Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726629477
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konnte.

      Anders, ganz anders aber, wie eine Blume in fremdem, gepflegtem Garten erblüht, lebte Amadora, ihr einziges Kind zwischen ihnen, war ihr Stolz, ihre Freude, ward von ihnen bewundert, verwöhnt und angestaunt.

      Stumm standen sich die zwei Männer sekundenlang gegenüber, der breite, vierschrötige Leonhard Werkentin und der schlanke, rassige Konrad von Rauberg, dessen vornehme Züge eine gewisse peinliche Gespanntheit verrieten.

      Endlich nahm der Ältere das Wort.

      Er reichte dem Jüngeren die Hand, sagte mit etwas breitem Lächeln:

      „Habe mal was läuten hören, wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muß der Berg zum Propheten kommen, und das dürfte in unserem Fall ja wohl so ziemlich stimmen.“

      Er machte eine etwas ungeschickte Bewegung, suchte nach Worten. „Ach, wozu die langen Fisimatenten!“ stieß er dann mit einer scharfen Falte über der Nasenwurzel hervor. „Ich verstehe von Diplomatie rein gar nichts, deshalb will ich vorneweg gleich offen erklären, meine Frau schickt mich zu Ihnen.“ Er schlug sich auf den Mund, der buschige Schnurrbart sträubte sich vor Empörung. „Bin doch ein rechter Olwel, wie die Frankfurter zu sagen pflegen, denn meine Alte hat mir noch extra verboten, ihre Person mit ins Gespräch zu bringen.“ Er lachte. „Na, nu ist’s schon schnuppe, immerhin können wir ja vorläufig die Lesart beibehalten, daß mich nur Vatergefühle zu Ihnen führen, Herr von Rauberg. Gelt, ich darf mich setzen?“

      Er saß bei der Frage bereits, winkte dem Jüngeren, seinem Beispiel zu folgen.

      Leonhard Werkentin drehte ein paarmal an dem etwas plumpen Siegelring der Rechten.

      „Ich bitte Sie, Herr von Rauberg“, sagte er dann etwas unvermittelt, „offen und ehrlich Farbe zu bekennen. Weshalb machen Sie seit ungefähr zwei Wochen um unser Haus, ja um meine Familie und besonders meine Tochter einen förmlichen Bogen?“ Er atmete tief. „Sehen Sie, verehrter Herr von Rauberg, früher hätte ich mir dabei nichts Besonderes gedacht, wenn Sie unsere Gesellschaft plötzlich gemieden hätten, ich würde mich sicher nicht aufgedrängt haben. Meine Frau und ich, so sympathisch Sie uns sind, wir beide hätten uns mit Ihrem Benehmen abgefunden; aber da ist Amadora, unser Mädel, die plagt sich und grämt sich, und nur ihretwegen suchte ich Sie heute in Ihrem Büro auf. Ich wollte ja nichts merken, drückte beide Augen zu, dachte, der Doktor von Rauberg ist ein feiner, anständiger Mensch, der wird schon wissen, was er tut, und wenn er was mit Amadora gehabt hat, vielleicht ’ne kleine Meinungsverschiedenheit, dann wird sich das schon wieder einrenken, um eine Bagatelle willen macht der niemanden unglücklich. Wie ich aber beobachten mußte, daß Amadora täglich blasser wurde und morgens um die Augenlider immer so einen dünnen roten Strich wie von nächtlichem Weinen hatte, gefiel mir die Sache doch nicht mehr recht. Da meinte ich zu meiner Frau: Hör’ mal, Luise, erst sitzt der Doktor Rauberg Tag für Tag bei unserem Mädel, musiziert mit ihm, radelt mit ihm aus, schmachtet es nach Noten an, und als wir, ganz einverstanden mit dem Zukunftsbild, allem freien Lauf lassen, macht er plötzlich so schroff Schluß, daß man vor einem Rätsel steht.“

      Konrad von Rauberg fuhr sich über die Stirn, ihm war heiß geworden, und er saß wie ein Angeklagter, der nichts mehr erhofft, vor seinem Richter.

      „Meine Frau war froh, daß ich endlich ein Thema anschnitt, das sie schon lange quälte, und sie wußte auch schon Bescheid und berichtete mir alles, was zwischen Amadora und Ihnen gewesen, und daß unser Mädel Tag für Tag auf Ihren Besuch bei uns gewartet hat. Amadora hat sich ihrer Mutter anvertraut, und Sie wissen nun, Herr von Rauberg, weswegen ich kam.“

      Sein Organ hatte jetzt einen rauhen Beiklang. „Sie haben unser Kind geküßt, haben Amadora von Ihrer heißen Liebe gesprochen und allerlei bunte Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr gesponnen. Sie haben ihr gesagt, Sie würden in Kürze von mir ihre Hand erbitten, und statt dessen sind Sie ihr schon zweimal auf der Straße geflissentlich aus dem Wege gegangen.“ Er sprang auf, sah den Jüngeren zornig an. „Herr Doktor von Rauberg, weshalb unterbrechen Sie mich denn mit keiner Silbe, weshalb lassen Sie mich denn immer nur reden? Das ist doch unnatürlich! Schließlich können Sie mir doch durch eine kurze Erklärung all die lange Salbaderei ersparen, denn Sie wissen doch so gut Bescheid wie ich, was ich von Ihnen will. Lassen Sie sich doch nicht erzählen, was Sie viel besser als ich wissen!“

      Konrad von Rauberg seufzte heimlich. Aber sein Entschluß war gefaßt.

      Ein weiches, kosiges Dämmerstündchen im Wintergarten der Werkentin schen Villa hatte ihn schwach gemacht, ein liebreizendes, blondes Wesen alle seine Vorsätze umgeworfen. Viel zu schade war das blondeste, zarteste Mädchen für einen Rauberg, über dessen Haupt ein alter Fluch lag, der sich erfüllen konnte, wenn Amadora sein Weib geworden.

      Ihr, der Zarten, Feinen, für die das Leben ein langer blumenbestreuter Weg sein sollte, durfte nichts Häßliches, Mißgestaltenes begegnen.

      Die Raubergs mit den drei Fingern! — Entsetzlicher Gedanke!

      Aber was sollte er tun?

      Sollte er dem erregten Vater erzählen, daß er zufällig nach jenem Tage, an dem er Amadora seine Liebe gestanden, einen Brief vom Bruder erhalten hatte, darin ihm dieser von Ilmas endgültigem Verzicht auf Liebe und Ehe sprach und auch seinen eigenen Entschluß nicht unerwähnt ließ? Sollte er Leonhard Werkentin davon reden, ihm damit sein Verhalten erklären?

      Konnte er das? Würden seine Bedenken dem Ohr des sehr nüchter urteilenden Vaters Amadoras nicht übertrieben und phantastisch klingen?

      Leonhard Werkentin ärgerte das lange Schweigen. Was fiel Konrad von Rauberg nur ein, ihm so unhöflich zu begegnen?

      Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich, und die Züge seines groben, wenn auch angenehmen Gesichts verdüsterten sich sehr.

      „Herr Doktor von Rauberg, ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich zu Ihnen sprechen soll. Werden Sie sich nicht innerhalb Minutenfrist herbeilassen, mir eine Erklärung abzugeben, so verlasse ich dieses Zimmer, um meinem Kind zu sagen, daß es sein Herz an einen Unwürdigen gehängt hat.“

      Jetzt erhob sich auch Konrad von Rauberg. Alles Blut war aus seinen Wangen gewichen.

      „Nicht so schnell den Stab über einen armen Sünder brechen, Herr Werkentin!“ entgegnete er fast heftig. „Glauben Sie mir, ich quäle mich seit langen Tagen mit der marternden Frage herum, ob ich es wagen darf, mein Allerliebstes, mein Bestes und Schönstes auf der Welt in den entsetzlichen Bannkreis meiner Ängste zu reißen!“

      Leonhard Werkentin blickte betroffen auf den Jüngeren, fand keinen Sinn hinter dem rätselhaften Satz.

      Konrad Rauberg zuckte nachlässig die Schultern.

      „Sie verstehen mich nicht, können mich nicht verstehen, und deshalb will ich mich Ihnen deutlicher erklären, selbst auf die Gefahr hin, von Ihnen als Narr verlacht zu werden.“ Er zupfte an seinem Jackett herum. „Vielleicht würde mir ein richtiges gesundes und unverfälschtes Lachen sogar gut tun.“ Er wies auf den Stuhl neben Werkentin. „Bitte, nehmen Sie nochmals Platz! Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen von einem alten Geschlecht.“

      Nun saßen sich die beiden Herren wieder gegenüber, und Konrad von Rauberg sprach dem still Lauschenden von dem Fluch aus den Tagen des Dreißigjährigen Krieges, der noch heute, gleich einem Damoklesschwert, über dem Haupte jedes Rauberg hing.

      „In jenen stürmischen Zeiten vor fast dreihundert Jahren“, endete Konrad von Rauberg, „nannten unsere Vorfahren einen trotzigen Edelsitz ihr eigen. Dörfer und Höfe gehörten dazu, soweit der Blick vom Wartturm zu schweifen vermochte, der zugleich einem Astrologen als Heim diente. Heute steht nur noch der Turm. Die Burg von einst ist der Erde gleichgemacht. Ein kleiner Gutshof mit Äckern und Wiesen ringsum, allzu viele Morgen sind es nicht, ist alles, was uns vom Einst geblieben. Mancher Bauer nennt eine größere Scholle sein als mein älterer Bruder Norbert. Also reich sind wir nicht, wir Raubergs, und durch den Fluch sind wir zudem gedrückt, beengt. Niemand von uns vermag die Flügel zu regen. Wir fürchten uns wie arme verfolgte Hasen vor dem scharfen Biß der Jaghunde.“

      Leonhard Werkentin war fast