oder Männer bei Berufen, für die scheinbar männeruntypische Eigenschaften vorausgesetzt werden, gar nicht berücksichtigt werden. Im Mentoring beziehungsweise für das Matching bedeutet das, dass viele Konstellationen von den Projektverantwortlichen gar nicht erst in Erwägung gezogen werden. Mentor X ist Experte für Controlling? Dann passt er nicht zu Mentee Y, deren Thema Work-Life-Balance ist. Dass Mentor X Elternzeit genommen hat oder das Thema Home-Office in seiner Abteilung vorbildlich gehandhabt wird, wird bei diesem ersten Eindruck übersehen. So begrenzen sich die Verantwortlichen selbst und schließen bestimmte Konstellationen von vornherein aus.
Bei der möglichen Option, dass sich Mentees und MentorInnen ihre TandempartnerInnen selbst suchen, spielt Sympathie eine sehr große Rolle. Ein Faktor für Sympathie ist Ähnlichkeit. Diese kann sich in verschiedenen Ausprägungen zeigen: Gleiche Interessen, Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verein, ähnliche Herkunft und/oder Bildung, Ideologien oder auch Übereinstimmungen im Aussehen führen dazu, dass wir uns zu einzelnen Personen hingezogen fühlen. Gibt es die Wahl zwischen einer Person, mit der Übereinstimmungen festgestellt werden, und einer anderen, bei der dies nicht der Fall ist oder die den eigenen Vorstellungen konträr entgegensteht, entscheidet »der Bauch« und wählt das, was bekannt und damit vertrauenswürdiger ist. Besteht diese Wahlmöglichkeit nicht, weil eine Person, wie zum Beispiel ein Mentor, bestimmt wurde, und besteht keine grundsätzliche Sympathie, wird es schwierig, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Sind sich zwei Personen aufgrund der genannten Umstände sympathisch, führt dies dazu, dass man sich kompromissbereiter verhält, Fehler toleranter bewertet