Bis hin zum bitteren Ende.
Hausmusik
Am frühen Sonntagvormittag spazierten Fabian und ich am Fluss entlang. Er war ohne Sibil gekommen, was mich erstaunte, wusste ich doch inzwischen, dass Fabian ohne Sibil nichts machte, sie lebten eine Symbiose. Wusste sie vielleicht nichts von unserer Begegnung? Glaubte er erst einmal abklären zu müssen, ob wir tatsächlich wieder zueinanderfinden, auf einem Gleis in die gleiche Richtung fahren konnten? Darum war mir zunächst nicht ganz wohl. Spielte er ein Spiel? Konnte ich mich doch zu gut erinnern, dass ihn eine Inszenierung, und sei sie noch so unbedeutend, immer verlockte? Hatten wir noch die gleiche Wellenlänge wie früher? Mochte er noch meine schwarzen Ideen, die rücksichtslos auf das angestrebte Ziel losgingen? Ich ermahnte mich zur Vorsicht.
Auf dem Dammweg waren nur vereinzelt Jogger unterwegs, für Spaziergänger mit ihren Hunden war es noch zu zeitig. Silberne Birken, Mohn- und Kornblumen, eine farbige Sonne, wie von van Gogh gemalt, begleiteten uns. So konnten wir ungestört reden, Gedanken austauschen, in der Diskussion sogar mal laut werden, niemand war in der Nähe, keine Ohren waren irgendwo neugierig gespitzt.
Fabian machte den Anfang, zeichnete mir noch einmal in groben Zügen seine Vorstellungen, wie er sich seinen Wahlkampf für den OB-Sessel dachte, was er den Bürgern anbieten, ihnen versprechen konnte, ohne zu viel zu wagen, wie er auf seine Art den Gaukler geben wollte.
Schon bei seinen vielen Worten, die immer malerischer, also unwirklicher wurden, merkte ich, dass da etwas fehlte. Fehlte da mein Anteil, meine klare Deutlichkeit, die kein verschwommenes Wischiwaschi duldet? Der Mix zwischen Fantasie und Realität hatte uns in der Schulzeit nicht im Stich gelassen, hatte immer funktioniert.
Ich hatte die Stunden am Vorabend nicht in Kontemplation verbummelt, faul die Füße hochgelegt, sondern fleißig über Grundzüge eines Konzepts nachgedacht, in mich hineingehört, Ideen verknüpft. Vorstellungen puzzelten sich bald zu bunten Collagen. Sogar ein kurzes Memo hatte ich verfasst; es steckte zusammengefaltet in meiner Hosentasche.
Nachdem er mit seinem Vortrag zu Ende war, redete ich, bis wir den Kaskaden näher kamen, trat dabei nicht so sehr als ratgebender Freund, sondern vielmehr als selbstsicherer Dozent auf. Fabian hörte tatsächlich geduldig und aufmerksam zu.
Zurück am Parkplatz, er war mit dem Wagen da, ich mit dem Rad, stand unser vorläufiger Plan auf recht stabilen Füßen. Aber es war eben nur ein Plan, mehr noch nicht. Fabian versprach, mit Sibil zu reden, denke jedoch, dass sie zustimme, das Konzept sei einfach zu verlockend, zu gut, zudem für unsere Stadt so völlig neu, nehme andere, nicht ausgetretene Wege. Er umarmte mich, stieg in seinen dicken Wagen und rauschte davon.
In meinen vier Wänden, zur Musik von Elvis, beschäftigte ich mich mit dem Ausarbeiten, den wichtigen Feinheiten, unseres Wahlfeldzuges. Ich widerlegte dabei sogar die alte Regel, was du dir in der Nacht ausdenkst, tauge im Morgenlicht nicht mehr viel. Ich folgte der im Halbschlaf geborenen Idee, die Geschichte unserer Stadt näher zu studieren, pickte aus ihr die Rosinen heraus, die mir ins gedachte Konzept passten, ließ mich selbst von der Lyrik des bekannten Dichters unserer Stadt inspirieren. Aus meinem Datenspeicher im Kopf holte ich Schnipsel von damaligem Wissen, das jetzt gut zu gebrauchen war, schrieb sie auf. Jedenfalls: Die gelben Notizzettel an der Wand neben meinem Tisch wurden immer mehr, waren erst einmal ein Chaos, mussten sich erst zu einem runden Ganzen zusammenfügen.
Wir machten es, wie wir es zu Schulzeiten erfolgreich praktizierten, Fabian im Spot, ich als Nebelfigur nahebei, genauso wie von Anbeginn an. Wie früher auch war ich zufrieden mit meinem Platz im Hintergrund, wollte die Figur im Halblicht sein, am besten kaum oder gar nicht beachtet. Von dort waren die Möglichkeiten des Einflusses am wirkungsvollsten. Von diesem Platz konnte ich beobachten und sehen, wo die schwachen Stellen der anderen waren. Von dort aus sammelte ich die Munition, mit der wir in den Krieg zogen. Um das durchzuziehen, brauchte es einen blendenden Frontmann, und der war Fabian allemal.
Einmal im Monat, am zweiten Sonntag, wurde traditionell im feinen gelben Haus Musik gemacht, ein unbedingter Termin nicht nur für mich. Ich hatte nichts einzuwenden, war es doch eine entspannende Auszeit im hektischen Trubel. Dieser Event, wie ich die Stunde ironisch bei mir nannte, schenkte mir als Zugabe den anregenden optischen Genuss der Flöte spielenden Monika, daneben Sibil mit Geige, Fabian am Klavier, die Baronin am Cello, der Baron spielte die Gitarre. Das Publikum, der einzige Zuhörer und Zuschauer, war ich.
An einem dieser frühen Abende, nach der Musik, wollten Fabian und ich gerade zu einem Wahlkampfauftritt aufbrechen. Ich wartete im Flur, da trat Vater von Fernau, der Baron, aus dem Salon, blieb bei mir stehen, lächelte jovial, warf einen schnellen Blick nach oben, von wo Fabian jeden Moment kommen musste.
Ihm gefalle, was wir so treiben würden, sagte er, und ich hörte regelrecht das Schmunzeln heraus. Vor allem wenn wir das bunte Aquarium von Fabians Freunden als Helfer einsetzten, hätte das für einen wissenden Beobachter sogar etwas Witziges. Er wünsche uns viel Erfolg, zweifle aber daran, dass Fabian der Richtige für unsere Stadt sei. Wie er seinen Sohn einschätze, strebe er nach Höherem, da sei er sicher, Oberbürgermeister, was wäre das schon, das Endziel jedenfalls nicht.
Ich nahm seine Worte als einen Scherz, als eine elitäre, fast schon anmaßende Meinung des Barons. Ansonsten hätte ich mich fragen müssen, weshalb er so zu mir sprach. Für mich bedeutete es eine unwichtige Marginalie. Seine Worte nicht als das zu nehmen, nämlich als die Wahrheit, sollte sich als ein fataler Fehler erweisen. Schon damals hätte ich wissen können, wohin der Hase lief. Mir kamen aber keine Zweifel, vor mir lag ein Ziel, das mich lockte.
Meine Vorstellungen gingen in eine Richtung, zu der die Worte des Barons nicht passten. Ich hatte die Moral als ein wichtiges Thema auserkoren, nicht aus Prinzip, was sogar mich zum Lachen gereizt hätte, sondern darum, weil der Gegenkandidat einige dunkle Flecke auf der behaupteten weißen Weste hatte. Wie für Cato Karthago, so war die Moral das Mantra für Fabian als ein wichtiger Baustein in seinen Reden. Ich wusste nur zu gut, dass steter Tropfen den Stein höhlt, und das Wissen darum erweist sich im Verlauf einer Kampagne als ziemlich wirksam.
Auch die sozialen Medien werden wir ganz gezielt nutzen, versuchen, Kettenreaktionen in Gang zu setzen, Anhänger als Multiplikator zu gewinnen. Jedenfalls war unser Ziel, alle unsere Aktivitäten wie nebenbei, locker, unaufgeregt, glaubhaft ernsthaft, jung und verlockend für die Wähler erscheinen zu lassen. Verkrampfen im Laufe des Wahlkampfs durften sich die anderen, wir aber auf keinen Fall.
Nach dem Spaziergang am Fluss war bei unseren nächsten Treffen jedes Mal Sibil dabei. Fabians Frau unterstützte mit aller Macht die Ambitionen ihres Mannes, fügte wie mit leichter Hand interessante kompatible Einfälle in unser sich entwickelndes Konzept ein.
So folgten wir ihrer Idee, in der Weilachmühle draußen auf dem Land zu einem Fototermin einzuladen. Der Kandidat inmitten einer Herde friedlicher und munterer Alpakas. Die Tiere schienen Freude zu haben an dem vergnüglichen Spiel mit dem lachenden Mann. Tatsächlich: Die Bilder machten sich gut und Fabian wurde immer wieder darauf angesprochen und sammelte damit unschätzbare Punkte bei Menschen, die ihn ansonsten bestimmt nie gewählt hätten.
In den folgenden Wochen wurde ich wieder voll in den Rahmen der Familie von Fernau eingegliedert. In der knappen Zeit während des Endspurts des Wahlkampfes war ich mehr im gelben Haus als in meiner Wohnung.
Auf der Veranda lobte mich der Baron einmal in einem Nebensatz, meinte, ich sei offen und ehrlich, erscheine jedoch nicht naiv, was gute Charaktereigenschaften wären. Ich versuchte nicht einmal einzuschätzen, wie der Herr Anwalt sein Bonmot verstanden wissen wollte. Doch sie gefiel mir, diese angesprochene Spannung zwischen ehrlich und naiv. Aber er zeigte mir durch seine Bemerkung auch deutlich, dass er mich wohl lange kannte, aber in Wirklichkeit überhaupt nicht wusste, wer ich war. Gut zu wissen und zudem amüsierte es mich.
Die Suche nach mir
Auf dem schmalen Wanderweg in den Bergen der Insel bin ich seit der Ewigkeit einer gefühlten Stunde keinem Menschen mehr begegnet. An einem flachen Abschnitt bleibe ich für ein kurzes Verschnaufen stehen, blicke versonnen in die Weite. Noch ein Stück bergauf, am Gipfel, ich