Das unmögliche Mädchen setzt sich durch. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия: Ein unmögliches Mädchen
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719626
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von Friedrich Schiller, das sie ergattert hatte, und obwohl sie nicht alles. verstand, gefiel ihr die hochtrabende Sprache. „Die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber“, las sie halblaut, „Königliche Hoheit verlassen es nicht heiterer. Wir sind vergebens hier gewesen. Öffnen Sie Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz! Zu teuer kann der Monarch die Ruhe seines Sohnes, seines einzigen Sohnes, zu teuer nie erkaufen …“

      Frau Schmitt kam aus der Kammer geschlurft, eine kräftige Frau mit einem breitflächigen Gesicht und grauen, freundlichen Augen. Als sie Rosa im ungewohnten Schmuck der rosa Lockenwickler sitzen sah, wurde sie aufmerksam: „Ziehst du also jetzt auch schon los?“ fragte sie, aber es klang eher wie eine Feststellung.

      Rosa begriff, daß die Mutter glaubte, sie würde sich für einen Jungen schön machen. „Ach, woher denn!“ verteidigte sie sich. „Ich bin bloß eingeladen.“ Als sie merkte, daß sie sich immer noch nicht unmißverständlich ausgedrückt hatte, fügte sie rasch hinzu. „Von einer Freundin.“

      Frau Schmitt holte ein zerknittertes Päckchen aus der Tasche ihres Morgenrocks und zog eine Zigarette heraus. „Seit wann hast du ’ne Freundin?“ Sie fragte es ganz nüchtern und ohne beleidigende Absicht.

      Dennoch traf es Rosa. Sie hatte in der Grundschule viele Freundinnen gehabt, die sich aber, seit sie auf das Realgymnasium ging, von ihr zurückgezogen hatten. Verschiedene Versuche, die alten Beziehungen wieder aufzufrischen, waren gleich wieder erstickt. Die Interessen der anderen waren zu verschieden von den ihren. Im Gymnasium aber war sie eine Außenseiterin geblieben.

      „Die, die neulich hier war“, erklärte sie, „die ich aus dem Wasser gezogen habe.“

      „Das Marzipanschweinchen?“ Frau Schmittt hatte sich aus einem Stück Sonntagszeitung einen Fidibus gedreht, zog mit dem Feuerhaken einen Ring aus der Herdplatte, zündete das Papier an und hielt es sich an die Zigarette.

      „Sie heißt Hortense … Hortense Mercator.“

      „Na, laß sie. Die paßt nicht zu uns.“

      „Braucht sie ja auch nicht. Sie ist meine Freundin … nicht eure!“

      Frau Schmitt warf den lodernden Fidibus ins Herdfeuer und schob den Ring an seinen Platz zurück. „Die macht sich doch nur ’nen Witz aus dir!“

      „Tut sie nicht!“

      „Mich geht es ja nichts an, aber ich würde besser die Pfoten von der lassen … sonst verbrennste sie dir noch.“

      Rosa selber hatte sich nur mit Überwindung zu diesem Besuch – ihrem ersten offiziellen Besuch bei den Mercators – aufgerafft, denn sie wußte, daß Hortenses Eltern sie bei dieser Gelegenheit unter die Lupe nehmen wollten. Es würde sicher kein angenehmer Nachmittag werden, aber sie hatte sich entschlossen, in den sauren Apfel zu beißen, weil sie es Hortense versprochen hatte und weil sie endlich wieder eine Freundin haben wollte. Daß ihre Mutter ihr abriet, bestärkte sie nur in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Sie war es gewohnt, daß ihre Familie stets alles ablehnte, was ihr selber wichtig erschien.

      „Ach, Mama“, sagte sie, „das verstehste nicht.“

      Frau Schmitt ließ es dabei bewenden; sie hatte sieben Kinder in die Welt gesetzt und brachte nun nicht mehr die Kraft auf, sie auch noch zu erziehen. Außerdem hatte sie ja auch allen Grund daran zu zweifeln, selber das Beste aus ihrem Leben gemacht zu haben. Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, gab sie zwei große Löffel Kaffee in eine vorgewärmte Kanne und goß kochendes Wasser auf, stellte die Kanne, zwei Tassen und eine Zuckerdose auf ein Tablett, trug es zu ihrem Mann und setzte sich neben ihn vor den Fernsehschirm.

      Rosa konnte sich weiter ungestört in ihren „Don Carlos“ vertiefen.

      Ihr Haar brauchte viel länger zum Trocknen, als sie geglaubt hatte, und zum Schluß konnte nicht einmal mehr das interessante Theaterstück sie ablenken; sie begann kribbelig zu werden. Aber auf keinen Fall wollte sie ihr Kunstwerk zerstören, indem sie die Wickler zu früh herausnahm. Sie hielt eisern durch und hoffte, daß sie dennoch pünktlich zu ihrer Sonntagsnachmittag-Kaffee- und Kucheneinladung kommen würde.

      Endlich war es soweit. Ihr ganzes Haar stand in Locken zu Berge, die sich kaum bändigen ließen. Sie mußte bürsten und bürsten und bürsten, und dann hatte sie tatsächlich zum erstenmal in ihrem Leben eine annehmbare Frisur. Das Haar war nicht mehr stumpf, sondern hatte Glanz bekommen, ja, es wirkte sogar – jedenfalls schien es ihr so vor dem winzigen Spiegel in dem schlecht beleuchteten Zimmer – heller als gewöhnlich.

      Rosa war sehr mit sich zufrieden.

      Rasch räumte sie auf, legte die Lockenwickler an ihren Platz in Maries Schrankfach zurück, zog den maisgelben Pullover an, ihren geliebten Parka – eine ausrangierte amerikanische Militärjacke, in der sie fast versank – darüber und machte sich auf den Weg in die Stadt.

      Rosa sieht wie ein bunter Hund aus

      Hortense sah dem Besuch mit Bangen entgegen. Auch sie sehnte sich nach einer richtigen Freundin. Obwohl sie beliebt in der Klasse war, ließ ihr Kontakt zu den Mitschülerinnen in letzter Zeit zu wünschen übrig. Daß ihre Eltern die schicke Etagenwohnung im Vorort Haidhausen erworben hatten, bedeutete für sie eine räumliche Trennung von den alten Freundinnen. Zuerst hatte sie das gar nicht wichtig genommen, aber inzwischen hatte sich gezeigt, daß die richtige Vertrautheit eben doch verlorenging, wenn man sich nur noch in der Schule und zu besonderen Anlässen traf, und nicht mehr, wie früher, jeden Nachmittag.

      Außerdem war Rosa für Hortense etwas Besonderes, ein Mädchen, das aus einer ganz anderen Welt kam und mit Problemen fertig werden mußte, von denen Hortense bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Sie bewunderte Rosa und hatte gleichzeitig das Gefühl, daß die Freundin sie brauchte; das war ein ganz starkes Band zwischen den beiden.

      Hortense verstand, daß Rosa in den Augen ihrer schönen und eleganten Mutter kein Umgang für sie war. Aber selbst der Mutter zuliebe wollte sie diese Freundschaft nicht aufgeben. Bei ihrem Vater konnte sie schon eher Verständnis erwarten.

      Aber alles hing davon ab, wie Rosa sich aufführte, und Hortense wußte nur zu gut, daß gutes Benehmen, auf das Mercators besonderen Wert legten, Rosas schwächste Seite war.

      Kein Wunder also, daß Hortense heute ungewöhnlich nervös war. Immer wieder sagte sie sich, daß ja eigentlich gar nichts schiefgehen könnte, weil sie den Auftritt mit Rosa gründlich geübt hatte. Es gab aber noch eine andere günstige Voraussetzung: Mercators pflegten sonntags keinen großen Aufwand zu treiben und sich einfach und bequem anzuziehen. Der Vater trug seine schwarze Cordsamtjacke über einem offenen Hemd und leichte Mokassins an den Füßen.

      Die Mutter, die während der Woche als Direktrice in einem Modesalon arbeitete und stets von Kopf bis Fuß tipptopp gekleidet, geschminkt und frisiert sein mußte, schlüpfte am Wochenende in lange Hosen, Bluse und Pullunder. Eigentlich war sie Hortense so, gar nicht oder kaum zurecht gemacht, sehr viel lieber, als wenn sie in makelloser Schönheit strahlte. Sie selber hatte ihre ältesten langen Hosen an und einen einfachen Rollkragenpullover. So stand zu hoffen, daß Rosa sich nicht schlecht angezogen und dadurch verunsichert fühlen würde.

      Eifrig deckte Hortense den niedrigen Glastisch im Wohnzimmer, einem sehr großen Eckraum mit zwei riesigen Aussichtsfenstern, der ganz in den Tönen weiß, mausgrau und maisgelb gehalten war. Sie stellte Tellerchen zurecht, Tassen, Untertassen, Löffel, Gläser und legte hübsch geknickte bunte Papierservietten zurecht.

      Die Mutter begutachtete ihr Werk. „Sehr hübsch. Aber du hast Messer und Gabeln vergessen.“

      „Messer und Gabeln?“ wiederholte Hortense töricht. „Wozu?“

      „Es gibt Schwarzwälder-Kirschtorte … willst du die etwa mit den Fingern essen?“

      „Oh, Mutti! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?!“

      „Was hast du nur? Das ist doch keine Tragödie. Leg das Besteck dazu und basta.“ Frau Mercator hob die zu einem hübschen Bogen ausgezupften Augenbrauen. „Oder kann deine Rosa etwa nicht