Abendland. Richard Faber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Faber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783863935573
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anbieten, sondern – partiell und gegen den Strich gelesen – auch als kritische Instanz fungieren können. Ich exponiere bereits meine Begriffsklärung der Vokabel »politischer Kampfbegriff« mit Hilfe Schmitts. Sie führt mich sofort auf den engen Zusammenhang des Abendland- mit dem Reich-Begriff und beider Kampfmythen mit der Konservativen Revolution, also dem intellektuellen Prä- (und Post-)Faschismus. Gerade die Begriffe »Reich« und »Abendland« belegen die Romanozentrik der Konservativen Revolution8 – ganz gleich, ob sie eher neopagan oder christ-katholisch akzentuiert ist. In jedem Fall gilt der römische Reichsdichter Vergil als Vater des Abendlandes und hat alle (Prä-)Faschisten ergriffen, was ich »Neo-Vergilsche Reichsapokalyptik« nenne. Vielleicht hat Bergengruen ihr im Gedichtzyklus Der ewige Kaiser am deutlichsten Ausdruck verliehen, in einem Buch, das er – nachdem es 1937 erstmals erschienen ist – 1950 erneut hat auflegen lassen, dieses Mal unter ausdrücklich »europäischen« Vorzeichen. Nicht zuletzt Bergengruen belegt, was man später auf die affirmative Kurzformel gebracht hat: »Das Reich ist tot – es lebe Europa.«

      Nach diesen einleitenden Überlegungen, die den Leser mit den Eckpunkten der Abendland-Ideologie vertraut machen sollen, werde ich im zweiten Kapitel darstellen, wie sich der Einsatz von Abendland als politischem Kampfbegriff intensiviert hat: vom zunächst eher defensiven Gebrauch bis zu seiner schließlichen Ausweitung auf Euro-Amerika. Grundlegendes Kennzeichen aller konservativen Abendland-Utopien – vor und nach 1945 – ist die Stilisierung des Ostens zu einem den Westen »ewig« bedrängenden Erbfeind: synchron ein asiatisch wie kommunistisch definiertes Rußland. Gerade sein dämonischer Kontrast soll dem neuen, vor allem dem abendländischen Europa zur eigenen »Identität« verhelfen. Selbst das kriegerische »Unternehmen Barbarossa« wurde als »Geburtsstunde des neuen Europa« bezeichnet: eines nationalsozialistischen und deswegen ausdrücklich rassistischen Europa. Ein solches oder auch nur deutsches konnte nach 1945 nicht mehr angestrebt werden; indem man aber sogar die Nazis dem Osten generell oder dem Bolschewismus speziell zuschlug, konnte die europäisch-gegenrevolutionäre Emphase der Zwischenkriegszeit »durchgehalten« werden – und man konnte weiter in der Tradition christlicher Kreuzzüge seit Konstantin über die Karolinger, die Ottonen, die Staufer bis hin zu den Habsburgern denken und dichten. Als scheinbar unverfängliche »Urszene« fungierte dabei der Spanische Bürgerkrieg.

      Es waren gerade die aus kirchlich-moralischen Gründen antinationalsozialistischen Katholiken, die im Spanischen Bürgerkrieg, in dem die Katholiken mit Franco und der Falange gegen den sogenannten atheistischen Kommunismus kämpften, eine großartige, geradezu befriedigende Perspektive fanden. Nicht nur sie betrachteten diesen Kampf noch nach 1945 als konzentrierten »Weltbürgerkrieg« und das Ewige Spanien als Symbol eines »allumfassenden«, also expansiven, ja imperialistischen »Weltabendlands«, das auf die Zeiten Karls V. und Philipp II. zurückging. – Spaniens (und Portugals) missionarische Reichsideologie hatte weiter gewirkt: bei Niederländern, Engländern und schließlich US-Amerikanern, unbeschadet des Übergangs vom Raub- zum Handels- und Finanzkolonialismus. Zumindest zeitweise – und schon in Spaniens »Goldenem Zeitalter« beginnend – fundierte Rassismus solchen weißen Imperialismus oder kulminierte dieser Imperialismus rassistisch – im 19. und 20. Jahrhundert als externer Sozialdarwinismus. Doch noch dieser scientifizierte – deutlich bei Auguste Comte – ein imperialistisches Christentum, dessen »friedliche Mission« stets Ideologie oder Illusion war, unabhängig davon, ob dieses Christentum auf nationalistische oder universalistische, sprich »abendländische« Art und Weise imperialistisch war. Erst recht spielten die Konfessionsunterschiede in diesem alles entscheidenden Punkt keine Rolle.

      Noch ein säkular(isiert)es »Evangelium von der abendländischen Zivilisation« entpuppt sich als aggressive Kreuzzugspropaganda. Deshalb geht mein Buch von der Untersuchung des missionarisch-militärisch-ökonomischen Komplexes der USA über zu dem, was der ehemalige bayerische Theologe Georg Moenius bereits 1948 »Pax Romana als Pax Americana« genannt hat. In Fortsetzung seiner christlich-abendländischen Reichsvision des Zwischenkriegs erhob er die Vereinigten Staaten zum »Neuen Weltmonarchen« – eine Sichtweise, mit der er auch bei Nichtkatholiken und Nichtchristen Anklang fand.

      Seit 1945 und verstärkt seit 1989 haben wir es mit einem Euro-Amerika zu tun. Seine immer extensivere wie intensivere Institutionalisierung macht wesentlich das aus, was seit gut zehn Jahren »Neue Weltordnung« heißt. Diese Vokabel verdankt sich dem Wappenspruch der USA: »Novus ordo seclorum«, der seinerseits der vierten Ekloge Vergils entnommen ist. Diese Verbindung ist keineswegs zufällig, denn noch die Vereinigten Staaten besitzen eine römische Genealogie, verstehen sich römisch-imperial. Auch für sie gilt, was Schneider auf die allgemeine Formel brachte: »Wer immer die Welt begehrt, fahndet nach dem römischen Erbschein.« Und Ernst Blochs Freund Hans Mühlestein konstatierte: »Das heutige ›Römische Reich‹ ist die europäische-amerikanische Übermächtigung der Welt« – wie nie zuvor einig und mächtig, präsentiert sich heute der römisch-imperiale Anspruch »der Welt«.

      Europaintern setzt dies die recht erfolgreichen Einigungsbestrebungen von der Montanunion über die EWG und EG bis zur gegenwärtigen EU voraus. Sie selbst waren nochmals bedingt durch die weitgehende Synthese der in den zwanziger und dreißiger Jahren bis zum gegenseitigen Ausschluß miteinander konkurrierenden Konzeptionen (Pan-)Europas und des (christlichen) Abendlands. Oder, um zu entmythologisieren: Die Abendland-Ideologie mußte durch die hinter Pan-Europa stehende Notwendigkeit eines »Großwirtschaftsraumes« Westeuropa in Dienst genommen werden. Carl Schmitt hatte bereits 1928 rhetorisch gefragt, ob sich das ganze Problem Europa vielleicht auf die Bildung eines einheitlichen Wirtschaftskomplexes reduziere.

      In meinem vorletzten Kapitel versuche ich die diversen Abendland- und Europa-Konzepte des 20. Jahrhunderts möglichst repräsentativ durchzubuchstabieren, dabei sowohl auf ihre teilweise unversöhnlichen Differenzen achtend als auch auf die mehr oder weniger großen Identitäten. Es ist von besonderer Wichtigkeit, das – gerade auch im Nationalsozialismus beobachtbare – Phänomen einer »complexio oppositorum« nicht zu übersehen. Manche Gegensätze wurden aufgrund geschickter Manipulationen immer wieder vernachlässigt, weil die bereitstehenden argumentationes ad homines sich als allzu verführerisch erwiesen. Nicht wenige mußten – eben auch aus Nazi-Mund – nur das Wort Abendland hören, um dahinzuschmelzen. Dieser Kampfbegriff hat sich ein ums andere Mal als Zauberwort bewährt, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß die radikale Abendland-Ideologie konfessionell gebunden ist. Soziologisch bedeutet entschiedene Konfessionalität im 20. Jahrhundert aber exklusives Sektierertum. Und wie verhängnisvoll sonst auch immer, davor suchte sich ein Hofmannsthal stets zu hüten. Sein Katholizismus zielte auf den wortwörtlichen Anspruch des »Katholischen«: Alle »Ströme des wirklichen geistigen Lebens« sollten nach ihm »in das Becken des großen Begriffes« Europa münden.

      Hofmannsthals Projekt war vorausschauend, ja ›zukunftsweisend‹, gerade weil er in seiner Europa-Synthese die abendländische Reichskomponente dennoch dominieren ließ, nicht anders als der ihm stark verpflichtete Romanist Ernst Robert Curtius noch nach 1945. Auch jetzt erwies sich das prätendierte integrale Europa vornehmlich als ein lateinisches, ja römisches und speziell Vergilsches Europa. »Rom«, so heißt es knappstens beim Hofmannsthal-Freund Rudolf Pannwitz, »war das erste Europa« – sei es das ›heidnische‹ oder das christliche, das römisch-katholische Europa, dessen Propagandisten sich, wie Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano usw., als Christliche Humanisten verstanden.

      Es handelte sich um einen recht militanten »Humanismus«, daran läßt Moenius noch in seinem Neuen Weltmonarchen von 1948 keinen Zweifel: »Die kompaktesten Legionen bringt sowohl zum Schutze des Abendlandes als zur stetigen Erweiterung und zum Hinaustragen der Grenzen die katholische Kirche auf.« Selbst der späte, franziskanischpazifistisch argumentierende Schneider verehrt noch das inkonsistente Konstrukt eines »Virgilius christianus« und unterscheidet sich darin weder von Moenius noch von dessen maßgeblichem Inspirator Haekker. Diese sind extreme Vertreter einer durchaus imperialen Reichstheologie, wie sie mutatis mutandis auch protestantische, neopagane und schließlich nationalsozialistische Reichsvisionäre vertreten haben, zugunsten eines Reichs- bzw. Deutscheuropas, das sie in eine ausdrückliche Kontinuität mit dem »Heiligen Römischen Reich deutscher Nation« stellten. Dennoch kann man von einem »Nationalsozialistischen ›Imperium Europaeum‹« sprechen,