Indienfahrt. Waldemar Bonsels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Waldemar Bonsels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 4064066118037
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vom Wesen des Meers, das nicht wie die Erde verflucht scheint, und keinem Gericht, keiner Wiederkehr und keinem Wandel unterstellt ist.

      So hat auch das Meer keineswegs eine Verwandtschaft mit der Seele des Menschen, wie manche festgestellt haben, die weder das eine noch die andere kennen, und die nur deshalb, weil sie in der Seele etwas Bodenloses wittern, auf den Gedanken gekommen sind, sie wäre vielleicht so tief wie der Ozean in der Mitte. Das ist ein leichtfertiger Schluß, der schwer zu erweisen ist, die einzige Ähnlichkeit zwischen solchen Seelen und dem Meer ist die, daß man oft in beiden herumfischt, ohne etwas zu fangen. –

      Einmal fand ich am Strand einige große Meerschildkröten, die auf dem Rücken lagen und nach Wasser schnappten. Aus den Spuren nackter Füße, die sie wie ein in den Sand eingeprägter Lorbeerkranz umgaben, ließ sich leicht entnehmen, daß diese Tiere sich nicht freiwillig in solche Lage begeben hatten und daß sich ein menschlicher Zweck mit dieser Grausamkeit verband. Und richtig sah ich unter den Bäumen einen braunen Hinduknaben flüchten, dessen Respekt vor mir so groß war, daß er eine Palme bis an den Wipfel erklomm.

      Die Schildkröten waren in dieser Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit einem langsamen Tode in der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt, der um so qualvoller war, als sie nicht wie die Fische rasch sterben, wenn sie ihrem Element entrissen worden sind, sondern eine zähe Lebensdauer, auch auf dem Trockenen, beweisen. In der Tat war auch der Gesichtsausdruck einzelner von ihnen bereits sehr verstimmt, anderen hing der merkwürdig häßliche Kopf schon leblos nieder, an dem faltigen Hals, der mir wie ein welker, rissiger Schlauch erschien. Ich kehrte mit großer Mühe diejenigen um, die mir noch regsam genug für eine Fortsetzung ihres Daseins erschienen, aber sie taumelten wie betrunken hin und her und fanden das Wasser erst, als ich ihnen den Weg wies. Dort schwammen sie rasch und erregt hinaus und tauchten sobald als möglich unter, sichtlich im Zweifel darüber, ob dieser Vorgang eine Tatsache war, oder nur eine neue greuliche Vorstellung ihrer Fieberphantasien im Sonnentod.

      Später erfuhr ich, daß die Tiere von den Eingeborenen in diese Lage gebracht werden, damit sie sterben, denn sie können sich nicht aus eigenen Kräften wieder umkehren. Auf diese Weise gewinnen die Leute das sehr begehrte Schildpatt, ohne einen Eingriff in das Leben der Tiere vorzunehmen, was ihnen verboten ist und auch ihrer Überzeugung widerspricht. Die Tiere sterben auf diese Art durch den Willen der Gottheit und werden so nach Vorstellung der Hindus nicht von Menschen getötet; offenbar ersieht man aus der Tatsache, daß die Götter die Schildkröten nicht wieder umdrehen, ihren Beschluß, sie zum Nutzen der Menschheit sterben zu lassen.

      Übrigens hatte ich es mit jener Handwerkerkaste in Cannanore endgültig verdorben, denn eben jener Knabe, welcher mir Achtung erwies, hatte von seinem hohen Versteck aus meine Maßnahmen wahrgenommen und er nahm Anlaß, diese Neuigkeit in Cannanore zu verbreiten.

      Es gab am Strand vielerlei Krebse und allerhand kleines Meergesindel, mit dem ich mich einließ, auch Ratten kamen bisweilen die Bäche herab und erkundeten, ob das Meer Tote angeschwemmt oder ausgewühlt hatte. Eine bestimmte Kaste in Malabar begräbt ihre Pesttoten am Meer im Sand; zwar werden meist die Sandbänke und Inseln gewählt, aber häufig findet man auch die Spuren der Gräber an der Küste.

      Einmal machte ich die Bekanntschaft einer größeren Fliege, die nur einen Flügel hatte und den Rest ihres Lebens am Gestade zu verbringen schien. Ich beobachtete sie, während ich am Strand lag und rauchte. Sie suchte sich die Steine aus, die besonders rund, blank und heiß waren, und es schien, als bevorzugte sie die weißen. Wenn sie eine Weile auf einem solchen gesessen hatte, faßte sie einen anderen ins Auge und versuchte ihn mit einem sprungartigen Flug zu erreichen, aber sie landete jedesmal auf irgendeinem dritten, weil sich leider das Fehlen ihres einen Flügels beim Einhalten der Richtung bemerkbar machte.

      Jedesmal schaute sie anfänglich etwas verdutzt um sich, ergab sich aber dann ihrem merkwürdigen Schicksal, immer anderswo landen zu müssen, als sie gewollt hatte. Mit einem etwas bekümmerten, aber keineswegs gereizten Ausdruck orientierte sie sich über die ihr bestimmte Umgebung, schließlich schien die Sonne auch hier, und sie blieb sitzen, im heißen Licht, vor dem glitzernden Wasser.

      Ich faßte eine gewisse Neigung zu dieser flüchtigen Freundin meiner einsamen Stunden am Meeresstrand. So sehr viel besser ging es schließlich im Leben auch mir nicht, und im Grunde kam es uns beiden auf die Sonne an. Ich erzählte ihr, wie ich es mit dem Dasein hielt, aber da sie nicht auf mich achtete, warf ich mit kleinen Steinen nach ihr, die lustig über die runden Brüder ihrer Jahrtausende kollerten und vergnügt klirrten. Die meisten dieser Steine waren prächtig abgerundet, ich nahm einen von ihnen in die warme Hand und polierte ihn sorgenvoll. „Du bist noch nicht rund genug, mein Kleiner“, und ich warf ihn ins Meer zurück, damit ihn die Flut noch ein paar weitere tausend Jahre lang abschliffe. Es kam mir auf tausend Jahre nicht an, so wenig wie auf einen Tag. Aber vielleicht würde dieser Stein mich nicht vergessen, sicherlich war es ihm noch nicht geschehen, daß einer dieser vergänglichen Menschlein sich seiner annahm und plötzlich einen solchen Eingriff in seine gemächliche Entwicklung machte.

      Das Meer trug leichte und liebliche Gedanken in meinen Sinn, törichte und sinnvolle, aber niemals schwere. Seine Gaben waren Traum, Vergessen und Schlaf, sie stiegen mit der flimmernden, heißen Luft in unbekannte Regionen empor, und der flüchtige Seewind trug sie von dannen. Die Menschen meines verflossenen Lebens versanken in einem schimmernden All, in welchem ich wesenlos, wie sie selbst, dahintrieb, und auch die Liebe wurde zur Erinnerung.

      Nie aber, daß Langeweile oder Mißmut mich plagten, das Leben war ein makelloses Gefäß, angefüllt mit dem klaren alten Wein lieblicher Sinnenfreude und heiterer Daseinslust. Ich begriff die Menschen dieses Landes und dieser Sonne, die kein anderes Begehren zu bewegen schien, als das Dasein auf solche Art als seligen Bestand auszukosten und sich dem selbsttätigen Walten von Erstehen und Vergehen, den vergänglichen Glücksgütern der Erdenzeit gegenüber wahllos und zufrieden, ohne Bedenken, anheimzustellen. Was den Unedlen zu einem Anlaß anteillosen Verkommens wurde, das wurde im verwandten Geist den Edlen zu einer tiefen Offenbarung tatlosen Versinkens in einer hellseherischen Demut der Selbstbeschränkung.

      Zuweilen zollte ich am Strande dem Tode eine kleine Abschlagszahlung auf seine künftigen Rechte und schlief ein, aber die Stimme des Meerwassers ging mit mir in das dunkle, ruhige Land. Die Monotonie seiner frischen Stimme verwandelte sich in meinen Träumen in einen beredten Glanz von großer Mannigfaltigkeit, und ich erfuhr Wunder und Sagen vom Gang der Welt, die ein ganzes Buch füllen würden, aber etwas an der Weisheit des Meerwassers verhinderte mich daran, so törichte Pläne zu fassen. „Ich sage es allen,“ rief es gleichmütig, „warum willst du es tun? Niemand wird Dinge durch Menschen hören, die ihm die Natur nicht vertraut, und ihr, die ihr nicht einmal euch selbst versteht, wie wollt ihr mich, das Meer, in seinem heiligen Wesen erfassen?“ Als ich erwachte, sah ich im Abendglanz auf der Silberleiste der Meerflut groß und nah ein schwarzes Boot im roten Himmelsschein dahinfahren, das von vier Männern angetrieben wurde, die stehend ruderten, und die mir gleichfalls schwarz erschienen, weil das Licht hinter ihnen mich gelinde blendete.

      Vielleicht fuhren sie ins Weite hinaus, vielleicht kehrten sie heim, ich wußte es von ihnen so wenig wie von mir.

      Ein bedauernswertes Ereignis dieser Zeit, das den Wert meines Charakters in den Augen der Einwohner Cannanores ernstlich in Frage stellte, ist mir lebhaft im Gedächtnis geblieben. Von Jugend auf habe ich den Hang verspürt, Schmetterlinge und Käfer zu sammeln, es aber leider auf diesem Gebiet niemals zu Erfolgen gebracht, im Gegenteil begleitete mich stets ein spürbares Mißgeschick bei solchen Unternehmungen, und es lag nachweislich kein Segen darauf. Der prächtige Kasten mit einem Glasdeckel, den meine Eltern mir zur Förderung meiner lehrreichen Neigung schenkten, wurde bald zu einer Goldgrube billiger Ernährung für eine kleine, lausartige Sorte von Parasiten, die über meine gesammelten Insekten herfielen und sie verzehrten. Auf den Rat eines erfahrenen Schulfreundes hin erwarb ich das prächtige Schutzmittel, das Naphthalin genannt wird, aber die Parasiten fielen auch über das Naphthalin her, fraßen es auf und gediehen dabei zusehends. So sah ich die Resultate meiner Bemühungen zuschanden werden bis auf einen rötlichen Erdfloh, der hoch an einer rostigen Stecknadel hockte und kaum größer war, als ihr Knopf.

      Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn ich mir diese Erfahrungen meiner