Die fünf Waldstädte. Paul Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Keller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711517338
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      „Du leierst ja wieder dasselbe her!“ fuhr mir der Förster dazwischen. Ich sagte verlegen, es komme schon noch, hustete noch einmal lange und inbrünstig und sagte dann: „Liebes Eichhörnchen, du warst das allernützlichste Tier. Hoch auf der Eiche hast du dein Haus gehabt, und es hatte immer die Tür dort, wo kein Wind ging. Und, und im Winter hast du geschlafen. Und, und du konntest so fix turnen. Und du hattest einen schönen Schwanz und vier schöne, weisse Nagezähne. Amen.“

      Nun hustete der Förster, stützte sich auf seine Büchse und sprach:

      „Jetzt werde ich eine Leichenrede halten!“

      „Liebes Eichhörnchen, du warst also sozusagen das allerschönste und allernützlichste Tier. Wenn ein Vogelnest auf der Eiche war, dann bist du gleich fix angeturnt gekommen. Da hast du mit deinen niedlichen Pfoten die Eierchen genommen und hast sie ausgesoffen. Und dann, liebes Eichhörnchen, wenn kleine Vögelchen im Neste waren, dann hast du sie mit deinen schönen, weissen Nagezähnen zerbissen und gefressen. Wenn ein Baum im Frühjahr frische Sprossen trieb, hast du sie hübsch zierlich abgenagt, du liebes Eichhörnchen, du! Und darum ist ein ‚Wilddieb’ gekommen und hat dich tot geschossen, du Rabenvieh, du Kanaille! Und der Wilddieb war ich selbst, und ich habe das alles gemacht, um mal zwei Schafsköpfen eine Lehre zu geben. Amen.“

      Damit machte er Kehrt und stapfte davon.

      Heinrich und ich standen mit offenen Mäulern da. Ich fand zuerst die Sprache wieder und sagte: „Das ist eine Gemeinheit.“ Heinrich aber meinte: „Er hat was von zwei Schafsköpfen gesagt!“

      „Damit sind wir gemeint,“ sagte ich zornig. „Und er hat das Eichhörnchen selbst erschossen.“

      Heinrichs Stirn zog sich in Falten.

      „Wenn ich mal unser Gut erbe,“ sagte er, „setze ich ihn ab.“

      „Das tue aber bestimmt,“ rief ich, „er hat es verdient!“

      Von fernher scholl das fröhliche Lachen des Försters.

      Der Geistergrund.

      Der Geistergrund war der einzige Ort im Gebiet der fünf Waldstädte, von dem die Leute im Dorfe etwas Genaueres wussten. Während so ein Bauer achtlos durch Ameisenfeld stapfte und dort nicht einmal den Bürgermeister kannte, während er an der tausendjährigen Donarseiche dumm und achtlos vorüberging, ja selbst nach den Herrlichkeiten von Heinrichsburg kaum hinüberschielte, ging sein träges Herz sofort rascher, wenn er in die Nähe von Geistergrund kam.

      Was spielten auch dort für schauerliche Geschichten an dem dunklen Moor und dem Graben mit dem schwarzen Wasser, Geschichten, die Hunderte von Jahren alt waren und an den Winterabenden beim flackernden Kienspanfeuer erzählt wurden, bis alle Wangen rot und alle Herzen bange waren.

      Da war die Geschichte von der Bäuerin, die ihren Mann umgebracht hatte, indem sie ihm ein Mahl von giftigen Pilzen bereitete. Noch am gleichen Tage kam die schwere Übeltat ans Tageslicht, und am anderen Morgen errichtete die Obrigkeit einen Galgen und hängte die Bäuerin auf. Aber ihr Leichnam verschwand, und auch der Leichnam des Mannes verschwand, und lange Zeit wusste niemand, wohin beide gekommen seien, bis eine Frau im Geistergrund einen grossen giftigen Pilz sah, der den Hut vor ihr abnahm und sagte: „Erbarme dich meiner, erbarme dich meiner!“ Als die Frau sich vor Schreck nicht rühren konnte, kam eine Schlange gekrochen und wickelte sich dem Pilz ums Bein. Und die Schlange sprach: „Ich fresse den Pilz; ich fresse den hässlichen, geizigen Pilz!“ Sie funkelte dabei mit den Augen.

      Da ist die Frau schreiend davongelaufen und hat im Dorfe alles erzählt, und es hat sich lange Zeit niemand an den Geistergrund herangewagt.

      Als aber einmal der Schuster Humpel erzählte, er habe nun die beiden auch gesehen, nur hätte diesmal der Pilz die Schlange gefressen, glaubte ihm niemand; denn die Leute waren sehr aufgeklärt, und Humpel war oft betrunken. — — —

      Da war die andere Geschichte von dem Müller Eisert. Der war in der Zeit, da der alte Fritz Krieg führte, ins Lager der Russen übergegangen und war ein so schlechter Kerl geworden, dass er gegen seinen eigenen König kämpfte. Eisert besiegte auch den alten Fritz in der Schlacht bei Cunnersdorf und zog dann mit seinen Russen als ein prahlender Kriegsheld bis vor sein Heimatsdorf. Dort liess er Kanonen auffahren und alles zusammenschiessen und in Brand stecken. Dann ritt er auf einem pechschwarzen Ross durch das brennende Dorf und verhöhnte die Leute und zwang sie: „Gnädiger Herr!“ und „Euer Wohlgeboren!“ zu ihm zu sagen. Für diese Missetat wurde er bestraft. Als er wieder fortritt, begann auf dem Turme die Glocke zu läuten. Den Turm und die Kirche hatten die Russen, weil sie Christen sind, verschont.

      O, wie drang der Ton der Heimatglocke dem argen Sünder so anklagend ins Ohr! Sie dröhnte ihm in die Seele wie Posaunenton des jüngsten Gerichts und versetzte sein Herz in eine ganz schreckliche Angst. Und plötzlich wandte sich das Ross, jagte zurück auf das Dorf zu, warf den bösen Mann am Eingang des Dorfes auf die Erde und galoppierte ganz allein in die finstere Nacht hinaus.

      Der Müller schlich sich an den Turm, um zu sehen, wer da so schrecklich an der Glocke zöge. Da sah er, dass niemand in dem Turm war, dass die Glocke ganz von selber läutete. Darüber wurde er ganz unsinnig vor Angst. Schreiend und winselnd lief er um das Dorf herum, fand auf dem Wege einen Strick und erhängte sich in der Verzweiflung seines Herzens im Geistergrund, wie sich Judas erhängte, als er den Herrn Jesus verraten hatte.

      Jetzt noch stand die Weide im Geistergrund, an der der Verräter sein elendes Leben selbst beendet hatte. — —

      Das waren unfreundliche Geschichten. Und da war noch eine Geschichte, von der wir Kinder etwas gehört hatten, ohne sie recht zu verstehen. Und eben, weil ich sie nicht verstand, machte ich ein Gedicht darüber. Das Gedicht aber war so!

      Das Mädchen.

      Weil sie so schwer gesündigt hat,

      Da wurd’ sie in den Sumpf gesenkt,

      Nun wohnt sie in der Geisterstadt,

      Wo niemand ihrer denkt.

      Sie hatte ein so weisses Kleid,

      Doch einen schwarzen Fleck darauf;

      Da steht sie um die Sternenzeit

      Oft aus dem Modergrabe auf

      Und wäscht mit heisser Tränen Flut

      Sich aus dem Kleid den schwarzen Fleck;

      Passt auf, Ihr Leute, Gott ist gut:

      Das Kleid wird weiss, der Fleck geht weg!

      Das war das Gedicht, für das mir unsere gute Fee drüben in Eichenhofen den Kranz schenkte. —

      Es gab Zeiten, wo Heinrich und ich uns sehr vor dem Geistergrund fürchteten. Um die Dämmerzeit wären wir nicht hingegangen, und auch wenn die Nebelmänner zwischen den Erlen hin und herkrochen, wagten wir uns nicht in diese Gegend. Heinrich machte sogar einmal den Vorschlag, den Geistergrund abzusetzen. Was ihm nicht passte, wollte er immer „absetzen“: den Förster, den Geistergrund, die Kreuzottern und die lateinische Grammatik. Es ist aber leider alles bestehen geblieben.

      Unsere Fee hatte im allgemeinen nichts dagegen, wenn wir uns mal etwas fürchteten. Wenn wir sie fragten, ob es Räuber gebe, sagte sie „Ja!“, und wenn wir wissen wollten, ob wohl die Räuber je in unsere Gegend kommen könnten, sagte sie auch „Ja“! Dann bekamen wir allemal knallrote Backen, und unsere Stimmen wurden weniger krähend, als sie sonst waren. —

      Einmal, als wir mit dem Förster zufällig wieder auf freundschaftlichem Fusse lebten, hätten wir ihm gar zu gern eine zahme Dohle abgebettelt, die er in seinem Forsthause hielt. Er machte eine geheimnisvolle Miene und sagte:

      „Die kann ich euch nicht geben. Die ist ein ganz seltsamer Vogel. Ich habe sie auf der Judasweide gefangen. Dort hatte sie ihr Nest. Und sie ist eine verwunschene Prinzessin.“

      Wir Jungen versuchten, ein ungläubiges Gelächter anzuschlagen,